Demonstrationen, Kundgebungen und Dialogveranstaltungen November 1989


Mi. 01.11.
In mehreren Städten der DDR demonstrierten auch am Mittwochabend zahlreiche Bürger. In Neubrandenburg schlug Oberbürgermeister Dr. Heinz Hahn vor rund 20 000 Demonstranten vor, Initiativgruppen interessierter Bürger bei den ständigen Kommissionen zu bilden. Mehrere zehntausend Menschen formierten sich in Frankfurt (Oder) zu einem Zug durch die Innenstadt und hielten anschließend auf dem zentralen Platz eine Kundgebung ab. Auch in Freital und Ilmenau fanden Demonstrationen statt.

Genossen in der Nähe des Mikrofons platzieren, in Reden Konzentration auf kleine Problem, damit größere nicht angesprochen werden können, Beschallung und Schutz der Demonstration durch die Volkspolizei, sind Überlegungen, die im Vorfeld der Demonstration bei der SED-Bezirksleitung Neubrandenburg angestellt wurden.

In Neubrandenburg ziehen die Demonstranten durch die Innenstadt. Kundgebung auf dem Karl-Marx-Platz.

Zu einer Demonstration kommen rund 6 000 Personen auf dem Neumarkt in Senftenberg zusammen. Neben der Zulassung des Neuen Forum werden Forderungen nach freie Wahlen, Meinungs-, Presse- und Reisefreiheit erhoben.

Demonstrationen gibt es auch in Bützow, Erfurt, Gera, Guben, Halberstadt, Halle, Hildburghausen, Ilmenau, Karl-Marx-Stadt, Neustrelitz, Pasewalk, Penzlin, Quedlinburg, Rostock, Stendal und Teterow.

In Potsdam-Babelsberg findet eine Kundgebung der Gruppe "Kontakte" statt. Es wird auch zur Demonstration am 04.11. aufgerufen.

Im Festsaal des neuen Rathaus in Leipzig findet eine Dialogveranstaltung mit dem Oberbürgermeister, Dr. Bernd Seidel, statt.

Do. 02.11.
In mehreren Städten der DDR gaben auch gestern Abend Bürger ihren Forderungen mit Demonstrationen Nachdruck.

Zehntausende Erfurter nahmen mit brennenden Kerzen an einer Schweigedemonstration durch das Zentrum zum Domplatz teil. Auf Transparenten forderten sie mehr Demokratie, die Zulassung von Initiativgruppen, sinnvolle Altstadtsanierung und die Abschaffung von Privilegien.

Nach Gottesdiensten in drei Kirchen formierten sich in Gera über 10 000 Menschen zu einer friedlichen Demonstration.

Das Mitglied des Politbüros des Zentralkomitees der SED Hans-Joachim Böhme, 1. Sekretär der Bezirksleitung und weitere Gesprächspartner standen etwa 10 000 Hallensern auf dem Marktplatz der Saalestadt Rede und Antwort.

Vor dem Wilhelm-Pieck-Monument versammelten sich rund 15 000 Einwohner zu einer genehmigten Demonstration des "Neuen Forums". In Sprechchören und auf Transparenten forderten sie Offenheit, Machtkontrolle, weitere personelle Konsequenzen sowie Änderungen des Wahlrechts und im Staatsbürgerkundeunterricht.

In Teterow bewegen sich die Demonstranten vom Marktplatz zum Platz des Friedens.

Auch in Auerbach, Großenhain, Plauen, Riesa, Rostock und Sebnitz wird demonstriert.

Die Dialogveranstaltung im Kulturraum der Gießerei Ueckermünde muss wegen des großen Andrangs in den Ueckerpark verlegt werden.

In der Halle der Freundschaft in Nordhausen findet die erste einer Reihe von Podiumsdiskussionen statt.

Fr. 03.11.
In verschiedenen Städten der DDR verliehen auch am Freitagabend Bürger ihren Forderungen nach Veränderungen im Leben der Städte und Gemeinden Ausdruck. In Karl-Marx-Stadt schlossen sich rund 20 000, vor allem junge Bürger einer Demonstration im Zentrum der Stadt an. Vor dem Rathaus gaben Oberbürgermeister Dr. Eberhard Langer und Rainer Hufenbach von der "Gesprächsgruppe der 25" Ergebnisse des dritten Rathausgesprächs bekannt. Im Anschluss an eine Friedensandacht versammelten sich in Eberswalde-Finow rund 3 000 Bürger zu einer Demonstration. Vor mehreren 10 000 Bürgern legte Dessaus Oberbürgermeisterin Sylvia Retzke dar, dass sie und ihr Rat mit vielen der Forderungen, die zuvor auf der genehmigten Demonstration aufgestellt wurden, übereinstimmen. Zu einer Demonstration trafen sich rund 6 500 Bürger von Güstrow und aus Orten der Umgebung. Rund 50 000 Erfurter nahmen an einer Diskussion auf dem Domplatz teil.

Nach der Demonstration in Dessau findet auf dem Rathausplatz eine Dialogveranstaltung statt. Die Kritik richtete sich besonders gegen die SED, den Rat der Stadt und der Oberbürgermeisterin.

Während einer Demonstration in Dresden wird die Zulassung des Neuen Forum, Verzicht auf die führenden Rolle der SED und Neuwahlen gefordert.

Demonstrationen gibt es auch in Görlitz, Schleusingen, Sebnitz, Treffurt und Welzow.

Auf dem Kirchplatz vor der Stadtkirche in Caulau findet eine Versammlung im Freien statt. In Erfurt versammeln sich Zehntausende auf dem Domplatz.

Dialogveranstaltung auf dem Marx-Engels-Platz in Bernburg (Saale).

Sa. 04.11.
Offiziell beantragt und genehmigt, findet in Berlin mit Hunderttausenden Teilnehmern die, wie Rechtsanwalt Dr. Gregor Gysi, einer der 27 Sprecher, feststellt, größte Demonstration und Kundgebung in der Geschichte der DDR statt, die als erste nicht von oben, sondern von unten organisiert worden ist.

Der Aufruf zu dieser Willenskundgebung war von Künstlern der Berliner Theater ausgegangen, denen sich später der Verband der Bildenden Künstler, der Verband der Film- und Fernsehschaffenden und das Komitee für Unterhaltungskunst anschlossen. In einem Presseinterview äußern die Mitinitiatoren Wolfgang Holz (Berliner Ensemble), Johanna Schall und Thomas Neumann (Deutsches Theater) über Inhalt und Anlass der Demonstration und mit ihr verbundener Forderungen u. a.:

"Veränderung hat begonnen, aber unser Misstrauen ist noch nicht beseitigt. Bisher vollzogene personelle Veränderungen sind unbefriedigend. Die Analyse der Lage unseres Landes, die ehrliche Selbstkritik der politisch Verantwortlichen steht weiterhin aus. Wir sind dafür, dass es weitergeht. Die Menschen in unsrem Land sind wach geworden. Jetzt geht es darum, dass sie wach bleiben.

Verfassungsgrundsätze müssen eingehalten, Diskrepanzen zur Gesetzgebung verändert werden. Das Recht muss durchschaubar und für die Menschen anwendbar sein. Rechtssicherheit ist eine wesentliche Grundlage für die Entwicklung der sozialistischen Demokratie. Uns geht es auch um grundsätzliche Veränderungen in der Medienpolitik, die künftig Machtmissbrauch einzelner ausschließt. Sorgen machen uns die Probleme in der Volksbildung, in der Erziehung junger Menschen überhaupt.

Der Magdeburger Bezirksvorstand Bildender Künstler hatte seine Mitglieder und alle Bürger am Sonnabend zu einer Demonstration für Offenheit, Ehrlichkeit, Rechtssicherheit, durchgängige Fachkompetenz in allen Ebenen und gegen konjunkturelles Reformertum aufgerufen. Nach Schätzung der Veranstalter hatten sich auf dem Domplatz rund 40 000 versammelt. In einer von Schriftsteller Bernd Wolff verlesenen gemeinsamen Erklärung der Künstlerverbände hieß es unter anderem: "Im Dialog darf niemand behindert oder eingeschränkt werden. Wir treten ein für eine faire Auseinandersetzung, gegen jede Form von Diktatur, Bevormundung, Besserwisserei und Herabwürdigung, gegen Übergriffe und Gewalt von beiden Seiten."

Zu dieser fairen Auseinandersetzung kam es auf dem Domplatz jedoch leider nicht. Der 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung, Werner Eberlein, Mitglied des Politbüros des ZK der SED, und Oberbürgermeister Werner Herzig konnten die an sie gerichteten Fragen kaum beantworten, weil sie von lauten Zwischenrufen immer wieder unterbrochen wurden.

Befragt nach seinem persönlichen Leben bestätigte Werner Eberlein, dass sein Vater und weitere Verwandte während der Zeit der Repressionen in der Sowjetunion umgebracht wurden. Er selbst habe acht Jahre hart in Sibirien gearbeitet, um zum Sieg über den deutschen Faschismus beizutragen. Der OB erklärte nun seine Bereitschaft zum Dialog auch in großen Sälen und auf Marktplätzen.

In Jena waren rund 40 000 Einwohner am Sonnabendnachmittag der Einladung des Rates auf den Platz der Kosmonauten gefolgt. Oberbürgermeister Hans Span konnte über erste Veränderungen seit dem Rathausgespräch vom vergangenen Montag informieren: So wurde an den Schulen der Wehrkundeunterricht ausgesetzt, die Offenlegung der Umweltdaten begann, und über 200 Mitarbeiter des Rates, aus dem Apparat von Parteien und Massenorganisationen werden in den kommunalen Bereich delegiert.

In Lauscha beteiligten sich nach einem Gottesdienst in der Kirche am Sonnabendabend 2 000 Einwohner an einer Demonstration.

Am Sonnabend waren in Rostock über 30 000 Bürger auf die Straße gegangen.

Suhl. Über 20 000 Bürger des Bezirkes Suhl fanden sich am Sonnabend auf dem Ernst-Thälmann-Platz der Stadt zusammen. Zuvor hatten sie sich an Kirchen eingefunden, in denen Friedensgebete stattfanden. Danach formierten sie sich zu einer genehmigten Demonstration durch das Stadtzentrum.

Arnstadt: Mehrere Tausend Demonstranten zogen durch das Zentrum von Arnstadt. Auf Transparenten forderten sie freie Wahlen und die Zulassung des "Neuen Forum", Pressefreiheit und den Rücktritt der Regierung.

Altenburg: Auf einer genehmigten Demonstration forderten 10 000 bis 12 000 Bürger ungehindertes reisen und freie Wahlen.

Röbel: Für eine demokratische Erneuerung und eine Wende in der Politik der DDR sprachen sich am Sonnabendnachmittag mehr als 3 500 Einwohner der Kreisstadt in einer zweistündigen Demonstration aus.

Einer Kundgebung vor dem Rathaus in Freiberg schließt sich eine Demonstration von ca. 5 000 Personen an. Es wird die Zulassung des Neuen Forum, freie Wahlen, die Abschaffung des MfS und die Trennung von Staat und SED gefordert.

Nach einem Gottesdienst in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Lengenfeld (Kreis Reichenbach) formiert sich am Abend ein Demonstrationszug mit rund 3 000 Personen. Es werden u.a. freie Wahlen gefordert.

In Plauen beteiligen sich 30 000 Personen an der Demonstration im Stadtzentrum. Sie führt vorbei an der Kreisdienststelle des MfS, dem Kreiskommando der NVA und der SED-Kreisleitung. Vor dem Rathaus findet eine Kundgebung statt.

In Wittenberg bewegen sich rund 10 000 Demonstranten vom Elbe-Elster-Theater zum Marktplatz. Auf der Kundgebung werden der Bürgermeister, der 1. Sekretär der Kreisleitung der SED und der Generaldirektor des VEB Agrochemie ausgepfiffen. Der Kundgebung schließt sich eine Gesprächsrunde an.

Nach einem Bericht des MfS vom 05.11. nehmen in Potsdam 20 000 Personen an einer genehmigten Demonstration teil. "... heftige Sprechchöre konzentrierten sich vorrangig auf die Diffamierung des MfS", ist dort zu lesen. "('Stasi raus', 'Stasi in die Produktion', 'Schließt euch an')". Nach Ende der Demonstration bewegen sich 500 Personen zur Bezirksverwaltung des MfS. Sie riefen "wir kommen wieder".

Auch in vielen anderen Städten der DDR wird demonstriert. So in Annaberg, Crimmitschau, Dahme, Dresden, Gadebusch, Lauscha, Ludwigslust, Oberpöllnitz, Parchim, Schwerin.

Ein mehrstündiges "Rathausgespräch" findet in Frankfurt statt.

So. 05.11.
Mehrere tausend Demonstranten zogen durch das Zentrum von Arnstadt und forderten u. a. die Zulassung des "Neuen Forum".

Mehr als 15 000 Dresdner Bürger trafen sich vor dem Hygiene-Museum. Sie formierten sich zu einem Demonstrationszug und brachten den Straßenverkehr zum Erliegen.

Auch in Plauen und mehreren Städten des Bezirkes Schwerin kam es zu Demonstrationen.

Rostock. Den Abschluss einer Serie von 14 Foren mit 12 000 Teilnehmern bildete am Sonntag in der Rostocker Sport- und Kongresshalle ein öffentliches Gespräch über "Parteienpluralismus und Bürgermitbestimmung". Dabei diskutierten Bezirksvorsitzende der im demokratischen Block vereinten Parteien sowie Vertreter von FDJ und DFD mit über 800 Rostocker Bürgern. In vorangegangenen Foren war über Stadtentwicklung, Umweltschutz, Wohnungspolitik, Jugend-, Medien- und Informationspolitik, Versorgung, Gesundheitswesen, Handwerk u. a. gesprochen worden.

Karl-Marx-Stadt. Das Verlangen nach einem Volksentscheid zur Verfassung, nach einem neuen Wahlgesetz und der Zulassung des "Neuen Forums" bestimmte am Sonntag in der Mensa der Technischen Universität Karl-Marx-Stadt die Atmosphäre. Rund tausend Bürger hatten sich dort zu einer umfassenden Aussprache zusammengefunden.

Im Zeitraum vom 30. Oktober bis 5. November 1989 fanden ca. 230 politisch geprägte Veranstaltungen mit fast 300 000 Teilnehmern in kirchlichen Räumen statt. Das ist eine wesentliche Zunahme sowohl von der Anzahl her als auch hinsichtlich der Beteiligung gegenüber der Vorwoche. Insbesondere in den Südbezirken Gera, Karl-Marx-Stadt und Erfurt ist eine territoriale Ausweitung solcher Veranstaltungen von den Bezirksstädten auf Kreisstädte und Gemeinden zu verzeichnen.

Im Ergebnis sowohl des anhalten Drucks von Kräften aus Sammlungsbewegungen als auch der Fortführung des Dialogs kam es in der Woche vom 30. Oktober bis 5. November 1989 ebenfalls zu einer Ausweitung öffentlicher Demonstrationen und Massenansammlungen in allen Bezirken der DDR und der Hauptstadt Berlin. Bei gestiegener Anzahl solcher Veranstaltungen hat sich die Zahl der daran teilnehmenden Personen verdreifacht. Nach vorliegenden Hinweisen beteiligten sich über 1,35 Millionen Menschen an mehr als 210 Demonstrationen, Kundgebungen u.ä. Veranstaltungen (Vorwoche: 145/über, 540 000 Teilnehmer).

Zu einer von Künstlern organisierten Demonstration am Vormittag in Stralsund kommen rund 8 000 Personen.

Nach Gottesdiensten kommt es in Hohenstein-Ernstthal und Ueckermünde zu Demonstrationen.

Demonstriert wird am Abend in Freiberg. Auch in Gößnitz wird demonstriert.

In Guben findet eine öffentliche Anhörung zum örtlichen Polizeieinsatz gegen die sich am 07.10. am Wilhelm-Pieck-Denkmal versammelten statt.

Eine Dialogveranstaltung wird in Bad Salzungen durchgeführt.

Bürgerinnengespräche finden in Berlin, Dresden, Gera, Leipzig und anderen Städten der DDR statt.

Mo. 06.11.
Hunderttausende Leipziger und Bürger aus anderen Bezirken vereinten sich gestern Abend zur bisher machtvollsten Demonstration auf dem Karl-Marx-Platz der Messestadt. In Sprechchören und auf Transparenten forderten sie weitere spürbare Veränderungen auf dem Wege einer demokratischen Erneuerung des Landes. Hauptaussagen ihrer Losungen waren unter anderem: "Reisegesetz ohne Einschränkungen" und "Schluss mit dem Führungsanspruch der SED - Verfassungsänderung BildArtikel 1!".

Zwischen Oper und Gewandhaus, wo sich trotz anhaltenden Regens die Menschen dicht an dicht drängten, ergriffen Arbeiter, Abgeordnete sowie Vertreter von Parteien, staatlichen Einrichtungen sowie dem "Neuen Forum" das Wort. Nicht erneut über Trennendes reden, sondern gemeinsam nach Wegen suchen, wie aus der Misere herauszukommen sei, verlangte der Leipziger Stadtverordnete Bernhard Knupp (SED). Das sei nur mit neuen Leuten in Partei- und Staatsführung zu erreichen. In diesem Zusammenhang forderte der Abgeordnete den sofortigen Rücktritt von Politbüro und Regierung.

Immer wieder vom Ruf "Wir sind das Volk!" begleitet, rief ein Arbeiter auf, mit dem Missbrauch der Macht Schluss zu machen. Nur durch eine direkt vom Volk gewählte Regierung könne Vertrauen wiedergewonnen werden. Ein weiterer Sprecher verlangte die Zurücknahme des neuen Reisegesetzentwurfes: "Was nutzen Reiseerleichterungen mit einem Bettelsack auf dem Rücken?!" Gegen Missfallensbekundungen ankämpfend, versuchte sich der neugewählte 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung, Dr. Roland Wötzel, Gehör zu verschaffen. Das kleine, zarte Pflänzchen, das in Leipzig erste Blüten getrieben habe, müsse weiter gedeihen, sagte er. Unter dem Beifall der Versammelten verlangte als Sprecher des "Neuen Forums" Pfarrer Martin Kind die Legalisierung dieser bisher nicht zugelassenen Gruppierung.

Halle (ND). Nachdem einige tausend Einwohner kurz nach 17.00 Uhr durch die Innenstadt demonstrierten, stellten sich den auf dem Marktplatz versammelten 60 000 Bürgern Mitglieder des Sekretariats der SED-Bezirksleitung, Bezirksvorsitzende weiterer Parteien sowie der Rat der Stadt zum Disput der emotionsgeladen geführt wurde. Gegenüber Hans-Joachim Böhme, Mitglied des Politbüros des ZK der SED und 1. Bezirkssekretär, brachten die Demonstranten heftige Kritik vor. In seiner Antwort bekannte er sich zur Politik der Wende und sagte, für ihn seien diese Tage eine Lektion fürs Leben.

Der 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Halle, Hans-Joachim Böhme, wird ausgebuht und angespuckt. Er muss vor körperlichen Attacken geschützt werden. Sein Rücktritt wird gefordert.

Das MfS in Halle befürchtet, dass die Demonstranten in das Gebäude der Bezirksverwaltung eindringen könnten. Was aber von diesen gar nicht beabsichtigt war. Vor dem Gebäude der SED-Bezirksleitung werden brennende Kerzen abgestellt.

Karl-Marx-Stadt (ADN). Mehr als 50 000 Menschen versammelten sich am Montagabend in einem Demonstrationszug im Zentrum von Karl-Marx-Stadt. Sie forderten ehrliche und radikale Losungen für die herangereiften Probleme, kritisierten zu langes Reden ohne Taten.

Nach heftigen Unmutsäußerungen ergriff der 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung, Siegfried Lorenz, Mitglied des Politbüros das Wort "Der Aufbruch in der DDR ist den Kundgebungen zu danken. Ich stehe zu einer radikalen Erneuerung des Sozialismus, in dem wahre Demokratie gebraucht wird wie, die Luft zum Atmen", erklärte er.

Die Rede des 1. Sekretärs der SED-Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt, Siegfried Lorenz, geht in Rufen und Pfiffen unter.

Cottbus (ND). Über zehntausend Cottbuser versammelten sich am Montagabend vor der Stadthalle, auf der unterschiedlichste Meinungen geäußert, Anfragen vorgetragen und Antworten von Funktionären der Parteien und des Staates, von Bürgern verschiedener Schichten und Organisationen gegeben wurden. Es ist harte Arbeit erforderlich, um die eingeleitete Politik der Erneuerung auf allen Gebieten unseres Lebens zu verwirklichen, sagte Werner Walde, Kandidat des Politbüros und 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED. Dafür wolle auch die SED ihr Potential, ihre Vorschläge einbringen.

Schwerin (ADN). Im Anschluss an ein Friedensgebet bildete sich am Montag in Schwerin ein Demonstrationszug von rund 25 000 Bürgern. Kurze Ansprachen von Vertretern des Neuen Forums sowie der LDPD leiteten den friedlichen Marsch durch die Innenstadt ein. Die Demonstranten sprachen sich, unter anderem für die Zulassung neuer Bewegungen, freie Wahlen, Gleichberechtigung der Parteien und umfassende Reformen aus.

Erfurt (ADN). An einer oft erregt geführten Diskussion in der überfüllten Erfurter Predigerkirche, zu der Organisationen des Neuen Forums eingeladen hatten, beteiligten sich am Montag fast alle Mitglieder des Rates des Bezirkes. "Hier geht es nicht in eine Ungewisse Zukunft, hier kann es nur noch besser werden", sagte unter lang anhaltendem Beifall einer der Diskussionsredner an die Adresse all jener gewandt, die sich mit dem Gedanken tragen, die DDR zu verlassen. Die Kundgebungen hielten in einigen Städten bei Redaktionsschluss noch an, so auch in Magdeburg und Dresden.

Bei der Kundgebung auf dem Alten Markt in Magdeburg bekommt der Oberbürgermeister den Unmut der Versammelten zu spüren.

Nach vorliegenden Hinweisen nahmen an ca. 100 bedeutenden Dialog - und Protestveranstaltungen mehr als 750 000 Personen teil. Der Einfluss des "Neuen Forum" und anderer Sammlungsbewegungen wächst. Es verstärken sich Anzeichen der Ablehnung des Dialogs. Die erhobenen Forderungen tragen zunehmend radikalen und ultimativen Charakter.

Massencharakter nahmen die Demonstrationen und Kundgebungen erneut vor allem in Leipzig (über 200 000 Teilnehmer), Karl-Marx-Stadt (100 000 Teilnehmer), Dresden und Halle (jeweils ca. 80 000 Teilnehmer), Magdeburg und Cottbus (jeweils ca. 32 000 Teilnehmer) an. Zu Ausschreitungen kam es nicht. In einer sich weiter zuspitzenden Atmosphäre in Halle forderten die Teilnehmer den Rücktritt des 1. Sekretärs der Bezirksleitung der SED und der SED Stadtleitung sowie des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes.

Die Teilnehmer eines Dialoggespräches im Anschluss an eine Demonstration in Karl-Marx-Stadt verhinderten durch Sprechchöre und Pfiffe weitgehend die Rede des 1. Sekretärs der Bezirksleitung der SED.

Während einer Demonstration vor einer Montagsandacht der Katholischen Kirche in Henningsdorf wurde ein Brief an den Minister für Staatssicherheit mit der Forderung nach Beseitigung des MfS verlesen.

Nach einer Demonstration in Aue wird vor dem Kreiskulturhaus "Ernst Thälmann" eine Kundgebung abgehalten. Der 1. Sekretär der SED-Kreisleitung sieht sich mit Protesten und Rücktrittsforderungen konfrontiert.

In der Nikolaikirche in Pritzwalk findet die erste Informationsveranstaltung des Neuen Forum statt. Im Anschluss kommt es zu einer Demonstration. Auf dem Flugblatt zum Aufruf der Demonstration werden grundlegende Veränderung im Staat gefordert. Forderungen sind Meinungs-, Rede-, Reise- und Versammlungsfreiheit sowie die Zulassung der neu entstandenen Organisationen.

Die Demonstranten in Bernburg (Saale) ziehen vor den Sitz der SED-Kreisleitung und der MfS-Kreisdienststelle. Vor der SED-Kreisleitung werden brennende Kerzen aufgestellt. Es wird der Rücktritt des 1. Sekretärs gefordert. Zuvor fand ein Gottesdienst in der Martinskirche statt.

Nach einem "Friedensgebet" im Merseburger Dom formiert sich ein Demonstrationszug durch die Innenstadt vorbei an der MfS-Kreisdienstelle und der SED-Kreisleitung zur Stadtkirche. Es wird "Stasi raus" und "Stasi in die Volkswirtschaft" gerufen. Brennende Kerzen werden abgestellt.

Die Ablösung des 1. Sekretärs der SED-Kreisleitung wird während einer Veranstaltung in der Marienkirche in Atern gefordert. "Anwesende SED-Mitglieder verhielten sich passiv", ist in einem Bericht des MfS zu lesen.

"Eine anschließende Demonstration mit ca. 450 Teilnehmern verlief ruhig. An den Objekten der Kreisleitung, des Rates des Kreises, der Kreisdienststelle wurden Plakate, Transparente abgestellt/angehangen."

Erste Großkundgebung in Stendal auf dem Marktplatz.

Nach dem Gebet zur gesellschaftlichen Erneuerung im Magdeburger Dom, findet eine Kundgebung auf dem Alten Markt statt.

Zu Demonstration kommt es auch in Apolda, Bad Blankenburg, Bautzen, Friedland (Bezirk Neubrandenburg), Hoyerswerda, Königsbrück, Malchow, Nordhausen, Oelsnitz, Oschatz, Pößneck, Rabenau, Sonneberg, Templin, Waren, Wernigerode, Wurzen, Zwickau und weiteren Städten.

Während eines Jugendforums im Kreiskulturhaus in Weißenfels wird die Trennung von FDJ und Schule sowie den Rücktritt des 1. Sekretärs der SED-Kreisleitung gefordert.

In der evangelischen Stadtkirche in Mittweida findet eine Podiumsdiskussion statt.

Eine Dialogveranstaltung findet im großen Saal des Kulturhauses "7. Oktober" in Suhl statt.

In mehren Städten gibt es am Abend Diskussionsveranstaltungen.

Di. 07.11.
In Wismar demonstrierten am Dienstagabend vor dem Rathaus rund 50 000 Einwohner. In Nordhausen kamen am gleichen Tag 35 000 bis 40 000 Bürger auf dem August-Bebel-Platz zusammen, und rund 20 000 Menschen versammelten sich in Meiningen.

Mehrere tausend Bürger, vor allem Jugendliche, demonstrierten gestern am späten Nachmittag im Berliner Stadtzentrum für freie Wahlen. Im Zug wurden Transparente getragen mit der Aufschrift "Für eine freie Kommunalwahl 1990" und "Wahlbetrüger vors Gericht". Vor der Volkskammer, dem Staatsratsgebäude und dem Haus des Zentralkomitees der SED riefen sie "Wir sind das Volk" und "Alle Macht dem Volke und nicht der SED".

In mehreren Städten kommt es zu Demonstrationen.
In Anklam sollen es 1 200, in Bad Salzungen 5 000, in Bitterfeld 800, in Genthin 1 500, in Lobenstein 3 000, in Meißen 5 000, in Naumburg 1 200, in Penig 1 500, in Pulsnitz 1 000, in Rathenow 9 000, in Roßlau 2 000, in Schmiedefeld 800, in Weimar 45 000 und in Wittenberg rund 3 500 Menschen sein.

Dialogveranstaltungen werden in Weißenfels und Zschopau abgehalten.

Mi. 08.11.
Mehr als 25 000 Neubrandenburger kamen am Mittwochabend nach einer Demonstration auf dem Karl-Marx-Platz im Zentrum der Stadt zusammen. Redner von Parteien, dem Neuen Forum sowie weitere Bürger brachten ihre unterschiedlichen Standpunkte zu der sich im Lande vollziehenden Wende zum Ausdruck. Oberbürgermeister Dr. Heinz Hahn sprach sich für die sofortige Einberufung der Volkskammer, ein neues Wahlgesetz und die Zulassung des Neuen Forums aus.

Nach einer Veranstaltung des Neuen Forums in der St. Georgenkirche in Frankfurt formiert sich ein Schweigemarsch zum Rathaus.

Zu Demonstrationen kommt es in Demmin, Finsterwalde, Greifswald, Groß Räschen, Halberstadt, Limbach-Oberfrohnau, Loitz, Markneukirchen, Neustrelitz, Reichenbach, Steinbach-Hallenberg, Wasungen und Zerbst.

Dialogveranstaltungen finden in Bad Doberan, Eilenburg, Freital und Spremberg statt.

Den Rücktritt des Bürgermeisters und des 1. Sekretärs der SED-Kreisleitung wird in Freital gefordert.

Genossen aus Berliner SED-Grundorganisationen versammelten sich in den Nachmittagsstunden am Mittwoch vor der Parteizentrale. Bis in die Abendstunden vergrößerte sich deren Zahl weiter. Mit Nachdruck machten sie am Tagungsort des Zentralkomitees auf Vorschläge und Forderungen der Parteibasis aufmerksam. Auf Transparenten und in Sprechchören teilten sie mit, was Kommunisten von ihrer Führung erwarteten: "SED in die Offensive", "Für eine Parteiführung, die auf das Volk hört", "SED - Sozialismus, Ehrlichkeit, Demokratie", "Sozialismus Wende ohne Umkehr", "Erneuerung der SED - Neuer Sozialismus", "Parteikonferenz - wir stehen zu Egon Krenz". Und: "Ehrlichkeit ist die beste Politik", "Trotz alledem: Ja zur SED und gerade jetzt".

Do. 09.11.
Zur bisher größten Demonstration in Gera formierten sich am Donnerstagabend mehrere 10 000 Bürger der Bezirksstadt.

Auf dem Erfurter Domplatz forderten am Donnerstagabend rund 80 000 Bürger freie Wahlen, Rechtstaatlichkeit und Freizügigkeit.

Aus Anlass der Pogromnacht vom 9. November 1938 gedachten gestern in vielen Orten Bürger der Republik der Jüdischen Opfer der faschistischen Rassenverfolgung.

Karl-Marx-Stadt. "Wir sind nicht nur als Juden hier geblieben, um zu mahnen und zu erinnern. Wir fordern die Bürger dieses Landes auf, mit allen gesellschaftlichen Kräften entschieden Widerstand gegen aufkommenden Neonazismus und Ausländerfeindlichkeit zu leisten", sagte Siegmund Rotstein, Präsident des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR, bei einer Kranzniederlegung an der Porphyrstele auf dem Karl-Marx-Städter Stephanplatz, wo vor 51 Jahren Nazi-Brandstifter die Synagoge vernichtet hatten.

Leipzig. Die ersten Exemplare der Dokumentation "Juden in Leipzig" übergab der stellvertretende Vorsitzende des Rates des Bezirks Dr. Hartmut Reitmann. Empfänger waren Siegmund Rotstein und der Vorstand der Israelitischen Religionsgemeinde.

Einige zehntausend Leipziger marschierten schweigend zum mit Kränzen umlegten Synagogenstein in der Gottschiedstraße. Sie protestierten damit, auch gegen rechtsradikale Tendenzen.

Erwin Martin, Vorsitzender der "Zur Geschichte der Leipziger Juden", überreichte Siegmund Rotstein einen Brief. Darin befürwortet eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Besucher beim Auftakt der ersten Leipziger "Tage der jüdischen Kultur" (7. bis 9. November), dass die DDR unverzüglich diplomatische Beziehungen zum Staate Israel aufnimmt.

Berlin. Mit einer Kranzniederlegung vor der Ruine der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin ehrten Mitglieder der Jüdischen Gemeinde von Berlin, Bürger der Stadt sowie Vertreter des Magistrats, von Parteien und Massenorganisationen die Opfer der Pogromnacht.

Weitere Veranstaltungen fanden u. a. in Potsdam, Magdeburg, Schwerin und Halle statt.

In Teterow findet eine Gedenkkundgebung zum Gedenken an die Opfer der Pogrome am 09.11.1938 statt.

Die Schließung des Werkes II des Zellstoffwerkes fordern rund 600 Personen in Heidenau.

In Welzow demonstrieren rund 2 000 Personen u. a. gegen Tiefflüge.

Demonstriert wird auch in Friedrichroda, Leinefelde, Stadtroda. In Rostock gibt es an diesem Tag gleich drei Demonstrationen.

In der Klosterkirche in Pirna versammeln sich 1 000 Bürger.

Dresden. Mehrere tausend Genossen hatten sich am Donnerstagabend vor dem Haus der Bezirksleitung Dresden versammelt, um ihre Forderungen zur politischen Erneuerung zum Ausdruck zu bringen. Sie verlangten einen Sonderparteitag, mehr neue Leute im Politbüro und Bestrafung derer, die maßgeblich Schuld an der kritischen Situation im Lande haben.

Cottbus. Vor mehreren tausend Teilnehmern einer Kundgebung auf dem Berliner Platz sprach Albrecht Schauerhammer, 2. Sekretär der Bezirksleitung Cottbus. Auf dieser Zusammenkunft, auf der die Entbindung Werner Waldes von seiner Funktion bekanntgegeben wurde, unterstützten mehrere Redner, die sich auf der Tribüne als Mitglieder der SED vorstellten, den Plenumsbeschluss zur Einberufung einer Parteikonferenz.

Rostock. Über 20 000 Genossen von Rostocker Grundorganisationen begrüßten am Donnerstagabend den Erneuerungsprozess der Partei, der sich auf der 10. Tagung des Zentralkomitees zu vollziehen beginne. Obwohl die Teilnehmer den sofortigen Rücktritt der Sekretariate der Kreisleitungen und der SED-Bezirksleitung forderten, ergriff kein Genosse der Bezirksleitung das Wort.

In der Pädagogischen Hochschule in Potsdam besuchen ca. 1 000 Studenten und Lehrkräfte eine Veranstaltung mit Markus Wolf. Gefordert wird ein die Schaffung eines Staatssicherheitsgesetz. Markus Wolf verließt eine zweiseitige Erklärung, die auch den Medien zur Veröffentlichung übergeben wird.

Eine weitere Veranstaltung mit Markus Wolf findet im Haus des Kulturbundes "Bernhard Kellermann" statt.

In Nordhausen findet eine Diskussion zur Bildung statt. Ein Punktekatalog wird zusammengestellt. Es wird der Rücktritt der Kreisschulrätin gefordert.

Fr. 10.11.
In Dessau wird die Streichung der führenden Rolle der SED in der Verfassung gefordert. Die Kampfgruppen sollen aufgelöst werden. Und die Mitarbeiter des MfS sollen in die Produktion gehen.

In Teterow, Bezirk Neubrandenburg, demonstrieren rund 300 Menschen vor der MfS-Kreisdienststelle.

4 000 Personen demonstrieren in Görlitz durch die Innenstadt. Auch in Karl-Marx-Stadt wird demonstriert.

Wenige Stunden nach Abschluss der 10. Tagung des Zentralkomitees der SED vereinte eine Großkundgebung der Berliner Parteiorganisation rund 150 000 Menschen im Lustgarten und den angrenzenden Straßen und Plätzen im Zentrum. Die Kommunisten der Hauptstadt der DDR, Arbeiterinnen und Arbeiter, Wissenschaftler, Mediziner und Künstler bekundeten ihre Bereitschaft, an der Erneuerung des Sozialismus mitzuwirken.

Nach der Eröffnung durch Günter Schabowski legten 15 Redner ihre Standpunkte dar. Generalsekretär Egon Krenz informierte anschließend über die 10. Zentralkomitee-Tagung und sprach zu aktuellen Aspekten der eingeleiteten Wende.

Eine 2. Dialogveranstaltung auf dem Marx-Enges-Platz findet in Bernburg (Saale) statt. Vom Neuen Forum werden Unterschriften zur Änderung des § 1 (Streichung des Führungsanspruchs der SED) der Verfassung gesammelt.

Im Kreiskulturhaus in Pritzwalk findet die zweite Dialogveranstaltung statt. Erstmals dürfen Vertreter des Neuen Forum daran offiziell teilnehmen.

Ein Schweigemarsch, zu dem das Neue Forum aufgerufen hat, begibt sich vom Ernst-Thälmann-Platz in Suhl zum Centrum-Warenhaus. Auf dem Weg dorthin trifft sie auf Menschen, die sich in eine Schlange eingereiht haben, um ein Visum zu erhalten.

Sa. 11.11.
2 000 Genossinnen und Genossen der Kreisparteiorganisation Neubrandenburg waren am Sonnabend zu der Kundgebung in die Bezirksstadt gekommen. Viele sprachen sich ihre Enttäuschungen, Hoffnungen, Vorschläge vom Herzen.

Vor der Bezirksschule der SED in Frankfurt machen sich SED-Mitglieder ihren Unmut über die eigene Führung Luft.

Auf Initiative einer kirchlichen Gruppe findet am Sonnabend in Fürstenwalde eine friedliche Demonstration für demokratische Erneuerung statt. Etwa 8 000 Teilnehmer, darunter auch Mitglieder der SED und der LDPD, forderten auf Transparenten unter anderem freie Wahlen, eine Erneuerung des Bildungssystems und die Zulassung demokratischer Bürgerinitiativen.

Auch in Arnstadt, Heldburg und Plauen wird demonstriert.

Auf der vom Neuen Forum aufgerufenen Demonstration in Spremberg wird die Änderung des BildArtikel 1 der Verfassung gefordert. Er schreibt die führende Rolle der SED fest.

In Potsdam ziehen ca. 400 Demonstranten am Sitz der Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit vorbei.

Während einer Kreisparteiaktivtagung der SED in der Sporthalle in Potsdam versammeln sich Parteimitglieder vor der Halle zu einer Kundgebung. Es kommt zu Missfallensäußerungen gegen den 1. Sekretär der Bezirksleitung Günther Jahn. Auch Gegendemonstranten finden sich vor der Halle ein.

Die SED-Kreisleitung Leipzig ruft vor dem Dimitroffmuseum zu einer Demonstration auf. Es wird zur Teilnahme an den Montagsdemonstration aufgerufen. Dort soll in Zukunft Flagge gezeigt werden.

So. 12.11.
Zehntausende Mitglieder und Kandidaten der SED bekannten sich am Wochenende in weiteren Orten der DDR zu Einheit und Erneuerung ihrer Partei. Mehr als 50 000 Genossen demonstrierten allein in Dresden, in Karl-Marx-Stadt rund 20 000.

Zu SED-Kundgebungen, auf der die Erneuerung der Partei gefordert wird, kommt es in Gera, Leipzig, Magdeburg, Suhl und Wismar.

Auf der Kundgebung auf dem Neustädter Markt anlässlich einer Demonstration in Brandenburg/Havel muss der 1. Sekretär der SED-Kreisleitung seine Rede nach Protesten abbrechen.

Demonstriert wird in Bad Liebenstein.

Auf dem Lübbener Marktplatz findet eine Kundgebung statt.

Erstes Sonntagsgespräch in Aue.

Mo. 13.11.
Leipzig: Für freie Wahlen, dauerhafte, gesetzlich verbriefte Reisefreiheit und gegen den Anspruch auf eine führende Rolle der SED gingen in Leipzig schätzungsweise 200 000 Bürger auf die Straße. Der kilometerlange Demonstrationszug hatte sich auf dem Karl-Marx-Platz formiert, wo Sprecher des neuen Forum über Megaphone dazu aufriefen, einen Ausverkauf der DDR durch Schwarzarbeit und Schacher im Westen zu verhindern. Gleichzeitig warnten sie vor Opportunisten und Demagogen im eigenen Land. "Offene Grenzen ganz allein kann nicht die einzige Freiheit sein, nur SED - Nee!". "Die Mauer hat ein Loch, aber weg muss sie doch!", "Führungsanspruch der SED taut bei Wahlen weg wie Schnee" und "Freie Wahlen, wahre Zahlen" waren die Hauptaussagen der mitgeführten Losungen.

Während des Marsches um die Innenstadt, der den Verkehr im Zentrum lahmlegte, trugen Bürger auch zur Sicherung öffentlicher Gebäude bei. Die Demonstration löste sich gegen 20.15 Uhr friedlich auf.

Dresden: Hunderttausend Einwohner Dresdens stellten auf einer Protestkundgebung den Anspruch auf eine führende Rolle der SED in Frage. Vertreter von Bürgerinitiativen und von Parteien ergriffen das Wort. Arnold Vaatz vom Neuen Forum forderte einen unverzüglichen Volksentscheid zum BildParagraphen 1 der Verfassung der DDR. Horst Korbella bekundete, er sehe als katholischer Christ eine neue Gemeinsamkeit aller Parteien und der neuen Gruppen als einzigen Weg zur Gestaltung der Heimat. Er erinnerte an die geschichtliche Erfahrung von 1945, als die Kommunisten ihre Hände dem Volk entgegenstreckten. Heute sei es an der Zeit, dies umgekehrt zu tun, denn ohne SED sei das Land nicht zu regieren. Der Sozialismus höre mit der Vorherrschaft der SED nicht auf; sondern bekäme einen wahrhaft demokratischen Charakter, sagte Jürgen Bönninger von der Gruppe "Demokratie jetzt". Vorschläge für eine umfassende Wirtschaftsreform brachte Dr. Frank Tellkamp von der NDPD ein. Die Kundgebung, der eine Demonstration durch das Stadtzentrum vorausging, war von zehn basisdemokratischen Gruppen Dresdens organisiert worden.

Karl-Marx-Stadt: Mehr als 50 000 Karl-Marx-Städter formierten sich in einem kilometerlangen Marsch zum Zentrum ihrer Stadt. Auf Losungen und in Sprechchören wurden freie Wahlen und ein Volksentscheid über den Paragraphen 1 der Verfassung der DDR gefordert. Auf einer anschließenden Zusammenkunft verlangten Vertreter des Neuen Forum unter anderem die Bestrafung derer, die für die Misswirtschaft verantwortlich sind.

Cottbus: Für mehr als 10 000 Cottbuser Bürger war der Platz vor der Stadthalle Treffpunkt, zu dem die SED-Parteiaktivs der Lausitzer Bezirksstadt und des Kreises Cottbus-Land sowie die Bürgerinitiative Neues Forum eingeladen hatten.

Schwerin: Einen Volksentscheid zum Artikel 1 der Verfassung forderten in Schwerin nach Augenzeugenschätzungen mehr als 10 000 Einwohner. Sie waren zum wiederholten Male einem Aufruf des Neuen Forums zu einer Kundgebung im Alten Garten gefolgt, um für freie Wahlen und Rechenschaft der bisherigen Führung zu demonstrieren.

Tausende demonstrierten auch in Magdeburg und Neubrandenburg.

An dem Aufruf zur Kundgebung in Magdeburg beteiligte sich auch der Oberbürgermeister.

Auf der Kundgebung im Anschluss an eine Demonstration in Wismar werden die Redner der SED ausgepfiffen. Eine Kundgebung findet auch in Guben und Luckau auf dem Marktplatz statt.

Nach einem Friedensgebet in der Martinskirche, kommt es in Bernburg (Saale) zu einer Demonstration mit Ziel Rathaus.

Obwohl die Demonstration mit anschließender Kundgebung wegen dichtem Nebel in Halle abgesagt wurde, versammeln sich auf dem Marktplatz 3 000 bis 4 000 Personen. Sie bewegen sich durch die Innenstadt zum Gebäude der SED-Bezirksleitung. Die Abschaffung des Führungsanspruches der SED wird verlangt und brennende Kerzen vor dem Gebäude abgestellt.

Vor der Eissporthalle versammeln sich ca. 800 Personen zu einer Diskussion.

Nach einem "Friedensgebet" im Merseburger Dom formiert sich ein Demonstrationszug von ca. 800 Personen. Vor der MfS-Kreisdienststelle werden brennende Kerzen abgestellt.

Ein Schweigemarsch gegen Fluglärm findet in Neuruppin statt.

Di. 14.11.
Rund 20 000 demonstrieren in Nordhausen.

In Riesa und Zittau kommt es zu Demonstrationen, zu denen die SED aufgerufen hat.

Mi. 15.11.
Eine vom "Neuen Forum" initiierte Kundgebung vereinte am Mittwochabend schätzungsweise 10 000 Bürger in Ilmenau. Paul Latussek vom Sprecherrat der Bürgerbewegung sagte, dass die Vorwärtsbewegung in der DDR vor allem auch durch die Demonstrationen Hunderttausender auf der Straße erkämpft worden sei und das Volk weiterhin wachsam sein müsse, bis alle Rechte gesichert seien und ein neuer Machtmissbrauch unmöglich würde. Nicht vertretbar sei es, dass der abgesetzte 1. SED-Bezirkssekretär Hans Albrecht noch im Namen des Volkes den Präsidenten der Volkskammer sowie den Vorsitzenden des Ministerrates gewählt habe. Ihr Missfallen darüber brachten mehrere Sprecher zum Ausdruck.

An der Mittwoch-Demonstration durch Limbach-Oberfrohna nahmen nach Angaben der Organisatoren etwa 15 000 Bürger teil. Die Teilnehmer forderten eindringlich freie Wahlen und Demokratie.

Demonstriert wird in Bad Doberan, Demmin, Eisenberg, Greifswald, Halberstadt, Herzberg, Neustrelitz, Pasewalk und Strasburg. In mehreren Grenzorten fordern Demonstranten die Einrichtung von Grenzübergängen.

Zu einer Demonstration für die Rechte des rumänischen Volkes hatten Mitglieder des Berliner Bezirksverbandes Bildender Künstler (VBK) für Mittwoch Nachmittag aufgerufen. An der Demo, die von der Pankower Johannes-R.-Becher-Straße über Schönholzer Straße und Parkstraße zur Rumänischen Botschaft führte, beteiligten sich schätzungsweise 300 Menschen. Vertreter der "Koordinierungsgruppe für eine Initiative zur Bildung einer vereinigten Linken" und des Zentrums für Kunstausstellungen der DDR sprachen sich gegen die Entsendung einer SED-Delegation zum 40. Parteitag der RKP aus. Die Veranstalter beschlossen, an jedem 15. des Monats wieder zu friedlichen Demonstrationen vor dem Botschaftsgebäude zusammenzukommen.

Do. 16.11.
Demonstrationen finden in Ballenstedt, Erfurt, Gera, Großenhain, Jena, Löbau, Neustadt, Quedlinburg und Rostock statt.

FDJ entscheide Dich, Du brauchst ein eigenes Gesicht - das war eine der vielen Losungen bei der Demonstration am Donnerstagabend im Lustgarten, die von der FDJ-GO bei Bergmann-Borsig und der FDJ-Kreisleitung Pankow organisiert worden war. Mehrere hundert Jugendliche demonstrierten für eine neue FDJ. Zahlreiche Redner sprachen sich für einen einheitlichen, demokratischen, sozialistischen und antifaschistischen Jugendverband aus, der auf der Basis der Freiwilligkeit arbeitet. Gefordert wurden unter anderem ein neues Statur der FDJ, die Einberufung eines Jugendparlaments, der Rücktritt aller gewählten Leitungen. Von einigen Sprechern wurde die Existenzberechtigung der FDJ in Frage gestellt. Empört waren die jungen Leute darüber, dass Eberhard Aurich die Demonstration verließ, ohne zu ihnen gesprochen zu haben.

In Nordhausen findet wie die Donnerstage zuvor eine weitere Diskussionsrunde statt.

Fr. 17.11.
Für Mündigkeit und Mitspracherecht demonstrierten am Freitagnachmittag viele tausend Studenten aus allen Teilen der Republik in Berlin. Im Demonstrationszug, der sich im Lustgarten formierte und vorbei an Palast der Republik sowie Staatsratsgebäude zum Bebelplatz führte, wurden auf Transparenten Forderungen für eine rasche weitere Umgestaltung der DDR sowie Reformen im Hochschulwesen erhoben. Im Anschluss an die Demonstration ergriffen Sprecher verschiedener Studentengruppen während eines Meetings auf dem Bebelplatz das Wort.

In Bad Salzungen demonstrieren rund 5 000 Menschen. Es sind u.a. "Stasi raus" Rufe zu hören.

Demonstriert wird in Ascherleben, Auerbach, Dessau, Görlitz, Klingenthal, Neu Buckow, Querfurt, Schlema und Zella-Mehlis.

Zu einer Kundgebung des Neuen Forum in Löbau kommen 10 000 Teilnehmer.

Sa. 18.11.
Rund 30 000 Bürger Leipzigs und aus der Umgebung kamen am Sonnabend auf dem Dimitroffplatz zur ersten genehmigten Kundgebung des Neuen Forums zusammen. Etwa zwei Dutzend Frauen und Männer - rund 200 Anträge zum Reden lagen vor - ergriffen auf der rund dreistündigen Manifestation das Wort. Sie forderten unter anderem freie Wahlen, den Verzicht auf die Führungsrolle der SED, eine gleichberechtigte Zusammenarbeit aller Parteien sowie Organisationen, die Reduzierung der Sicherheitsorgane, besonders der Staatssicherheit, eine stärkere Einbeziehung von Frauen in die Politik und Wirtschaft, die Abschaffung jedweder Zensur, freie Presse und Verlage, die öffentliche Kontrolle der Medien und Sofortmaßnahmen zur Verbesserung der Umweltbedingungen im Ballungsraum Leipzig. Neben Arbeitern, Hausfrauen, Künstlern und Akademikern vom Neuen Forum traten auch Vertreter der Bewegung "Demokratischer Aufbruch", der neu gegründeten sozialdemokratischen Partei, der vereinigten Linken, der Initiative "Frieden und Menschenrechte" und von Behinderten an das Mikrofon. Tausende Unterschriften auf ausliegenden Listen drückten Sympathien für die geforderte Möglichkeit eines Volksentscheides aus, der wieder verfassungsrechtlich sanktioniert werden müsse.

Weitere Kundgebungen fanden unter anderem statt in Berlin, Dresden, Frankfurt/Oder, Gera, Eberswalde-Finow, Karl-Marx-Stadt, Suhl und Plauen.

Leipzig. Zu einer vom Neuen Forum angemeldeten Kundgebung trafen sich am Samstagvormittag rund 30 000 Bürger auf dem Leipziger Dimitroff-Platz. Vor dem Museum der bildenden Künste machte die Menge auf mitgeführten Transparenten und Spruchbändern ihre Forderungen nach Neuwahlen, gleichberechtigtem Meinungsstreit und gegen Gesinnungsterror deutlich. Viele Familien kamen mit ihren Kindern, junge wie ältere Bürger erhoben in Sprechchören ihre Stimme: "Wir sind das Volk!" - dieser Ruf wurde immer wieder laut.

Eberswalde-Finow. Die Forderung nach mehr Mitsprache in allen Bereichen erhoben am Sonnabend in Eberswalde-Finow mehr als 7 000 Bürger mit einer Demonstration, zu der das Neue Forum aufgerufen hatte. Auf Transparenten und Spruchbändern ging es um Umweltschutzprobleme und gegen eine führende Rolle der SED. Dazu sprachen auf der abschließenden Kundgebung auch Vertreter von Parteien und Bürgerbewegungen sowie der evangelischen Kirche.

Plauen. Vor dem Plauener Rathaus versammelten sich am Sonnabend, wie schon an vorangegangenen Wochenenden, rund 10 000 Einwohner aus der Vogtlandstadt und aus umliegenden Orten. Sie forderten unter anderem freie Wahlen und sprachen sich gegen eine führende Rolle der SED aus.

Suhl. Teilnehmer eines "Gebetes für unser Land" in der Suhler Kreuzkirche und eines Sternmarsches aus allen Wohngebieten der Thüringer Bezirksstadt beteiligten sich am Sonnabend vor der Stadthalle an einer Kundgebung der Bürgerinitiative Neues Forum. Vor etwa 5 000 Menschen traten zwölf Redner ans Mikrofon und sprachen sich unter anderem für eine allseitige demokratische Erneuerung des Lebens in der DDR aus, vor allem für eine Wirtschaftsreform, ein neues Mediengesetz und den Schutz der Umwelt.

Das Motto, unter dem die Demonstration in Suhl läuft, lautet: "Reisen ist nicht alles".

Auch in Finsterwalde wird an diesem Tag demonstriert.

Unter dem Motto "Für eine unumkehrbare Erneuerung" versammeln sich rund 3 000 Bürger in Senftenberg zu einer Demonstration.

So. 19.11.
Für die konsequente Verwirklichung von Meinungs-, Medien- und Versammlungsfreiheit demonstrierten am Sonntag wieder Zehntausende Bürger in mehreren Städten der DDR. Aufgerufen hatten Kunst- und Kulturschaffende, um - wie ihre Berliner Kollegen am 4. November - die in den Verfassungsartikeln 27 und 28 verankerten Rechte einzuklagen.

Rund 50 000 Bürger folgten in Dresden dem Ruf der Künstler. Auf Plakaten und Transparenten sprachen sie sich gegen den Führungsanspruch einer Partei, für die Abrechnung mit den an der gegenwärtigen Krise Schuldigen und für eine vollständige Reformierung der Kulturpolitik aus. Weitere Forderungen galten der Rettung von Denkmalen in der Stadt und richteten sich gegen den Export von Kulturgütern.

Vor der Semperoper wandten sich Redner an die Demonstranten. Chefregisseur Horst Schönemann vom Staatsschauspiel Dresden knüpfte an die einleitenden Worte des Opernsängers Günther Emmerlich an, der die Zivilcourage der Bürger in den vergangenen Wochen als Unterpfand demokratischer Selbstbestimmung würdigte. Mit dem Widerspruch von "Gigantomanie" wie der Bauernkriegsgedenkstätte bei Bad Frankenhausen auf der einen und dem Verfall kulturhistorisch wertvoller Baudenkmale beispielsweise in Dresden auf der anderen Seite setzte sich der Maler Hubertus Giebe auseinander. In Briefen hatten sich die 87jährige Gret Palucca und Kammersänger Peter Schreier für die Verknüpfung von Dialog mit "harter gemeinsamer Arbeit" ausgesprochen.

Weitere Vorschläge von Rednern galten der Aufarbeitung von DDR-Geschichte, der Rehabilitierung von in der Vergangenheit gedemütigten und gemaßregelten Künstlern und Wissenschaftlern sowie neuen Umweltkonzepten. Unter dem Beifall der Anwesenden wurde mehrfach solidarische Unterstützung für das rumänische Volk und für gewaltfrei Demonstrierende in der ČSSR bekundet.

In Meinigen führt die Demonstration vom Theater zum Marktplatz. Forderungen sind freie Wahlen, Demokratie, Mitbestimmung. Auch "Deutschland einig Vaterland" wird gerufen.

Demonstrationen gab es in Frankfurt (Oder), Schwedt, Karl-Marx-Stadt, Gera, Neustrelitz, Erfurt, Potsdam und in Berlin. In der Hauptstadt zogen - diesmal vor allem auf Initiative der bildenden Künstler mehrere tausend Menschen durch das Zentrum der Stadt.

Mehr als 30 000 versammelten sich am Sonntag auf dem Platz der Nationen. Zu dieser Kundgebung hatte die Partei der Arbeiterklasse aufgerufen. Andere Parteien zeigten in ihren Zeitungen ihre Nichtteilnahme an. So wurde die Zusammenkunft auf dem Platz der Nationen zu einer Willensbekundung Potsdamer Kommunisten und Bürger, kraftvoll, offenherzig und mit einer Hauptforderung: Zur Gemeinsamkeit aller, die die Erneuerung des Sozialismus wollen. Mehrere Redner riefen zur Unterstützung der Regierungserklärung auf. "Wirklicher Sozialismus ist die Koalition der Vernünftigen", hieß es auf einem Transparent. "Wir wollen keine Spaltung, weil jede Idee und jede Hand für die sozialistische Erneuerung gebraucht wird", rief Rolf Kutzmutz, kürzlich erst gewählter 1. Sekretär der SED-Kreisleitung Potsdam, aus. "Wir lassen uns nicht ausgrenzen und machen das auch nicht mit anderen, und wir werden auch nicht ungeduldig mit jenen, die das zur Zeit mit uns zu tun versuchen!" Michael Schumann, Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft, erklärte unter Zustimmung der Zehntausenden: "Wir, die SED, sind offensichtlich nicht die einzigen, die viel dazulernen müssen. Wir erheben keinen Alleinvertretungsanspruch für demokratische und sozialistische Entwicklung - das sollten jedoch auch andere nicht tun. Klar ist doch: Es kann keinen Sozialismus ohne Sozialisten geben!" Der neugewählte 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Potsdam, Heinz Vietze, erläuterte: "Wir sind für einen Sozialismus, wo jeder seine Meinung frei äußern kann wo man auch zuhören kann. Nur der Dialog bringt vorwärtsdrängende Ideen. Aber aus dem Dialog muss auch die Entscheidung erwachsen und dann das aktive Handeln zum Nutzen des Volkes."

Das MfS registriert, dass sich Heinz Vietze in seinem Schlusswort eindeutig vor die Schutz- und Sicherheitsorgane stellt.

Nach einem Bericht des MfS wird ein Redner aus dem GRW Teltow, das MfS vermutet einen Anhänger des "NF" bzw. "unabhängiger Gewerkschaften", ausgepfiffen.

Die Veranstaltung wird durch "Radio DDR" und dem Sender Potsdam direkt übertragen.

Gegen die Kundgebung der SED protestierten lautstark Tausende.

Zu eine Demonstration und Kundgebung auf dem Obermarkt kommt es in Freiberg.

800 Personen nehmen in Bautzen an einer Kundgebung teil.

Während einer Demonstration mit anschließender Kundgebung in Neustrelitz werden u.a. Freie Wahlen und Änderung des Paragrafen 1 der Verfassung gefordert. Diese Forderungen sind auch auf der Demonstration in Gera und Ueckermünde zu vernehmen.

Vor dem Kreiskulturhaus in Schwedt versammeln sich rund 3 000 Menschen zu einer Demonstration. Gefordert wird die Änderung des Artikel 1 der Verfassung und die Durchsetzung der Artikel 27 und 28.

Das Schauspielensemble des Theater Rudolstadt ruft am 16.11. zu einer Demonstration für den 19.11. auf. Treffpunkt der Marktplatz der Stadt.

Künstlerverbände, der Kulturbund und der Verband der Journalisten haben unter dem Motto "Trotz alledem!" zur Demonstration in Karl-Marx-Stadt aufgerufen. Vom Luxor-Palast mit Kundgebung am Karl-Marx-Monument.

Das Neue Forum ruft am Abend zu einer Demonstration auf. Auch hier findet die Kundgebung am Karl-Marx-Monument statt.

Im Kleist-Theater in Frankfurt findet nach der Demonstration eine Diskussionsrunde statt.

Während einer Demonstration in Altenburg wird die öffentliche Kontrolle der Staatssicherheit und die Einsicht in die Unterlagen gefordert.

In Knau wird gegen die Umweltverschmutzung wird durch die Schweinezucht und -mastanlage demonstriert. Es wird die Schließung gefordert.

Umweltgruppen halten eine Kundgebung vor dem Rathaus in Berlin-Schöneberg gegen Müllexport in die DDR ab, mit anschließender Demonstration.

Forderungen sind:

1. Sofortige Einstellung der Giftmülltransporte in die DDR und gleichzeitig auslösen des Giftmüll-Notstandes in Westberlin.

2. Durchsetzen eines Sondermüll-Vermeidungskonzeptes in Westberlin.

3. Veröffentlichung aller vorhandenen Messdaten zur SMVA Schöneiche und den Deponien.

4. Erstellung eines unabhängigen Gutachtens über den Zustand der Deponien und deren Sanierung.

5. Einberufen einer Gesprächsrunde von Experten, Behörden und Vertretern der unterzeichneten Umweltvereinigungen.

Wir erwarten eine schnelle Antwort von der Regierung der DDR und dem Senat von Berlin/West.

Unterzeichner:

- Umweltbibliothek Berlin

- Grünes Netzwerk "arche", Berlin/Brandenburg

- Demokratischer Aufbruch - sozial, ökologisch

- Müllgruppe BRD-DDR (Bloß rüber damit - Dreck dankend retour)

Mo. 20.11.
Leipzig. Zu der schon traditionellen Montagsdemonstration auf dem Ring um das Leipziger Stadtzentrum vereinten sich gestern Abend über 200 000 Bürger. Zuvor hatte sich die riesige Menschenmenge zu einer fast zweistündigen Kundgebung auf dem Karl-Marx-Platz versammelt. Auf Transparenten und Spruchbändern dominierten Forderungen nach freien geheimen Wahlen und der Aufgabe des Führungsanspruchs der SED. Über Mikrofone wandten sich Vertreter von Parteien, Organisationen, verschiedenen Initiativgruppen sowie Werktätige aus Betrieben und Einrichtungen an die Kundgebungsteilnehmer. Dabei wurden unter anderem Auskünfte über den Verbleib der Deviseneinnahmen des Staates sowie über das Ausmaß von Privilegien angemahnt. Großen Beifall fanden Worte der Zustimmung zur Bürgerrechtsbewegung in der ČSSR, zu der sich die Versammelten auch mit einer Schweigeminute bekannten. Auch zahlreiche kontroverse Auffassungen wurden geäußert: So die Forderung nach freier Marktwirtschaft und zum Leistungsprinzip bei Erhalt sozialer Errungenschaften des Sozialismus.

Der Demonstration waren wiederum Friedensgebete in sieben Kirchen vorausgegangen.

Dresden. "Rechtssicherheit spart Staatssicherheit" unter diesem Leitgedanken formierten sich am Montagabend viele Zehntausende Dresdner zu einer genehmigten Demonstration. An ihr beteiligten sich alle basisdemokratischen Gruppen der Stadt. Bei ihrem Zug durch das Stadtzentrum beiderseits der Elbe forderten sie auf Plakaten, Transparenten und in Sprechchören u. a. "Nicht Links- sondern Rechtsstaat" - "Wir lassen uns nicht erlauben, was niemand uns verbieten kann" oder "Für Kontrolle von Stasi und Polizei". Erneut wurden Forderungen nach freien Wahlen, zur Reduzierung der Staatssicherheit, zur Auflösung der Kampfgruppen und gegen den Führungsanspruch der SED erhoben. Die Demonstration endete auf dem Fučíkplatz vor den Ausstellungshallen mit einer Kundgebung, die bei Redaktionsschluss noch andauerte.

Der Marktplatz ist der Startpunkt einer Demonstration in Halle mit rund 25 000 Teilnehmern. Am Fahnenmonument findet die Abschlusskundgebung statt. Gerufen wird u.a. "Stasi in die Volkswirtschaft", "SED und Stasimacht haben uns auf den Hund gebracht".

In Magdeburg rufen Neues Forum, SDP und die Beratergruppe DOM zu einem Schweigemarsch zur Kreisdienststelle der Staatssicherheit auf.

Auf einer Demonstration in Karl-Marx-Stadt mit Kundgebung vor dem Karl-Marx-Monument wird u. a. "SED raus aus den Betrieben" und der "Machtanspruch der SED muss weg, damit wir hier leben können" gefordert.

Vor der SED-Kreisleitung in Berlin-Hellersdorf fordern die Demonstranten Räume für die neuen Parteien und Vereinigungen. Folge ist, die neuen Parteien und Vereinigungen richteten bei der SED-Kreisleitung ihre Geschäftsstellen ein.

Nach "Friedensgebete" in Bernburg und Merseburg finden Demonstrationen statt.

Zu Demonstrationen kommt es auch in Anklam, Hildburghausen, Malchow, Waren und Wurzen.

Di. 21.11.
In Nordhausen findet eine Demonstration von rund 15 000 Personen statt.

Mi. 22.11.
Ihren festen Willen zur Erneuerung der Partei bekräftigten am Mittwochabend mehrere tausend Kommunisten aus Halle und Halle-Neustadt während einer Kundgebung am Fahnenmonument "Flamme der Revolution", zu der Bezirks- und Stadtleitung der SED eingeladen hatte. "Was wir jetzt brauchen, sind Mut und Entschlossenheit", sagte Roland Claus, 1. Sekretär der Bezirksleitung. Notwendig sei eine erneuerte SED mit neuem Programm. Der Staatsbürgerkundelehrer Michael Ebert sprach sich für Ehrlichkeit aus. Er selbst habe stets auf die Fragen seiner Schüler geantwortet, auch wenn von "oben" noch keine Antworten gegeben wurden.

In Eisenach ziehen Demonstranten mit Kerzen und Transparenten vor das Stasigebäude.

In Sondershausen bewegen sich zwei Demonstrationszüge aufeinander zu. Auf dem Marktplatz findet dann eine Kundgebung statt.

Demonstriert wird in Dippoldiswalde, Freital, Großenhain und Herzberg.

Do. 23.11.
Eine Reduzierung um 50% des Personals des Kreisamtes Torgau der Staatssicherheit wird nach einer Demonstration auf einer dortigen Kundgebung in gefordert.

In Erfurt wird demonstriert.

Fr. 24.11.
In mehreren Städten in der DDR wird demonstriert. U. a. in Dessau und Gotha.

Sa. 25.11.
In Plauen versammelten sich auch an diesem Sonnabend trotz Schnee und Kälte wieder rund 5 000 Bürger zu einer friedlichen Demonstration durch die Innenstadt. Auf Plakaten und Transparenten wurde erstmals häufig der Wille von Demonstranten nach "Wiedervereinigung" der beiden deutschen Staaten geäußert. Vor der SED-Kreisleitung riefen sie die Funktionäre auf, von ihren Ämtern abzutreten und eine Arbeit in Betrieben aufzunehmen. Eine mehrfach erhobene Forderung war die nach Wahl der Betriebsdirektoren.

Etwa 200 Berliner protestierten am Sonnabendvormittag vor der Ständigen Vertretung der BRD in der Hannoverschen Straße gegen den Schutz neofaschistischer Skinheads, die Verfolgung von Antifaschisten und den Tod einer antifaschistischen Demonstrantin am 17. November durch die Göttinger Polizei. Bei der Mahnwache, zu der eine Berliner Antifa-Gruppe aufgerufen hatte, wurden Protestschreiben verteilt und Kerzen angezündet. In Sprechchören und auf Plakaten forderten die Demonstranten Solidarität mit den Antifaschisten und das Verbot aller neofaschistischen Organisationen in der BRD.

Rund 200 Teilnehmer versammeln sich am Vormittag auf dem Karl-Marx-Platz in Borna zu einer Kundgebung. Es wird die Änderung des Artikel 1 der Verfassung und den Zugang zu den Archiven der Staatssicherheit gefordert. Der LDPD-Redner verkündet den Austritt der LDPD aus dem demokratischen Block.

So. 26.11.
In Jena wird eine Kundgebung abgehalten, auf der sich neue Gruppen und Parteien vorstellen.

Mo. 27.11.
Schwarz-rot-goldene Fahnen ohne DDR-Emblem und Rufe "Deutschland einig Vaterland" bestimmen Bild und Inhalt der Leipziger Montagsdemonstration, an der sich etwa 200 000 Menschen beteiligen.

In Leipzig kommt es zu einer "kleinen" Demonstration, die sich bewusst von der "großen" Demonstration absetzen will. So von der Parole "Deutschland einig Vaterland". Hier wird die Beseitigung noch vorhandener Machtstrukturen und die Selbstverwaltung der Betriebe gefordert.

In Bernburg (Saale) ziehen die Demonstranten vors Rathaus und vor die MfS-Kreisdiensstelle.

Die Demonstrationsroute in Kamenz führt an Amt für Nationale Sicherheit, der FDJ- und der SED-Leitung vorbei. Aus der Menge der 700 Teilnehmern erschallen Rufe wie Stasi-raus", FDJ-raus" und SED-raus".

In Pritzwalk demonstrieren rund 250 Menschen. "Stasi in den Tagebau" ist eine der Parolen.

Auf der Demonstration in Dresden werden frei Wahlen und weg mit den Kampfgruppen gefordert. Es werden Fahnen sächsisches Grün-Weiß und Schwaz-Rot-Gold geschenkt. Die Demonstranten bewegen sich vom Theaterplatz zum Fučikplatz. Die 1. Sekretärin der SED-Kreisleitung wird während ihrer Rede ausgepfiffen.

Der Demonstrationszug in Zwickau führt von der Friedens- und Moritzkirche zum Kirchhof der Katharienkirche Es wird nicht nur die Auflösung der Kampfgruppen gefordert, sondern an Ort und Stellen den eigen Austritt zu erklären. Die SDP nimmt die Gelegenheit war, ihre Partei bekannter zu machen und für eine Mitarbeit zu werben.

Diskussionsveranstaltungen finden in Löbau und Niesky statt.

Di. 28.11.
In Parchim kommt es zu einer Demonstration organisiert vom Neuen Forum.

Vor der SED-Kreisleitung in Meißen versammeln sich 1 000 Personen. Gefordert wird u. a. "Partei raus aus den Betrieben". Der 1. Sekretär der SED-Kreisleitung wird während seiner Rede ausgepfiffen. Auch in Nordhausen wird demonstriert.

Mi. 29.11.
Mehrere tausend Frankfurter beteiligten sich gestern Abend an einer vom Neuen Forum angemeldeten Demonstration zum Bezirksamt für Nationale Sicherheit. In einer Resolution, die ein Sprecher der Initiativgruppe vor dem Amt verlas, wurden der Leiter der, Bezirksbehörde und der Kreisstaatsanwalt aufgefordert bis zum 10. Dezember mit einer Kommission des Neuen Forums zu sprechen. Ferner wurde die Forderung erhoben, Strukturen und finanzielle Mittel des Amtes offenzulegen sowie im Rahmen der Gespräche der Kommission eine Besichtigung aller Anlagen des Amtes zu ermöglichen.

Weitere Demonstrationen gab es in Ilmenau und Limbach-Oberfrohna.

Ihre Entschlossenheit, für eine grundlegend erneuerte SED mit neuem Programm und neuem Statut einzutreten, bekundeten am Mittwochabend weit über 10 000 SED-Mitglieder der Messestadt während einer Manifestation auf dem Dimitroff-Platz. Noch vor dem Parteitag müsse die ganze Schuld der ehemaligen Führung, ihr an Partei und Volk verbrecherisches Handeln offengelegt und die strafrechtliche Verfolgung der dafür Verantwortlichen eingeleitet werden, forderte Thomas Bonesky, 1. Sekretär der SED-Stadtleitung.

Auch sei es erforderlich, die inhaltlichen Fragen der künftigen Parteiarbeit in einem Diskussionspapier vorzulegen. Während der Diskussion, zu der rund 50 Wortmeldungen vorlagen, sprachen sich zahlreiche Redner gegen eine Wiedervereinigung aus und bekannten sich dazu, die DDR als sozialistische Alternative zur BRD zu erhalten. Aus diesem Grunde setzten Hunderte Teilnehmer der Manifestation ihren Namenszug unter den Appell "Für unser Land". Unter den Teilnehmern war auch Dr. Roland Wötzel 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung.

Do. 30.11.
In Erfurt demonstrieren rund 10 000 Menschen. Demonstriert wird auch in Rostock.

Gegen die missbräuchliche Verwendung von Solidaritätsgeldern protestierten am gestrigen Abend etwa 150 Berliner Bürger vor den Häusern der Gewerkschaften Am Märkischen Ufer und des FDJ-Zentralrates. Dazu aufgerufen hatte der Nicaragua-Arbeitskreis Berlin, der sich als autonome Gruppe zu Problemen der Zweidrittelwelt versteht. Es wurde eine Protesterklärung verlesen.

In Nordhausen findet eine weitere Diskussionsrunde statt.


Alle Angaben sind Auszüge aus den Chronikseiten November 1989 www.ddr89.de. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Die Teilnehmerzahlen sind mit Vorsicht zu genießen. Niemand war in der Lage sie zu zählen.

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