Konzepte statt Schablonen

Um ein Programm zu formulieren und einen Konsens in der die Geister scheidenden nationalen Frage zu finden, trafen sich Vertreter von Demokratie Jetzt vom 19. bis 21. Januar [1990] in Berlin. Es war kein Parteitag, denn Demokratie Jetzt bleibt nach wie vor eine Bürgerbewegung. Wir halten es für wichtig, dass neben den Parteien in ihren typischen Strukturen auch neue Formen mehr Möglichkeiten bekommen, zur Demokratisierung in der DDR beizutragen. Wir denken, dass Bürgerbewegungen die Chance flexibleren und unabhängigen Handelns besitzen. Es ist sicher wichtig, dass sich neue Politik auch an neuen Gesellschaftsformen und -strukturen bewährt.

Stichwort: "neue Politik". Wir sind der Meinung, dass jetzt, im Zuge gravierender Veränderungen, grundlegend neue Gesellschaftskonzepte zum Tragen kommen müssen. Momentan zeichnet sich aber ab, dass es dazu nicht kommen soll, sondern eher das bundesdeutsche Konzept als Schablone dient. Mit einer bloßen Übernahme versagen wir uns jedoch eine große Chance der Umgestaltung. Jetzt müssen Prioritäten gesetzt werden, auch in der Definition der Werte.

Was bedeutet Wohlstand? Wir meinen, an erster Stelle steht dabei eine umweltfreundliche Gesellschaft. Gelder müssen also zuerst für die ökologische Sanierung und eine umweltfreundliche Produktion eingesetzt werden. Das ist aber nicht gleichzusetzen mit einer Flut von mehr Waren für die Verbraucher. Wohlstand bedeutet in gewisser Hinsicht nicht mehr zu kaufen, sondern weniger und dabei umweltfreundlicher. Das Institut für Ökologisches Recycling in Westberlin stellt fest, dass ein Angleichen des DDR-Konsums an den westlichen für uns eine zwanzigmal höhere Umwelt- und Müllbelastung zur Folge haben würde, als sie derzeit in der DDR schon besteht. Das verstehen wir aber nicht unter Wohlstand; denn Wohlstand heißt auch sauberes Wasser, giftfreie Böden, Luft zum Atmen, gesunde Ernährung, intakte Wälder . . .

Also wäre es ein Frevel, generell auf mehr Konsum, ähnlich dem bundesdeutschen, zu orientieren, statt auf einen verantwortungsbewussten, ökologischen Verbrauch. Das setzt eine umweltfreundliche Produktion umweltfreundlicher Produkte voraus. Parallel wichtig sind sachgerechte und überschaubare Bürgerinformationen, um sich wirklich ökologisch verhalten zu können. Dabei müssen auch die Medien genutzt werden, die wiederum durch einen Medienrat, in dem auch die Grüne Bewegung zur vorherigen Produktenprüfung und Freigabe vertreten sein muss, kontrolliert werden.

Ein Wert unserer Gesellschaft muss sein, nicht auf Kosten von andren zu produzieren und zu verbrauchen. Die Ausbeutung darf also nicht nach außen, hinter die Grenzen Europas, verlagert werden. Konrad Weiß, Sprecher von Demokratie Jetzt, formulierte dazu: "Es ist unmoralisch und auf Dauer auch selbstzerstörerisch, wenn eine kleine Minderheit von wenigen Millionen in Europa auf Kosten von Milliarden Menschen in der Dritten Welt lebt." Er bezeichnet den westlichen Wohlstand als "Überwohlstand" und "im Grunde unmoralisch". Er sagt weiter: "Braucht man denn beispielsweise 30 Sorten Zahnpasta wirklich? Es reichen auch fünf . . ."

Demokratie Jetzt sucht eine Aufgabe auch darin, aus einer gesamtheitlichen Verantwortung unter Berücksichtigung neuen Wertedenkens, Vorschläge zu artikulieren.

CAROLIN LORENZ,
Potsdam

aus: Märkische Volksstimme, Nr. 32, 07.02.1990, 45. Jahrgang, Unabhängige Tageszeitung im Bezirk Potsdam, Herausgeber: Verlag Märkische Volksstimme

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