Aufruf zum "Demokratischen Aufbruch - sozial, ökologisch"

Eine Unruhe geht durch unser Land. Immer mehr Menschen verlassen, es, sie haben die Hoffnung auf ein sinnvolles Leben hier aufgegeben. Andere bleiben und suchen nach Wegen, endlich zu tun, was getan werden muss. Nötig ist eine demokratische Umgestaltung.

Damit meinen wir politische Verhältnisse, die der Bürger durchschauen, kontrollieren und verändern kann. Das ist nur möglich, wenn unser Staat nicht mehr ausschließlich durch eine Partei beherrscht wird und wenn Meinungsfreiheit und Medienvielfalt das öffentliche Leben bestimmen.

Damit meinen wir wirtschaftliche Verhältnisse, die unsere Arbeit von erstarrten und leistungshemmenden Strukturen befreien und sie wieder sinnvoll machen.

Damit meinen wir ökologische Verhältnisse, die unserer Verantwortung für die Natur gerecht werden. Alle müssen endlich die Wahrheit erfahren über das Ausmaß der Schädigung des Wassers, des Bodens und der Luft. Wir alle müssen lernen, unsere Wirtschaft und unsere Bedürfnisse dem Schutz der Umwelt unterzuordnen.

Damit meinen wir soziale Verhältnisse, die erreichte soziale Sicherheit bewahren, entstandene Privilegien und Ungerechtigkeiten abbauen und die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik auf neue Grundlagen stellen. Wir brauchen ein Rechtssystem, das mehr Rechtssicherheit bietet. Die Menschenrechte hat der Staat nicht zu gewähren, sondern zu respektieren.

Wir wollen neu lernen, was Sozialismus für uns heißen kann.

Wir schlagen die Gründung einer Vereinigung "Demokratischer Aufbruch - sozial, ökologisch" vor.

Wir bieten an den Entwurf einer programmatischen Erklärung und einer Satzung. Wir sind für die Zusammenarbeit mit allen Initiativen und Gruppierungen offen, die ihrerseits zu einer demokratischen Umgestaltung der Gesellschaft unterwegs sind.

Programmatische Erklärung

Die Gesellschaft der DDR befindet sich in einer sozialen und politischen Krise. Das Ansehen unseres Landes hat erheblich gelitten. Die Glaubwürdigkeit des Sozialismus im Inneren ist erschüttert.

Die Symptome dieser Entwicklung lassen sich nicht mehr verdrängen.

Der Bürger wird entmündigt. Seine Willensbildung und Kritikfähigkeit wird nicht respektiert. Die Regierung misstraut ihrer Bevölkerung und versucht sie von der Meinungsbildung auszuschließen ("Sputnik-Verbot"). Die veröffentlichte Meinung steht im sichtbaren Widerspruch zur erlebten Wirklichkeit.

Die "Einheit von Partei, Staat und Volk" konnte in ihrem Absolutheitsanspruch nur noch durch eine Verfälschung des Wahlergebnisses vom 7. Mai 1989 aufrechterhalten werden.

In dieser Situation verlassen DDR-Bürger massenweise ihr Land. Jedoch gibt es bisher kein Zeichen für eine Verständigung der SED-Führung mit der Bevölkerung.

So wird die Dringlichkeit zu Reform und Erneuerung des sozialistischen Systems in der DDR unausweichlich.

Nur eine schnelle demokratische Reform kann die inneren und außenpolitischen Probleme lösen.

Dazu muss die Reform "von oben" zu einer "Reform von unten" verbunden werden.

Eine erneuerte Demokratische Republik erfordert:

1. Die Trennung von Staat und Partei(en)

Der Staat stützt sich auf im öffentlichen Dialog ermittelte Werte und gründet sich nicht auf ein Wahrheitsmonopol einer Gruppe oder Partei. Staatliche Organisationen, Institutionen, das Bildungswesen, Verwaltungseinheiten, Staatsorgane und Körperschaften des öffentlichen Rechts unterliegen der öffentlichen Kontrolle und sind keiner Ideologie gegenüber verpflichtet.

2. Die Entwicklung einer freien Öffentlichkeit und der ungehinderte Zugang zur Öffentlichkeit

Die Öffentlichkeit ist ein soziales und moralisches Instrument der gesellschaftlichen Selbstkontrolle und Selbstbewertung. Ihre Einrichtungen arbeiten nach demokratischen Verfassungsgrundsätzen.

3. Die freie Willensbildung und der öffentliche Ausdruck des Willens mit politischen Mitteln

Vorhandene oder neu gegründete Parteien entwickeln eigene Programmprofile, damit die Wahl der Bürger zwischen konkreten, nicht nur personellen, sondern konzeptionellen Alternativen möglich ist.
Gesellschaftliche Organisationen und Massenorganisationen verfolgen ihre Ziele. Sie können ihre Mitglieder nicht mit staatlichen Mitteln an Ideologien binden oder zu Handlungen nötigen.

4. Die Trennung von Staat und Gesellschaft und die gesellschaftliche Kontrolle des Staates

Die ausführenden Organe und die sie kontrollierenden gesetzgebenden Organe sind getrennt.
Die unabhängige Verwaltungs- und Verfassungsgerichtsbarkeit schützen die Grundrechte der Bürger gegenüber der Staatsmacht. Alle individuellen Rechte und Entfaltungsmöglichkeiten kommen zum Zuge (vgl. Vereinbarungen der KSZE). Das Recht auf Freizügigkeit, der ungehinderten Ein- und Ausreise ist garantiert.

5. Die Vergesellschaftung des Eigentums an Produktionsmitteln

Die Fiktion des Volkseigentums, durch die die reale Verfügungsgewalt Weniger über die Produktionsmittel eher verschleiert und der verantwortungslose Umgang Vieler mit den Produktionsmitteln befördert wird, ist aufgegeben. Um den sozialen Effekt der Interessiertheit der Produzenten zu erreichen, gibt es entsprechend der Pluralisierung der Eigentumsformen differenzierte Modelle für Mitbestimmung und Selbstverwaltung der Wirtschaftseinheiten.

6. Das Zusammenspiel von Plan und Markt

Die Planung der Wirtschaft sichert die ökonomische Rationalität, steckt einen allgemeinen Rahmen für wirtschaftliches Handeln ab und sorgt für den Abbau künstlicher Hindernisse. Insbesondere sind Produkt? und Verfahrensinnovationen in einem freien gesellschaftlichen Klima durch Abbau von leistungshemmenden Faktoren befördert. Arbeitsmotivation und Risikobereitschaft beruhen auf der Begünstigung von Eigenverantwortung in der Wirtschaft.

7. Die Gesellschaft als Solidargemeinschaft

Die Solidargemeinschaft der Gesellschaft äußert sich in der gleichberechtigten öffentlichen Anmeldung und Wahrnehmung von Bedürfnissen durch freie Interessenvertretungen. Die "Einheit von Wirtschaftsund Sozialpolitik" beruht auf der sozialen Selbstorganisation der Gesellschaft. Damit sind einerseits Leistung und andererseits Bedürfnisse Gegenstand gesamtgesellschaftlicher Auseinandersetzung und Vereinbarung.

8. Den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft

Ökologische Faktoren gehen zunehmend in die Kostenrechnungen der produzierenden Einheiten ein. Durch ökonomische Strukturveränderungen ergeben sich günstige ökologische Effekte. Die Dringlichkeit der ökologischen Umgestaltung löst zahlreiche individuelle und kollektive Initiativen aus. Der Prozess wird durch demokratische Kontrolle begleitet, die immer neu die tragbaren Risiken aushandelt.

Entsprechend dieser Zielsetzung und in Übereinstimmung von demokratischen Inhalten und Forderungen gibt sich der DA eine Struktur. Als vordringlich werden weiterhin erachtet:

1. Die sofortige Bildung von Vertretungen des DA.

2. Konkrete Benennung von Kontaktstellen.

3. Konstituierung von Facharbeiterkreisen (zum Beispiel Programmausschuss, Verfassungsausschuss, Verwaltungsreform, Ökologie, Gewerkschaft, Wirtschaft, Recht auf Freizügigkeit und ökonomische Faktoren, Kultur und Bildung, Energiepolitik, Abrüstung, Strafjustiz, Gesundheitswesen, Gebiets-, Stadt- und Wohnungsbauplanung, Beziehungen DDR-BRD, Außenpolitik und Europafragen).

4. Beantragung der Legalisierung.

2. Oktober 1989

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