"Die Regierung Polens wird das diskriminierende Vorgehen gegenüber polnischen Bürgern in der DDR nicht tolerieren." Das erklärte der Generaldirektor des polnischen Außenministeriums, Boguslaw Miernik, am Wochenende vor der Presse in Warschau. In Wahrnehmung der Obhutspflicht für ihre Staatsbürger werde die polnische Regierung möglicherweise Konsequenzen aus der entstandenen Situation ziehen. Dies habe er auch bei Verhandlungen "über den Verzicht diskriminierender Praktiken gegenüber polnischen Staatsbürgern" mit der DDR deutlich gesagt.
Miernik erklärte, dass seine Delegation es abgelehnt habe, irgendwelche Dokumente über die Gespräche zu unterschreiben, weil die Unterschrift der polnischen Seite in der DDR dahingehend interpretiert hätte werden können, dass Polen die Aufrechterhaltung der Verbote akzeptiert. Das Gegenteil sei aber der Fall. "Wir werden nun das weitere Vorgehen der DDR-Behörden aufmerksam beobachten und entsprechend der Situation reagieren", kündigte Miernik an.
Zuvor hatte der Generaldirektor über die Gespräche mit der DDR informiert. Die polnische Seite habe unter anderem die Feststellung der DDR, dass ihre Entscheidung aus der Notwendigkeit der Stabilisierung des Binnenmarktes resultiere und sich nicht gegen Bürger Polens richte, als „nicht den Tatsachen entsprechend" zurückgewiesen. Dafür seien zahlreiche Beweise angeführt worden.
Miernik behauptete, dass das Vorgehen von Zoll- und Sicherheitsorganen gegen polnische Bürger von einer „antipolnischen Propagandakampagne" begleitet sei. Polen seien von vor Geschäften postierten Kräften der Zollfahndung kontrolliert und nicht eingelassen worden. Ebenso sei ihnen der Zutritt in Bars und Restaurants verweigert worden. Polizisten hätten Polen auf offener Straße festgenommen, in Arrest gebracht oder ihnen die Reisepässe entzogen, erklärte Miernik der Presse. Er nannte es eine besorgniserregende Erscheinung, dass in einer Berliner Oberschule in Anwesenheit polnischer Kinder die Worte "Ausländer raus!" gefallen seien.
Auch habe er, Miernik, gegenüber der DDR-Seite festgestellt, daß nicht die polnischen Touristen für die Desorganisation des Marktes in der DDR verantwortlich gemacht werden können. So seien nach Öffnung der Grenzen bereits zwölf Millionen DDR-Bürger in den Westen gereist und hätten dorthin Waren und drei Milliarden DDR-Mark gebracht. Auf den Hauptmärkten Westberlins würden DDR-Bürger vorherrschen. Trotz der schwierigen Wirtschaftslage, in der Polen sich befinde, habe die polnische Regierung keine Restriktionen gegenüber den rund 610 000 DDR-Bürgern ergriffen, die seit Jahresbeginn nach Polen kamen.
(Neues Deutschland, Mo. 04.12.1989)
Der Botschafter der DDR in Polen, Jürgen van Zwoll, hat sich am Sonnabend im polnischen Fernsehen mit der dringenden Bitte um Verständnis für die eingeleiteten Zoll- und Handelsmaßnahmen der DDR-Regierung an die Öffentlichkeit der VRP gewandt.
Der Botschafter sagte, dass er die Empörung und den Protest der polnischen Öffentlichkeit verstehe. Er wies darauf hin, dass die Entscheidungen im Ergebnis einer ernsthaften Bedrohung des DDR-Marktes getroffen wurden. Diese Bedrohung sei aus inneren Schwierigkeiten entstanden. Eben deshalb müssten sowohl die Einschätzung über das Ausmaß der Bedrohung als auch die daraus resultierenden Schritte Angelegenheit der DDR-Regierung sein und bleiben. Mit diesem, wie van Zwoll sagte, unnormalen Zustand müsse man eine Zeitlang leben. Er versicherte jedoch, dass die gegenwärtigen Bestimmungen vorübergehend seien.
Der Diplomat entschuldigte sich im Namen seiner Regierung bei all den Polen, denen in der DDR Eigentum beschädigt, die beleidigt oder in anderer Weise unwürdig behandelt wurden. Er distanzierte sich von solchen Vorgängen, die aus vorübergehenden Emotionen, Nervosität und Erregung, manchmal aber auch aus dem ungesunden Grund des Nationalismus erwüchsen. In einer Zelt, in der die DDR sich weiter gegenüber der Welt öffne, wolle sie auch eine neue Qualität der Beziehungen mit Polen. Das habe Hans Modrow in seiner Regierungserklärung nachdrücklich bestätigt. Deshalb appelliere er an die polnische Seite, an die Ehrlichkeit der Pläne seiner Regierung und der Mehrheit der DDR-Bevölkerung zu glauben. Die Menschen dies- und jenseits von Oder und Neiße einige viel mehr als sie trenne.
(Neues Deutschland, Mo. 04.12.1989)