Nun politische Klarheit

Erklärung Lothar de Maizières

Für die historisch so bedeutenden ersten gesamtdeutschen Wahlen schlage ich den 14. Oktober 1990 vor.

Es ist der Tag, an dem auch die Landtagswahlen vorgesehen sind.

Hierfür gibt es im wesentlichen vier Gründe:

1. Ich bin als Ministerpräsident angetreten mit dem Ziel, die Einheit so schnell wie möglich und so gut wie nötig herbeizuführen. Diesem Ziel dient meine ganze Arbeit. Es entspricht auch der Regierungserklärung und der Koalitionsvereinbarung.

Mit dem Staatsvertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion wurde dieser Weg unumkehrbar. Mit dem 1. Juli 1990 eröffneten sich für alle Deutschen in der DDR zum ersten Mal seit 40 Jahren neue Perspektiven für wirtschaftlichen Aufbau und soziale Gerechtigkeit in einer lebenswerten Umwelt. Nach den bisherigen Ergebnissen der Verhandlungen zum Einigungsvertrag steht fest, dass wichtige Verhandlungsziele, die ich mehrfach beschrieben habe, durchgesetzt werden können.

a) Im Grundgesetz soll der Einigungsvertrag so abgesichert werden, dass seine Inhalte auch künftig Bestand haben. Dies gilt insbesondere für die Eigentumsfragen, einschließlich der Ergebnisse der Bodenreform. Ich lege darauf im Interesse der Deutschen in der DDR, aber ebenso im Interesse des Rechtsfriedens im vereinten Deutschland großen Wert.

b) In der Bundesregierung soll für den Aufbau in der Übergangszeit im Kabinett eine besondere Form gefunden werden. Dieses Ministerium wird die Integration der fünf neuen Länder in das vereinte Deutschland fördern, gleichwertige Lebensverhältnisse für die Menschen in diesen Ländern herbeiführen helfen bei schrittweiser Annäherung an die Lebensverhältnisse in den bestehenden elf Ländern und das Treuhandvermögen zum Nutzen der neugebildeten Länder verwalten. Der Grundsatz gilt: Was von den Menschen in der DDR in 40 Jahren erarbeitet wurde, wird ihnen als eine Quelle neuen Wohlstands erhalten bleiben.

c) Für die Beschäftigten, auch in der öffentlichen Verwaltung, werden sozial verträgliche Regelungen geschaffen.

2. Nach dem historischen Treffen des Bundeskanzlers Kohl mit Präsident Gorbatschow sowie den Gesprächen der Außenminister kommt der Fortschritt der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen einem Wahltermin am 14. Oktober 1990 entgegen. Niemand wird durch die deutsche Einheit vor vollendete Tatsachen gestellt. Die Einheit Deutschlands fördert das Zusammenwachsen Europas.

3. Über das Wahlverfahren besteht jetzt Einigkeit. In jüngster Zeit waren mehrere Varianten in der Diskussion. Sie betrafen das Wahlgebiet, die Sperrklausel und die Möglichkeit der Listenverbindung. Mir ging es in dieser Diskussion darum, den Gruppierungen und neuen Bewegungen, die die friedliche Revolution in der DDR in Gang gebracht haben, bei den Wahlen für das erste gesamtdeutsche Parlament eine faire Chance zu geben. Dies ist nur zum Teil gelungen, ich bin realistisch genug, mit dem jetzt vorliegenden Kompromiss zu leben. Die Entscheidung macht den Blick wieder frei für die eigentlichen Themen der deutschen Einheit.

4. Die gesamtdeutsche Wahl schafft politische Klarheit und damit auch wirtschaftliche Sicherheit. Je schneller das geschieht, um so besser für die Sanierung bestehender Betriebe, für neue Investitionen und damit für die Entstehung neuer Arbeitsplätze. Dies haben die letzten Tage immer deutlicher gezeigt. Bei den Vorbereitungen zu den Verhandlungen zum Einigungsvertrag hat die Zwischenbilanz ergeben, dass in den Bereichen Finanzen, Arbeit und Soziales, Wirtschaft, Handel und Landwirtschaft die Probleme der Aufarbeitung von 40 Jahren sozialistischer Misswirtschaft größer sind als erwartet. Dies ist nicht die Stunde der Ressortbewertung. Die Fakten sprechen für sich.

Um jedem Missverständnis vorzubeugen: Es gibt alle Chancen, dass trotz spürbarer Übergangsprobleme die Menschen in den fünf neuen Ländern eine gute wirtschaftliche und soziale Zukunft haben. Die Verbreitung von Pessimismus, die manche zum Programm erheben, wird die positive Entwicklung nicht behindern, höchstens verzögern.

Die Frage nach dem Beitritt ist durch den Wahlvertrag weitgehend geklärt. Ich halte es für richtig, wenn die Volkskammer in der letzten Sitzung vor der Wahl, in einer Sondersitzung, den Beitritt nach Artikel 23 GG in angemessener Form erklärt.

Neue Zeit, Sa. 04.08.1990, Jahrgang 46, Ausgabe 180

Δ nach oben