Hauptabteilung VI Berlin, 30. 10. 1989

INFORMATION

Ein auf Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit überprüfter IM war Teilnehmer der konstituierenden Sitzung der oppositionellen Vereinigung "Demokratischer Aufbruch" (DA) an 29. 10. 1989 im Elisabethstift in Berlin-Lichtenberg.

An dieser Sitzung nahmen ca. 200 Personen aus der gesamten Republik teil.

Zum Vorsitzenden wurde mit 108 Stimmen der Rostocker Rechtsanwalt Wolfgang SCHNUR gewählt.

Für den IM war deutlich erkennbar, dass der ebenfalls zur Wahl als Vorsitzender stehende Pfarrer EPPELMANN (20 Stimmen) über den Ausgang der Wahl deprimiert war und seinen Machtanspruch nicht durchgesetzt sah.

In den Referaten und Diskussionsbeiträgen waren folgende inhaltliche Zielvorstellungen des "DA" sichtbar:

- Der "DA" versteht sich gegenwärtig als oppositionelle Vereinigung und fasste mehrheitlich den Beschluss, ab 1. 5. 1990 als politische Partei der "linken Mitte" zu wirken.

- Die Organisatoren sind sich bewusst, dass sie gegenwärtig nicht über die erforderliche Basis verfügen, ihnen kompetente politische Führungskräfte fehlen, sie europaweit ihre Existenz und Ziele propagieren müssen und es um die schnellstmögliche Beschaffung finanzieller Mittel (vorrangig durch Spendenaktionen) geht, um einen hauptamtlichen Apparat zu installieren.

- Mit ihrem sozial ökologischen Programm wollen sie sowohl sozialdemokratische als auch "grüne" Interessenten nach westlichem Vorbild vertreten.

- Wie Rechtsanwalt SCHNUR unserem IM in eines Gespräch unter vier Augen mitteilte, ist er an lukrativen politischen Kontakten in Westberlin und de BRD interessiert und lud sich selbst für den 5. 11. 1989 in die Wohnung unserer Quelle ein, wo diese mit einem der CDU nahestehenden einflussreichen Rechtsanwalt aus Westberlin zusammentreffen wird.

- Sowohl im "Einstiegsreferat zur programmatischen Erklärung" von Edelbert RICHTER, im "Einstiegsreferat zum Statut" von Wolfgang SCHNUR als euch in de Diskussion waren die Hauptinhalte des "DA" klar erkennbar.

Sie sind:

• Beseitigung der führenden Rolle der SED und Aufbau eines pluralistischen parlamentarischen Sozialismus.
Über den Termini "Sozialismus" wurde dabei äußerst kontrovers diskutiert, wobei man sich letztlich auf seine vorläufig weitere Verwendung einigte;

• Beseitigung der Planwirtschaft in der DDR (Auflösung der sich in der Praxis nicht bewährten Kombinate) und Schaffung verschiedener Eigentumsformen mit marktwirtschaftlichen Prioritäten;

• Durchsetzung der Medien- und Pressefreiheit;

• drastische Reduzierung des Sicherheitsapparates (MfS um 70 %) verbunden mit der Abschaffung der GST, Kampfgruppen etc.;

• Errichtung von Büros für Bürger- und Menschenrechte sowie Ökologie;

• Schaffung eines DDR-weiten Publikationsorgans des DA;

• Nach Zulassung des "DA" als politische Partei ist vorgesehen, über die Kommunalebene in die höchste Volksvertretung der DDR einzuziehen. Diese Absichtserklärung ist verbunden mit der Forderung nach freien Wahlen.

Nach Einschätzung des IM befanden sich unter den Teilnehmern der Sitzung des "DA" vorrangig Intellektuelle und Vertreter der evangelischen Kirche.

Es ist erkennbar, dass insbesondere die Führungskräfte die gegenwärtige Lage in der DDR nutzen wollen, um vor allem ihre Basis in der gesamten DDR zu erweitern. Insbesondere Pfarrer EPPELMANN will sich dabei der westlichen Medien bedienen und verfügt über einflussreiche Verbindungen und Kontakte.

Die Stimmung unter den Mitgliedern des "DA" wird als siegeszuversichtlich eingeschätzt. Es ist davon auszugehen, dass die Führungskräfte des "DA" zur Durchsetzung ihrer Ziele zu Demonstrationen aufrufen.

Die HA XX/4 wurde über den wesentlichen Inhalt der Sitzung am 30. 10. 1989, 1.00 Uhr, mündlich informiert.

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