Unter dem Motto "Antifaschismus heute - Menschlichkeit in Aktion" waren Berlinerinnen und Berliner in Ost und West aufgerufen, an einem Tag der Erinnerung, der Mahnung und der Begegnung am Berliner Lustgarten teilzunehmen. Tausende, für die Antifaschismus, Humanismus, Solidarität und Toleranz wichtige Lebenswerte sind, folgten gestern dem Aufruf.
Den Auftakt bildete eine Kundgebung, auf der in- und ausländische Redner an die faschistische Barbarei gemahnten und Aufgaben aufzeigten, die antifaschistische Tradition im künftigen Deutschland zu wahren. Prof. Heinrich Fink, Rektor der Humboldt-Universität erklärte, dass die Vereinnahmung des Antifaschismus durch eine Partei zu den bitteren Erfahrungen zähle. Das dürfte die Erinnerung an die Antifaschisten nicht trüben. Bekenntnisse, die nicht selbstverständlich seien, müssten stets neu errungen werden.
Zu den weiteren Rednern der Kundgebung zählten auch Altbischof Dr. Albrecht Schönherr, der das Zusammengehen von Christen und Nicht-Christen hervorhob und dabei an Dietrich Bonhoeffer und Bernhard Lichtenberg erinnerte, und der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlin, Dr. Peter Kirchner.
Die Publizistin Lea Rosh bezeichnete es als katastrophal, dass der Vorschlag des Zentralrates der Juden in Deutschland, im Einigungsvertrag die Verantwortung der Deutschen für die Einmaligkeit der NS-Gewaltverbrechen festzustellen, ignoriert wurde. Statt dessen würden im Vertrag unzulässigerweise NS-Verbrechen und Stalinismus gleichgesetzt. Rot ist nicht braun, stellte Lea Rosh fest. Hilda Bernstein überbrachte den Kundgebungsteilnehmern die Grüße des ANC sowie von Nelson Mandela und schilderte Erfahrungen mit dem Rassismus in Südafrika.
Auf dem rund siebenstündigen Programm des Tages standen Musikbeiträge, Bücherverkauf durch Verlage und ihre Autoren sowie Spiel und Spaß für Kinder.
(Berliner Zeitung, Mo. 10.09.1990)
Berlin (ND-Grabowski). Zehntausende Berliner aus beiden Teilen der Stadt sowie zahlreiche Gäste trafen sich gestern im Lustgarten, um der Opfer des Faschismus zu gedenken. Die Wahl des zweiten Septembersonntags entsprach einer 45jährigen Tradition, die Art der Kundgebung setzte jedoch einen neuen Anfang. Unter dein Motto "Antifaschismus heute – Menschlichkeit in Aktion" wurde der OdF-Tag als Tag der Erinnerung, Mahnung und Begegnung begangen. Eingeladen hatte dazu der Bund der Antifaschisten zusammen mit 30 anderen Organisationen aus Ost und West. Redner arm dem In- und Ausland riefen ein Stück leidvoller Vergangenheit ins Bewusstsein und wiesen auf Aufgaben für Gegenwart und Zukunft. Künstler und Kulturgruppen traten auf. Verlage stellten ihre Bücher vor, Fotoausstellungen konnten besucht und ausländische Spezialitäten probiert werden.
Die bitteren Erfahrungen des von einer Partei vereinnahmten OdF-Tages, sagte Prof. Dr. Heinrich Fink, Mitglied des Sprecherrates des Antifa-Bund, dürfen nicht die Erinnerung an die Widerstandskämpfer und Opfer des Naziterrors trüben. Altbischof Dr. Albrecht Schönherr hob die antifaschistische Solidarität von Christen und Nichtchristen hervor. Seinem Entsetzen über das Verhalten der Volkskammer, die Rechtsradikale zu den Wahlen zulässt, Linke aber auszugrenzen versucht, gab der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlin, Dr. Peter Kirchner, Ausdruck. Die westdeutsche Fernsehjournalistin Lea Rosh wertete es als Katastrophe, dass im Einigungsvertrag ein Hinweis auf die Verantwortung für die Naziverbrechen fehlt. Zu den zahlreichen Rednern gehörte tue Hilda Bernstein vom ANC Südafrikas, die Grüße Nelson Mandelas überbrachte.
Am Sonnabend hatten Mitglieder des Komitees der Antifaschistischen Widerstandskämpfer, Teilnehmer der Berliner Bürotagung der FIR, Vertreter von Parteien und Organisationen Kränze im Mahnmal Unter den Linden niedergelegt. Anschließend ergriffen im Maxim Gorki Theater Komiteevorsitzender Peter Florin, FIR-Generalskretär Alix Lhote und Prof. Fink das Wort.
(Neues Deutschland, Mo. 10.09.1990)