Diskussionspapier des Demokratischen Aufbruch

Zur Entstehung der Bewegung

Im Juni 1989 begann die Arbeit in einer Initiativgruppe. Durch die rasche Veränderung der politischen Situation kam es schon im September zu ersten Gruppenbildungen. Am 2.10. fand in Berlin die erste Delegiertenversammlung statt, deren Arbeit von der Polizei stark behindert wurde. Am 29./30.10. konnten an der zweiten Delegiertenversammlung bereits Vertreter aus allen Bezirken der DDR teilnehmen. Dort wurde ein vorläufiger Vorstand gewählt, der bis zur nächsten Versammlung am 16./17.12. amtiert. Außerdem wurden ein ebenfalls vorläufiges Statut und eine vorläufige Grundsatzerklärung angenommen.

In Vorbereitung der nächsten Delegiertenversammlung, die in Leipzig stattfinden wird und inzwischen zum Gründungsparteitag des Demokratischen Aufbruchs - sozial, ökologisch ausgerufen wurde, kam es auch zur Einsetzung einer Programmkommission.

Von Anfang an sind wir hier in unserem Land für einen besseren, einen "wahren" Sozialismus (St. Heym auf der Demonstration am 4.11.89 in Berlin) eingetreten.

Zur Notwendigkeit einer neuen, alternativen Partei in der DDR

Der allgemeine Vertrauensverlust der Bevölkerung in die bestehenden Strukturen, Parteien und Massenorganisationen ist inzwischen auf allen Ebenen deutlich. Neben der unverzichtbaren grundlegenden Analyse zur Entstehung dieser Situation verlangt der tief durch unsere Gesellschaft gehende Riss unsere sofortige Stellungnahme zu einigen auf der Hand liegenden Ursachen. Dazu gehören:

- an allererster Stelle der alleinige Führungs- und Wahrheitsanspruch einer Partei,

- das Unvermögen aller Beteiligten, in den bestehenden Strukturen politische Willensbildung in demokratischen Formen zu praktizieren,

- und nicht zuletzt die völlig falsch interpretierte und praktizierte "Freiheit als Einsicht in die Notwendigkeit", denn diese führte letztendlich zu einer umfassenden Deformierung der in den Statuten ursprünglich ausgewiesenen Ziele und Inhalte aller Parteien und Massenorganisationen.

Verbunden mit den genannten Ursachen wuchsen unter uns allmählich und unaufhaltsam Frustrationen und Resignation, da der einzelne seine elementarsten und existentiellsten Interessen und Bedürfnisse immer weniger in eben diesen vorhandenen gesellschaftlichen Strukturen vertreten sah. Die daraus resultierenden ständig anwachsenden Unmutsäußerungen (beginnend mit ohmmächtiger Auflehnung einzelner Betroffener bis zum jetzigen Zustand einer Eingabendemokratie) veranlassten Partei- und Staatsführung in Fehleinschätzung der Sachlage (Auflehnung gleich Konterrevolution), den Staats- und Sicherheitsapparat immer weiter auszubauen, was letztendlich die Verselbständigung der Macht und ihren Missbrauch (nicht erst am 7./8.10.89) ermöglichte.

Wir rufen alle Bürger unseres Landes, einschließlich der Angehörigen der Schutz- und Sicherheitsorgane, auf, zur Aufklärung real existierender Fälle von Machtmissbrauch unnachgiebig und differenziert beizutragen, ohne neue Feindbilder aufzubauen.

Aus dem Vorangegangenen folgt für uns die Notwendigkeit der Gründung einer neuen Partei. Diese Partei muss alternativ im Sinne eines neuen basisorientierten Demokratieverständnisses handeln. Sie sollte den sozialistischen Idealen und Grundwerten verpflichtet sein. Sozialismus darf allerdings nicht mit der Herrschaft einer Partei verwechselt werden, weil dadurch die wirklichen Verhältnisse und die Bedürfnisse des Volkes verzerrt und falsch dargestellt werden. Dagegen ist das ursprüngliche Anliegen der sozialistischen Vision das dauernde demokratische Ringen um soziale Gerechtigkeit.

Zur Struktur unserer Partei

Ausgehend von der Verselbständigung der Strukturen etablierter Parteien und Organisationen verlangt eine neue Partei vor allem neue Strukturen. Diese müssen behutsam aufgebaut und ständig hinterfragt werden und zugleich die sofortige Arbeitsfähigkeit der Partei als Interessenvertreterin aller ihrer Mitglieder und potentiellen WählerInnen garantieren. Die Mitglieder haben das Recht, die von ihnen gewählten VertreterInnen zu kontrollieren.

Wir sind uns der Unvollkommenheit unseres vorläufigen Statuts bewusst. Deshalb wird diesem Thema in unseren Facharbeitskreisen und Ortsverbänden besondere Beachtung geschenkt.

"Einsicht in die Notwendigkeit" kann nur eine sachliche, argumentbezogene Einsicht sein. Darum streben wir an, dass Beschlüsse aller Ebenen von der Basis des jeweiligen Kompetenzbereiches bestätigt werden müssen. Zum Aufbau einer wirklich sozialistischen Gesellschaft gehört der parlamentarische Parteienpluralismus, um die zum Teil auch einander widersprechenden Interessen aller Bürgerlnnen in ihrer Vielfalt gleichberechtigt vertreten zu können. So soll zum Beispiel die Jugend die Form ihrer Vertretung innerhalb des "Demokratischen Aufbruch" selbst wählen. Vorstellbar ist auch die Gründung einer eigenen Jugendorganisation.

Zur Programmatik des DA

Die Vielfalt der Interessen, Meinungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten des einzelnen ist der Reichtum der Gesellschaft. Darum sehen wir in der Förderung jedes Menschen nach seinen Vorstellungen die Möglichkeit, die Gesellschaft als Ganzes weiterzuentwickeln. Wir bestehen auf sachlicher Argumentation, auf der Kultur des Streites innerhalb der Partei und im Umgang mit Andersdenkenden. Der DA vereinigt Menschen verschiedener Weltanschauungen in der Vision einer lebenswerten Gesellschaft.

In Abrüstungsverhandlungen wird um den Abbau der latenten Kriegsgefahr gerungen.

Gleichzeitig verstärken sich die Anzeichen weiterer globaler Katastrophen: Umweltzerstörung, Überbevölkerung, Klimakatastrophe und Verelendung der Zweidrittel-Welt. Diesen existentiellen Bedrohungen der Menschheit kann nur in globaler Solidargemeinschaft begegnet werden. Wir wollen mit unserer Partei hier und jetzt die Voraussetzungen für diese Solidargemeinschaft verwirklichen helfen. Deshalb ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Programms die ökologische Umgestaltung der Industriegesellschaft. Hohes Umweltbewusstsein, fachliche Kompetenz, effektive Wirtschaftsführung und der sparsame Umgang mit Energien und Ressourcen sind für uns Komponenten einer neuen Verantwortlichkeit unseren Kindern und Kindeskindern gegenüber. Das macht es notwendig, bestehende Bedürfnisse zu überdenken, sie auf ihre Inhalte und unsere eigenen Motive und Ziele zu hinterfragen.

Zur Durchsetzung des ökologischen Umbaus der Gesellschaft sind auch starke, unabhängige Gewerkschaften unverzichtbar. Wir fordern unsere Mitglieder auf, sich aktiv in den anlaufenden Gewerkschaftsbildungsprozess einzubringen, d.h., sich für eine von Parteien und Betriebsleitungen unabhängige Interessenvertretung aller Arbeiterinnen, Bauern, Angestellten, Künstlerinnen, Handwerker einzusetzen.

Auch die staatliche Sozialversicherung muss von einem Durchsetzungsorgan des Staatsapparates zum wirklichen Interessenvertreter der Versicherten umfunktioniert werden, nicht zuletzt, um den noch hiergebliebenen Ärzten die Versorgung der Patienten ihrem Eid gemäß zu ermöglichen.

Die ungenügende materielle und ideelle Anerkennung der Leistungen des mittleren medizinischen Personals hat bekanntlich zu katastrophalen Pflegenotständen geführt.

Wir fordern, dass der Staat seiner Verantwortung in der Sicherung der Ansprüche der sozial Schwachen, vor allem der Rentner, gerecht wird.

Ein Schritt auf diesem Weg ist die dem Staatsapparat abgetrotzte Einführung des zivilen Wehrersatzdienstes, der zugleich den Beginn der notwendigen Entmilitarisierung unserer Gesellschaft darstellen muss.

Viel stärker als bisher ist das kreative Potential der Wissenschaft, der Kunst und Kultur ohne Reglementierungen in den gesellschaftlichen Entwicklungsprozess einzubeziehen. Damit verbunden ist die Stärkung der weltweit anerkannten Potenzen von Geistesschaffenden in unserem Land. Wir brauchen ein von Ideologien unabhängiges Bildungswesen, das der Freisetzung von Kreativität dient.

Grundsatz unserer Politik ist die Zusammenarbeit mit allen Parteien, Bewegungen und Einzelpersonen, die ihrerseits zu einer demokratischen Umgestaltung unserer Gesellschaft unterwegs sind. Das schließt sachbezogene Kontroversen ein.

International stehen wir jenen Kräften nahe, die, von Weltanschauungen unabhängig, auf eine globale Solidargemeinschaft hinarbeiten. Wir bekennen uns zur Idee des europäischen Hauses und arbeiten mit an ihrer Realisierung als selbständiges, eigenverantwortliches Element. Wir streben eine breite Zusammenarbeit auf der Basis gegenseitiger Achtung und Anerkennung an, ohne Unterschiede in Zielsetzungen und Vorgehensweisen zu negieren oder zu verwischen. Dabei unterschätzen wir nicht das besondere Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland, begründet auf der gemeinsamen Geschichte und Kultur sowie auf vielfältigen freundschaftlichen und familiären Bindungen.

Wir grenzen uns entschieden von faschistischen, neofaschistischen, revanchistischen, militaristischen, rassistischen und chauvinistischen Aktivitäten ab!

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