In einer Erklärung des Ministerrates der DDR, die Regierungssprecher Wolfgang Meyer am Dienstag der internationalen Presse in Berlin bekanntgab, heißt es: "Der Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik hat in seiner Sitzung am 7. November 1989 beschlossen, zurückzutreten. Der Ministerrat hat einen entsprechenden Antrag an das Präsidium der Volkskammer gestellt. Auf der Grundlage des Artikels 50 der Verfassung und in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR und Generalsekretärs des Zentralkomitees der SED, Egon Krenz, in der Fernseh- und Rundfunkansprache am 3. November 1989 wird die Regierung der DDR ihre verfassungsmäßigen Aufgaben bis zur Abberufung und der Wahl eines neuen Ministerrates durch die Volkskammer wahrnehmen. (Neues Deutschland, Mi. 08.11.1989)
Auf der Sitzung des Politbüros der SED wird beschlossen, am nächsten Tag zurückzutreten und eine Neuwahl durchzuführen.
Mehrere tausend Bürger, vor allem Jugendliche, demonstrierten gestern am späten Nachmittag im Berliner Stadtzentrum für freie Wahlen. Im Zug wurden Transparente getragen mit der Aufschrift "Für eine freie Kommunalwahl 1990" und "Wahlbetrüger vors Gericht". Vor der Volkskammer, dem Staatsratsgebäude und dem Haus des Zentralkomitees der SED riefen sie "Wir sind das Volk" und "Alle Macht dem Volke und nicht der SED". (Berliner Zeitung, Mi. 08.11.1989)
Demonstrationen in mehreren Städten
In Wismar demonstrierten am Dienstagabend vor dem Rathaus rund 50 000 Einwohner. In Nordhausen kamen am gleichen Tag 35 000 bis 40 000 Bürger auf dem August-Bebel-Platz zusammen, und rund 20 000 Menschen versammelten sich in Meiningen. (Neues Deutschland, Do. 09.11.1989)
In mehreren Städten kommt es zu Demonstrationen.
In Anklam sollen es 1 200, in Bad Salzungen 5 000, in Bitterfeld 800, in Genthin 1 500, in Lobenstein 3 000, in Meißen 5 000, in Naumburg 1 200, in Penig 1 500, in Pulsnitz 1 000, in Rathenow 9 000, in Roßlau 2 000, in Schmiedefeld 800, in Weimar 45 000 und in Wittenberg rund 3 500 Menschen sein.
Vorsitzender der IG Metall abberufen
Auf der 11. Tagung des Zentralvorstandes der IG Metall, die in geschlossener Sitzung am Dienstagvormittag begann, wurde Gerhard Nennstiel auf Grund der ungeklärten Umstände seines Eigenheimbaus als Vorsitzender und Mitglied des Zentralvorstandes der Industriegewerkschaft abberufen. Diese Entscheidung wurde mit 87 Stimmen bei drei Gegenstimmen gefällt. Am 27. November erfolgt die nächste Tagung des Zentralvorstandes. Bis zu diesem Zeitpunkt werden Vorschläge für einen neuen Vorsitzenden unterbreitet. Einstweilen leitet das Sekretariat des Zentralvorstandes die Geschäfte der größten. Einzelgewerkschaft. Das erklärte Joachim Pampel stellvertretender Vorsitzender des Zentralvorstandes, gegenüber Journalisten.
Auf der Tagung lag ein Entwurf eines Standpunktes der 11. Tagung vor, der in den kommenden Wochen in den Gewerkschaftsorganisationen diskutiert und Ende des Monats verabschiedet werden soll. Darin werden Vorschläge zur Wirtschafts-, Tarif- und Sozialpolitik sowie zur Rechtssicherheit formuliert. So tritt die IG Metall für die Ausarbeitung eines neuen Arbeitsgesetzbuches und eines Gewerkschaftsgesetzes ein, in dem die Rechte der Gewerkschaften eindeutiger als bisher fixiert sind.
(Neues Deutschland, Mi. 08.11.1989)
Gewerkschaft Gesundheitswesen sendet Brief an seine Mitglieder
"Ein einheitlich geleitetes Gesundheitswesen mit einem einheitlichen Tarif" fordern das Sekretariat des Zentralvorstandes und Vorsitzende der Bezirksvorstände der Gewerkschaft Gesundheitswesen in einem am Dienstag ADN übergebenen Brief an deren Mitglieder. Ferner wird darin verlangt: "Schrittweise Beseitigung der großen Unterschiede in der Entlohnung und Besteuerung zwischen unserem Bereich und der materiellen Produktion, Angleichung der Mittel im Kultur- und Sozialfonds und im Prämienfonds an die Höhe dieser Fonds in anderen Bereichen sowie eine an die Leistung gebundene zusätzliche jährliche Vergütung" und "dass alle im Gesundheits- und Sozialwesen jährlich geplanten Lohnmittel zur Stimulierung zusätzlich hoher Leistungen der Mitarbeiter eingesetzt und nicht für andere Bereiche abgezogen werden". (Neues Deutschland, Mi. 08.11.1989)
Neuen Forum zum Entwurf des Reisegesetzes
In einer an ADN übergebenen Erklärung äußerte sich am Dienstag eine Initiativgruppe des "Neuen Forums" zum Entwurf des Reisegesetzes. Die Unterzeichner fordern einen Reisepass für jeden Bürger, generelles Ausreisevisum nach allen Staaten der Welt, das alle zwei, drei Jahre erneuert wird. Weiterhin sprechen sie sich gegen eine Befristung der Reisedauer und willkürlich auslegbare Einschränkungen aus. Das Ausreisevisum müsse dazu berechtigen, jeden Tag die Grenzen zu überschreiten, kurzfristig zu Ausstellungen, Veranstaltungen, Feiern und Besuchen fahren zu können. So werde ein enormer Aufwand an Verwaltung und Zeit eingespart. (Berliner Zeitung, Mi. 08.11.1989)
Unabhängiger Ausschuss im Bezirk Karl-Marx-Stadt konstituiert
Ein Unabhängiger Ausschuss zur Untersuchung von Vorgängen im Zusammenhang mit Demonstrationen um den 7. Oktober im Bezirk Karl-Marx-Stadt konstituierte sich am Dienstag in der sächsischen Bezirksstadt. Ihm gehören Abgeordnete des Bezirkstages, Vertreter der "Neues Forum" und des Landeskirchenamtes der Evangelisch-lutherischen Kirche an. Auf ihrer ersten Tagung nahmen sie Berichte über den aktuellen Stand der Ermittlungen und Anzeigenbearbeitung von Beauftragten des Bezirksstaatsanwaltes und des Chefs der BdVP entgegen. So sind bis zum 7. November 15 Anzeigen gegen die VP eingegangen. (Berliner Zeitung, Mi. 08.11.1989)
Offenen Brief an alle Mitglieder vom Sekretariat des DFD-Bundesvorstandes
Das Sekretariat des DFD-Bundesvorstandes wandte sich am Dienstag in einem offenen Brief an alle Mitglieder der Frauenorganisation. Wie die Pressestelle des Bundesvorstandes gegenüber ND mitteilte, wird darin die Aufgabe hervorgehoben, mit Frauen aller Bevölkerungskreise über Fragen der Gegenwart und Zukunft unseres Landes zu diskutieren, sich entschiedener und unnachgiebiger für die Belange und Interessen der Frauen einzusetzen. Die Zuschriften, Hinweise, Vorschläge und Kritiken, die dem Bundesvorstand zugingen, werden zur 8. Bundesvorstandssitzung, die für den 16. November einberufen wurde, ausgewertet. Der Vorbereitung dieser Sitzung diente auch eine Problemdiskussion über die neuen Aufgaben des DFD. (Neues Deutschland, Mi. 08.11.1989)
NDPD wählt neuen Vorsitzenden
Auf der 6. Tagung des Hauptausschusses der National-Demokratischen Partei Deutschlands, die Dienstag in Berlin stattfand, wurde Günter Hartmann zum neuen Vorsitzenden gewählt. Er tritt die Nachfolge von Prof. Dr. Heinrich Homann an, der vergangene Woche um Entbindung von seinem Amt ersucht hatte. Der neue Vorsitzende war in geschlossener Sitzung mit 92 von 126 Stimmen gewählt worden. (Neues Deutschland, Mi. 08.11.1989)
Politbüro der SED hebt alle Beschlüsse über die Wohnsiedlung Wandlitz auf
Auf Anfragen zu Presseberichten über die Rückführung von Waren aus Wandlitz teilte das Konsultations- und Informationszentrum des Zentralkomitees der SED gestern mit: Das Politbüro hatte am 7. November 1989 alle seit 1960 gefassten Beschlüsse über die Wohnsiedlung Wandlitz aufgehoben. Damit wurde auch die ungerechtfertigte Versorgung der Bewohner der Siedlung eingestellt. Die bis dahin angebotenen Importwaren, die über das normale Niveau hinausgingen, wurden an entsprechende Einrichtungen des Außenhandels zurückgeführt. (Berliner Zeitung, Mi. 29.11.1989)
Zahl der Ausreisen von DDR-Bürgern über die ČSSR in die BRD steigt
Die Zahl der DDR-Bürger, die ihre Heimat über die ČSSR in Richtung BRD verlassen, ist gestern im Laufe des Nachmittags erneut gestiegen. Ein Sprecher des Bundesgrenzschutzes (BGS) in München teilte gegen 20 Uhr mit, dass seit dem Mittag etwa 5 000 neue Flüchtlinge in Bayern eingetroffen seien. Pro Stunde reisten gegenwärtig etwa 300 DDR-Bürger ein. Damit habe sich die Gesamtzahl der Übersiedler seit Samstag morgen auf etwa 33 000 erhöht. Insgesamt hätten seit Öffnung der ungarischen Grenze zu Österreich am 11. September fast 100 000 Menschen die DDR verlassen.
Der BGS teilte gestern mit, die Unterbringung der Übersiedler werde ständig schwieriger. Die Kapazität der rund 50 Erstaufnahmelager in Bayern hat ihre Obergrenzen erreicht. Es werden neue Erstunterkünfte eingerichtet, darunter auf einem Truppenübungsplatz und in BGS-Kasernen. Bremen stoppte wegen Überlastung der Lager die Aufnahme von Aus- und Übersiedlern am Dienstag. Wenn in den mittlerweile 61 Lagern täglich fast 10 000 Leute ankämen, meinte ein BGS-Sprecher, übersteige das jegliches Volumen. (Berliner Zeitung, Mi. 08.11.1989)
Der Gesandte der Ständigen Vertretung der DDR in Bonn unterrichtet das Bundeskanzleramt über das Reisegesetz
Lothar Glienke Gesandter der Ständigen Vertretung der DDR in Bonn unterrichtet das Bundeskanzleramt darüber, dass die DDR beabsichtigt, den Teil des Reisegesetzes, der sich mit der ständigen Ausreise befasst, sobald als möglich in Kraft zu setzen. Von der BRD wird ein entschiedenes Auftreten gegen Ausreisen von DDR-Bürgern erwartet.
Kontrollen an der Grenze DDR-BRD gelockert
Die Kontrollen an der innerdeutschen Grenze sind zum Teil gelockert worden. Wie der Bundesgrenzschutz am Dienstag mitteilte, verzichten die DDR-Grenzbeamten beim Übergang Herleshausen auf den bisher üblichen Ausbau der Rückbank, das Durchsuchen der Kofferräume und das Öffnen der Motorhauben. Die Wartezeit sei auf etwa 15 Minuten gesunken. Auch die Wartezeit bei der Einreise in die DDR sei verkürzt. Reisende zitierten einen DDR-Kontrolleur. "Was sollen wir noch suchen? Wer will, kann ja über die Tschechoslowakei ausreisen."
Die Berufskraftfahrer sprechen von "beinahe westlichen Verhältnissen" bei der Abfertigung. Für sie sei die Wartezeit von drei Stunden auf eine Viertelstunde gesunken. Die DDR-Grenzbeamten setzten bei der Überprüfung der Ladung keine Spürhunde mehr ein und verzichteten auch bei Lastkraftwagen auf den Einsatz von Spiegeln. Von mehreren Grenzübergängen wird von einem "freundlicheren Verhalten" berichtet. Nach Angaben des Bundesgrenzschutzes in Braunschweig hat sich dagegen nicht überall eine wesentliche Änderung im Abfertigungsverhalten der DDR gezeigt. Während bei der Personenwagen-Abfertigung im Transitverkehr keine Änderung festgestellt wurde - dabei wird ohnehin schon weitgehend auf Durchsuchungen verzichtet -, melden die Bundesgrenzschutzstellen für den Schwerverkehr Unterschiedliches. Am Übergang Gudow (Autobahn Hamburg-Berlin) zum Beispiel werden die Lastkraftwagen weiterhin wie bisher überprüft. Dagegen war von der Bayerischen Grenzpolizei zu erfahren, dass die Grenzposten am Übergang Rudolfstein (Autobahn München-Berlin) keine Hunde mehr einsetzten und nur noch flüchtig die Ladung überprüften. (Frankfurter Allgemeine Zeitung, Mi. 08.11.1989)
Unterredung zwischen dem DDR-Außenminister und dem Botschafter der UdSSR in der DDR
Bei einer Unterredung zwischen DDR-Außenminister Oskar Fischer und dem Botschafter der UdSSR in der DDR, Wjatscheslaw Kotschemassow, schließt Oskar Fischer eine Öffnung der Grenze zwischen der DDR und der BRD aus. Die Öffnung sei mit unkontrollierbaren Wirkungen verbunden.
Mit der ČSSR solle es Beratungen geben, ob es für die ČSSR Entlastung bringen würde, wenn ihre Grenzübergangsstelle zu Bayern Vojtanov/Brambach in die Ausreise von DDR-Bürgern einbezogen wird. Die Grenze zur ČSSR könne nicht geschlossen werden. Die ČSSR-Führung solle aber gefragt werden, ob sie die Grenze zur DDR schließen kann.
Die Kampagne in den DDR-Medien, um die Bürger zum Hierbleiben zu veranlassen solle verstärkt werden. Von der BRD-Führung wird verlangt, dass sie gegen die Einreise von DDR-Bürgern auftritt.
Den akuten Problemen in Verkehr, Handel und medizinischer Versorgung, bei der Wintervorbereitung sowie beim Ausarbeiten eines realen Planes für 1990 stellen sich in Leipzig drei vom Rat der Stadt speziell gebildete Arbeitsgruppen. Wie der amtierende Oberbürgermeister, Günter Hädrich, gestern vor Journalisten informierte, seien Sofortmaßnahmen zum Aufrechterhalten des öffentlichen Lebens in der zweitgrößten DDR-Stadt ergriffen worden. Insgesamt mehr als 150 Angehörige der NVA und der Deutschen Volkspolizei, 30 Mitglieder des Rates der Stadt und 700 Studenten unterstützen als Fahrer oder Beifahrer die Verkehrs- und andere Betriebe, den Handel sowie das Gesundheitswesen oder sind als Rangierer bei der Deutschen Reichsbahn eingesetzt. (Berliner Zeitung, Mi. 08.11.1989)
Dialogveranstaltungen werden in Weißenfels und Zschopau abgehalten.
In der Reformierten Kirche in Leipzig gründet sich die SDP. Es wird ein Präsidium gewählt. Vorsitzender wird Karl-August Kamilli. Die Bildung von Betriebsgruppen wird abgelehnt. Nach einem Bericht des MfS nahmen an der Veranstaltung 200-300 Personen teil. Die Veranstaltung lief im Vorfeld als Veranstaltung des Neuen Forum. Nach der Gründung wurde im Rathaus mit Gründungsurkunde und Statut vorgesprochen um die Gründung mitzuteilen.
In dem MfS-Bericht ist zu lesen: "Die Stadtbezirksgruppe Mitte will sich am Sonnabend, 11.11.89, 19.00 Uhr in der Markusgemeinde konstituieren.
Die inoffizielle Quelle der KD Leipzig-Stadt ist mit der Teilnahme beauftragt."
Auch in Gera gründet sich eine Stadtverband der SDP.
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In das Lukas-Pfarrhaus lädt die SDP Karl-Marx-Stadt zu eine Versammlung ein.
Eine örtliche Gruppe des Neuen Forum gründet sich in Welzow.
Das Informationsblatt Nr. 1 des Neuen Forum Schwerin erscheint.
In der Herz-Jesus-Kirche in Dresden-Leuben wird auf einer Veranstaltung des Demokratischen Aufbruchs u. a. über eine Zusammenarbeit mit dem Neuen Forum gesprochen. Der Demokratische Aufbruch als Partei im Neuen Forum soll an Wahlen teilnehmen und im Parlament vertreten sein, während das Neue Form basisdemokratisch aktiv sein soll.
Im "Klubhaus der Einheit" in Gotha führen Demokratie Jetzt, Demokratischer Aufbruch, das Neue Forum und die Sozialdemokratische Partei in der DDR eine Veranstaltung durch. Wegen des großen Andrangs muss die Informationsveranstaltung zweimal durchgeführt werden.
Das Politbüro der SED beschließt, die Anmeldungen von Vereinigungen, wenn sie keine verfassungswidrigen Ziele vertreten, sollen angenommen werden. Mitglieder der SED sollen gezielt in den Vereinigungen mitwirken.
Der Untersuchungsausschuss des Bezirkes Karl-Marx-Stadt zur Untersuchung der Vorgänge um den 07.10.1989 kommt zu seiner ersten Sitzung zusammen.
Der Bezirksvorstand des Verbandes Bildender Künstler Karl-Marx-Stadt veröffentlicht einen Aufruf, der mit den Worten beginnt: "Beruhigt Euch nicht!". Der Prozess der demokratischen Erneuerung ist unumkehrbar.
Wolfgang Mayer wird neuer Regierungssprecher und Leiter des Presseamtes.