Die für Dezember erwartete neue DDR-Reiseregelung könnte einigen DDR-Zeitungen unerwartete Deviseneinnahmen bescheren. Im Rathaus Schöneberg wird erwogen, in Publikationen wie dem 'Neuen Deutschland’ und der Ost-'Zeitung’ Anzeigen zu schalten, die dazu aufrufen, Trabi und Wartburg von den Westberliner Stadtgrenzen stehenzulassen. Die Anzeigen könnten Hinweise auf die Pendelbusse und -züge enthalten, die Senat und DDR einsetzen wollen. Diese grenzüberschreitende Öffentlichkeitsarbeit gehört zu den Ideen, die Senatspolitiker zur Zeit diskutieren, um den erwarteten Ansturm von Hunderttausenden von DDR-Bürgern zu kanalisieren.
Vier Wochen vor dem Stichtag des 1. Dezember trafen sich gestern im Rathaus Schöneberg erneut die Reise- und Besuchsbeauftragten von Senat und DDR. Der Senat habe Angebote unterbreitet, wie eine "reibungslose Ein- und Ausreise und eine bessere verkehrliche Anbindung an das Netz der BVG erreicht werden können", teilte Senatssprecher Kolhoff anschließend mit. Der DDR-Unterhändler sei gebeten worden, bei den erwarteten Besuchern "um Verständnis für den Wunsch des Senats zu werben, nicht mit dem eigenen Pkw zu reisen, sondern die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen".
Details - wie die Anzeigen-Idee - bemühte sich die Senatskanzlei gestern offiziell noch geheim zu halten. Die taz erfuhr dennoch von den Plänen, die man im Rathaus Schöneberg zur Zeit wälzt. Dort hofft man, dass viele DDR-Bürger sich überzeugen lassen, von "park and ride"-Angeboten Gebrauch zu machen. Auf großen Parkplätzen wie am Flughafen Schönefeld könnten die Besucher ihre Zweitakter abstellen und in den Bus steigen, der sie zum U-Bahnhof Rudow kutschiert. Weitere Buslinien sollen zwischen dem U-Bahnhof Tegel und Henningsdorf (DDR) pendeln, zwischen der Sonnenalle in Neukölln und dem S-Bahnhof Baumschulenweg in Treptow sowie - wenn die Alliierten keine Einwände haben über die Glienicker Brücke. Alles, was rollen kann, muss rollen, hieß es gestern im Rathaus ("räder rollen für den sieg" fällt mir da ein. tschuljung. sezza). Auch Westberliner Fuhrunternehmer könnten deshalb im Senatsauftrag und neben der BVG Pendeldienste einrichten.
Die DDR-Reichsbahn soll Sonderzüge einsetzen, um Besucher aus Potsdam zum Bahnhof Wannsee zu transportieren. Zwischen den Partnerstädten Nauen (DDR) und Spandau sollen ebenfalls Züge verkehren und auch aus Richtung Norden sollen die Pendelzüge kommen. Keinen Eisenbahnverkehr plant man zwischen der Ostberliner Stadtmitte und dem Bahnhof Zoo. Hier, in den Innenstädten, fehlt den Zügen der Platz zum Wenden.
Die Eisenbahnwaggons, die Tausende von Menschen transportieren können, haben nach Meinung von Senatsexperten ungleich größere Bedeutung, als die Busse der BVG, die ganzen 150 Fahrgästen Platz bieten. Im Rathaus Schöneberg gibt es ohnehin Stimmen, die davor warnen, die Besucherzahl zu unterschätzen. Geht der Senat offiziell davon aus, dass an den Wochenenden etwa 100 000 Besucher täglich über die Grenze kommen, sprechen andere von bis zu 300 000. Sie vermuten, dass sich nicht nur die Bewohner des Berliner Umlandes in die Mauerstadt gezogen fühlen, sondern auch die Sachsen aus den Zentren Dresden, Leipzig und Halle. Für die liegt Westdeutschland zwar näher - aber nur in der Gestalt des verschlafenen "Zonenrandgebietes". "Die Leute wollen doch eine große Stadt sehen", vermutet ein Senatsmann, "die fahren nicht nach Eschwege".
(die tageszeitung, Sa. 04.11.1989)
[sezza Eine Zeitlang wurden von Setzern der Taz Kommentare eingefügt.]
Von den Vertretern des Westberliner Senats wurde bei dem Treffen die Öffnung zweier U-Bahnhöfe und neuen weiter Straßen als Grenzübergänge vorgeschlagen.
Um genügend Zeit zu haben, um sich auf den zu erwartenden Besucherstrom vorbereiten zu können, sollte dem Senat die Grenzöffnung 14 Tage vorher mitgeteilt werden.
Da die DDR-Bürger über keinen Stadtplan von Westberlin verfügten, sollte einer gedruckt werden.
Die BVG in Westberlin versuchte Vorbereitungen für den Tage der Grenzöffnung zu treffen. Wurde aber in der Planung von der schnellen Öffnung überrollt.
Nach der Öffnung der Grenze am 09.11. wurde zum Teil auf die Vorschläge vom 03.11. zurückgegriffen.
Der Westberliner Senat nimmt Gespräche über die bevorstehende Grenzöffnung mit den Alliierten der westlichen Stadthälfte auf.
Bei dem Gespräch im Rathaus in Berlin-Schöneberg wird über die Möglichkeit eines weiteren Gebietsaustausches gesprochen.