In mehreren Staaten der Republik demonstrierten gestern wiederum Bürger, um ihren Forderungen nach wirksamen Veränderungen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft Nachdruck zu verleihen.
Leipzig: Für freie Wahlen, dauerhafte, gesetzlich verbrieft« Reisefreiheit und gegen den Anspruch auf eine führende Rolle der SED gingen in Leipzig schätzungsweise 200 000 Bürger auf die Straße. Der kilometerlange Demonstrationszug hatte sich auf dem Karl-Marx-Platz formiert, wo Sprecher des neuen Forum über Megaphone dazu aufriefen, einen Ausverkauf der DDR durch Schwarzarbeit und Schacher im Westen zu verhindern. Gleichzeitig warnten sie vor Opportunisten und Demagogen im eigenen Land. "Offene Grenzen ganz allein kann nicht die einzige Freiheit sein, nur SED - Nee!". "Die Mauer hat ein Loch, aber weg muss sie doch!", "Führungsanspruch der SED taut bei Wahlen weg wie Schnee" und "Freie Wahlen, wahre Zahlen" waren die Hauptaussagen der mitgeführten Losungen.
Während des Marsches um die Innenstadt, der den Verkehr im Zentrum lahmlegte, trugen Bürger auch zur Sicherung öffentlicher Gebäude bei. Die Demonstration löste sich gegen 20.15 Uhr friedlich auf.
Dresden: Hunderttausend Einwohner Dresdens stellten auf einer Protestkundgebung den Anspruch auf eine führende Rolle der SED in Frage. Vertreter von Bürgerinitiativen und von Parteien ergriffen das Wort. Arnold Vaatz vom Neuen Forum forderte einen unverzüglichen Volksentscheid zum Paragraphen 1 der Verfassung der DDR. Horst Korbella bekundete, er sehe als katholischer Christ eine neue Gemeinsamkeit aller Parteien und der neuen Gruppen als einzigen Weg zur Gestaltung der Heimat. Er erinnerte an die geschichtliche Erfahrung von 1945, als die Kommunisten ihre Hände dem Volk entgegenstreckten. Heute sei es an der Zeit, dies umgekehrt zu tun, denn ohne SED sei das Land nicht zu regieren. Der Sozialismus höre mit der Vorherrschaft der SED nicht auf; sondern bekäme einen wahrhaft demokratischen Charakter, sagte Jürgen Bönninger von der Gruppe "Demokratie jetzt". Vorschläge für eine umfassende Wirtschaftsreform brachte Dr. Frank Tellkamp von der NDPD ein. Die Kundgebung, der eine Demonstration durch das Stadtzentrum vorausging, war von zehn basisdemokratischen Gruppen Dresdens organisiert worden.
Karl-Marx-Stadt: Mehr als 50 000 Karl-Marx-Städter formierten sich in einem kilometerlangen Marsch zum Zentrum ihrer Stadt. Auf Losungen und in Sprechchören wurden freie Wahlen und ein Volksentscheid über den Paragraphen 1 der Verfassung der DDR gefordert. Auf einer anschließenden Zusammenkunft verlangten Vertreter des Neuen Forum unter anderem die Bestrafung derer, die für die Misswirtschaft verantwortlich sind.
Cottbus: Für mehr als 10 000 Cottbuser Bürger war der Platz vor der Stadthalle Treffpunkt, zu dem die SED-Parteiaktivs der Lausitzer Bezirksstadt und des Kreises Cottbus-Land sowie die Bürgerinitiative Neues Forum eingeladen hatten.
(Berliner Zeitung, Di. 14.11.1989)
Auch in Magdeburg, Neubrandenburg und Schwerin fanden Demonstrationen statt.
(Neues Deutschland, Di. 14.11.1989)
Obwohl die Demonstration mit anschließender Kundgebung wegen dichtem Nebel in Halle abgesagt wurde, versammeln sich auf dem Marktplatz 3 000 bis 4 000 Personen. Sie bewegen sich durch die Innenstadt zum Gebäude der SED-Bezirksleitung. Die Abschaffung des Führungsanspruches der SED wird verlangt und brennende Kerzen vor dem Gebäude abgestellt.
Vor der Eissporthalle versammeln sich ca. 800 Personen zu einer Diskussion.
Nach einem Friedensgebet in der Martinskirche, kommt es in Bernburg (Saale) zu einer Demonstration mit Ziel Rathaus.
Nach einem "Friedensgebet" im Merseburger Dom formiert sich ein Demonstrationszug von ca. 800 Personen. Vor der MfS-Kreisdienststelle werden brennende Kerzen abgestellt.
Ein Schweigemarsch gegen Fluglärm findet in Neuruppin statt.
Auf der Kundgebung im Anschluss an eine Demonstration in Wismar werden die Redner der SED ausgepfiffen. Eine Kundgebung findet auch in Guben und Luckau auf dem Marktplatz statt.
An dem Aufruf zur Kundgebung in Magdeburg dazu beteiligte sich auch der Oberbürgermeister.