Gegen den drohenden Zusammenbruch des Berliner Bauwesens demonstrierten gestern Mittag etwa 1 500 Berliner Bauarbeiter auf dem Alexanderplatz. Aufgerufen dazu hatte die Berliner Bauunion GmbH, zu der sechs Betriebe des ehemaligen Wohnungsbaukombinates gehören.
Die Information über diese Aktion erfolgte recht kurzfristig - einige Bauleute erfuhren erst am Morgen davon -, so dass sich zunächst auch etliche irrtümlicherweise vor dem Roten Rathaus versammelten.
630 Millionen DM fehlen zu Zeit, um den Wohnungsbau der Stadt weiterhin zu finanzieren. Dadurch sind über 20 000 Arbeitsplätze im Berliner Bauwesen in Gefahr. Der Vorsitzende der IG Bau-Holz, Horst Schulze, sprach davon, dass die Branche "kurz vor dem Kollaps" stünde. Oberbürgermeister Tino Schwierzina unterstützte die Bauarbeiter in ihren Forderungen, teilte aber gleichzeitig mit, dass aus Gesprächen mit der DDR-Regierung über dieses Problem noch keine Ergebnisse hervorgegangen seien.
(Berliner Zeitung, Mi. 18.07.1990)
Berlin (Eig. Ber.) 6 200 Bauleuten der Berliner Bauunion GmbH droht der Baustopp, wenn die Finanzierung des Wohnungsbaus weiter in den Sternen steht. Für die Hälfte von ihnen ist das Geld für die Juli-Lohnzahlung (erstmals in D-Mark) noch nicht zusammen, weil beim Bauherrn, dem Berliner Magistrat, Ebbe in der Kasse herrscht.
Bauarbeiter machten am Dienstagmittag auf dem belebten Alexanderplatz beide deutsche Regierungen nachhaltig auf die Misere im DDR-Bauwesen aufmerksam. Unter ihnen: der SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine. "Erbrachte Bauleistungen über 500 Millionen Mark sind noch nicht bezahlt, rief Johannes Schulzki, Belegschaftsratssprecher der Bauunion vor den versammelten Bauleuten aus. 11 000 Wohnungen seien angearbeitet. "Wenn wir stoppen müssen, bringt das einen Sog für die gesamte Berliner Bauindustrie."
Oberbürgermeister Tino Schwierzina versicherte die Umstehenden zwar seiner Solidarität, aber Geld hatte er auch nicht. So wie beim Berliner Magistrat sei es auch um die Kassen der Städte Dresden, Leipzig oder Rostock bestellt. Mit einem Wort: katastrophal. Bisherige Gespräche sind ergebnislos verlaufen.
Dass es nicht um Zuschüsse geht, sondern um zurückzuzahlende Kredite, machte der Vorsitzende der IG Bau-Holz, Horst Schulz, deutlich. Die Gewerkschafter verlangen deshalb von beiden Regierungen die unverzügliche Klärung der weiteren Baufinanzierung. "Wenn es keinen anderen Weg gibt", sagte Horst Schulz, "fordern wir dafür Mittel aus der Anschubfinanzierung". Der Sprecher wandte sich scharf gegen Versuche, den Gewerkschaften die Verantwortung für Betriebsschließungen zuzuschieben, weil sie in den Tarifverhandlungen einem Sozialabbau vorgebeugt haben.
Die Bauleute forderten die Fraktionen der Volkskammer auf. Entscheidungen zur Baufinanzierung genauso schnell und genauso großzügig zu treffen wie die Entscheidung zu den Diäten der Abgeordneten und zu den Ministergehältern.
Dann wurde Oskar Lafontaine, der irgendwo im Gedränge stand, ans Mikrofon gerufen. Der SPD-Kanzlerkandidat ließ sich erneut nicht zu Versprechungen hinreißen, versicherte aber, dass er die Probleme der DDR-Bauwirtschaft mit seinen Freunden in der SPD-Volkskammerfraktion besprechen werde und dass er sie in die Verhandlungen zum zweiten Staatsvertrag einbringen wird.
Für Dienstag nächster Woche wurde eine erneute Kundgebung angekündigt, falls bis dahin keine Entscheidungen getroffen worden seien.
(Tribüne, Mi. 18.07.1990)