Di. 15. August 1989


Die nahezu 300 DDR-Bürger, die sich in den bundesdeutschen Vertretungen in Ost-Berlin, Prag und Budapest aufhalten, sollen sich nach Ansicht des vielfach als Systemkritiker hervorgetretenen Ost-Berliner Pfarrers Rainer Eppelmann auf die zugesagte Straffreiheit vertrauen und die Vertretungen verlassen. Wenn den Zufluchtsuchenden die Ausreise jetzt direkt genehmigt werde, führe dies zu einem "Dammbruch", sagte Eppelmann im Norddeutschen Rundfunk. Ohnehin ärgerten sich viele DDR-Bürgern über dieses "Vordrängeln" einer kleinen Minderheit, während eine große Anzahl die DDR auf "geregelter Art und Weise" verlasse.
(Frankfurter Rundschau, Mi. 16.08.1989)

Etwa 200 DDR-Bürger kampierten am Nachmittag vor dem deutschen Konsulat in Budapest, wo sie die weitere Entwicklung abwarten wollten, nachdem die Botschaft am Montag wegen Überlastung geschlossen worden war. Obwohl ihnen die DDR-Botschaft in Budapest nach einem ungarischen Rundfunkbericht Straffreiheit zugesichert hat, harrten sie weiter aus. Am Montag hatte der DDR-Botschafter in Budapest, Gerd Veress, mit dem ungarischen Außenminister Gyula Horn gesprochen.

Das Auswärtige Amt teilte weiter mit, neben den 181 Personen in der Budapester Botschaft sei weiteren 200 DDR-Bürgern Hilfe gewährt worden. Im Grunde gebe es keinen Unterschied zwischen den DDR-Bürgern im Gebäude und denen vor der Botschaft. Die Bundesrepublik versuche allen zu helfen. Auf Vermittlung des Amtes hätten das Rote Kreuz und der Malteser Hilfsdienst Räumlichkeiten der katholischen Kirche in der Nähe beschaffen können. Die regulären Dienste der Botschaft würden nunmehr außerhalb des Botschaftsgebäudes erledigt. Bundesbürgern, die beispielsweise ihren Pass verloren hätten, werde jetzt in einem "mobilen Büro" geholfen: Der VW-Bus der Botschaft stehe an einem zentralen Platz der Stadt. Die Visaerteilung für Ungarn werde nun über ungarische Reisebüros erledigt.

Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Jürgen Sudhoff, wies die Titelgeschichte der 'Bild'-Zeitung vom Dienstag als unwahr zurück. DDR-Bürgern außerhalb der Vertretung drohe keine Gefahr in Ungarn, hieß es in einer in Bonn verbreiteten Erklärung.

Im konkreten Falle hätten die vier Betroffenen nach Hinweis auf die drangvolle Enge in der Botschaft, nach einem ausführlichen Beratungsgespräch und nach der Versorgung mit dem Notwendigsten, darunter auch Geld, den Garten der Botschaft freiwillig verlassen.

In einer Reaktion darauf bekräftigte die Zeitung ihre Darstellung, nach der ein Beamter die vier jungen Männer, die über den Gartenzaun geklettert waren, angeschrien habe, sie sollten wieder gehen. Angeblich solle der Beamte auch damit gedroht haben, die ungarische Polizei zu rufen. Dazu sei ein Beamter des Bundesgrenzschutzes ohnehin nicht befugt, erläuterte das Auswärtige Amt auf Anfrage.

Am vergangenen Wochenende waren 471 DDR-Bürger beim Versuch ertappt worden, die ungarische Grenze illegal in Richtung Österreich zu passieren. Die ungarische Presse führte dies am Dienstag teilweise auf die enorm verstärkte Patrouillentätigkeit an der "Grünen Grenze" zurück, wo der am 2. Mai begonnene Abbau des "eisernen Vorhangs" fast beendet ist. Dennoch melden sich täglich viele DDR-Bürger in der Bonner Botschaft in Wien, eine exakte Zahl war aber weder in Bonn noch in Wien zu erfahren.
(die tageszeitung, Mi. 16.08.1989)

Die DDR-Flüchtlinge in der Bonner Botschaft in Budapest haben gegen die Berichterstattung der 'Bild'-Zeitung protestiert. "Wir DDR-Bürger", so schrieben die Ausreisewilligen am Dienstag in einem offenen Brief - den Zufluchtssuchende in der Bonner Botschaft in Budapest dem Auswärtigen Amt zur Veröffentlichung übergeben haben - sind "zutiefst empört" über die "Art der Berichterstattung durch die 'Bild'-Zeitung in den letzten Tagen".

Die Unterzeichner des Briefes forderten die Zeitung auf, "unser Schicksal nicht weiterhin in derart skandalöser Weise auszuschlachten". Die 'Bild'-Zeitung hatte berichtet, dass Botschaftsangehörige Flüchtlingen mit Hinauswurf durch Polizeieinsatz gedroht hätten.
(die tageszeitung, Mi. 16.08.1989)

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