Konfrontiert mit sinkendem Reallohn, wächst bei den Arbeitnehmern der DDR die Unzufriedenheit, steigt die Entschlossenheit, die Sorge um den Arbeitsplatz und sozialen Besitzstand auf die Straße zu tragen. Dies kennzeichnete auch die zweite Runde der Tarifverhandlungen in der Berlin-Brandenburgischen Metall- und Elektroindustrie, die am Montag im Berliner Congreß Centrum begann.
Hunderte IG-Metaller hatten sich hier in der Mittagsstunde versammelt, um ihren Forderungen nach Kündigungsschutz sowie Umschulung und Qualifizierung Nachdruck zu verleihen. Verhandlungsführer Bernd Thiele von der IG-Metall der DDR zeigte sich vor Beginn der bis in den späten Abend gehenden Gespräche in dieser Frage hart, erklärte in anderen Punkten jedoch seine Kompromissbereitschaft. Sprecher aus Betrieben Berlins und umliegender Städte mahnten einen Teuerungszuschlag von 400 DM monatlich sowie die 40-Stunden-Woche an. Scharf wandten sie sich gegen Massenentlassungen. Solidarische Grüße der IG Metall der BRD überbrachte deren 1. Bevollmächtigter für Westberlin, Manfred Foede. Er erklärte, dass die Forderungen der IG Metall gerechtfertigt und durchaus finanzierbar seien, beispielsweise durch den Wegfall von Abführungen an den Staat sowie durch Kredite und andere Mittel. Die Arbeitnehmer aber würden durch Streichung von Subventionen und höhere Steuer- und Sozialbeiträge belastet.
(Neues Deutschland, Di. 10.07.1990)
Mit einer Protestkundgebung bekräftigten Hunderte Metallarbeiter aus Berlin und dem künftigen Land Brandenburg vor Beginn der zweiten Tarifrunde am Montagmittag vor dem Berliner Congress Centrum am Märkischen Ufer ihre Position. Die Gewerkschaft halte an ihrer grundsätzlichen Forderung fest, während Umschulung und Weiterbildung keine Kündigungen zuzulassen. In allen anderen Punkten, so Teuerungsausgleich und 40-Stunden-Woche, sein man Kompromissbereit.
Ums Geld ging es auch den Berliner Taxifahrern, die sich Montagvormittag vor dem Roten Rathaus versammelt hatten. Sie protestierten gegen die neuen Tarife von 3,40 DM Grundgebühr, 1,69 DM pro Kilometer plus Zuschlägen. Folge: Kundenschwund, Tageseinnahmen von 70 bis 115 DM. Das führe zu Bruttolöhnen von 600 DM. Ein Gespräch mit Magistratsvertretern brachte Übereinstimmung beider Seiten, dass "die Lage unhaltbar" sei. Bis zu einer neuen Runde sollen die beiden Taxiverbände "verhandlungsfähige Positionen erarbeiten". Erst mal bleiben die Tarife.
(Junge Welt, Di. 10.07.1990)
Berlin P. K. - Eig. Ber.) Die Metaller kochen. 120 000 folgten dem Aufruf ihrer IG am Wochenende allein im Tarifbezirk Berlin/Brandenburg zum Warnstreik. So etwas gab es noch nie. Die Metaller wollten damit beweisen, dass sie nicht bereit sind, sich auf ein Spielchen mit den Unternehmern einzulassen und von ihren Forderungen abzugehen.
Tarifrunde zwei war nämlich für den gestrigen Montag [09.07.] angesagt. Um gleich noch einen drauf zupacken, waren rund 3 000 Arbeitnehmer an den Verhandlungsort zum Haus der Gewerkschaften am Berliner Märkischen Ufer gekommen. Sie riefen der Unternehmerseite gewissermaßen frisch ins Gesicht, was man verlangt: Beschäftigungssicherung statt Massenarbeitslosigkeit, Umschulungsprogramme ohne die Kollegen wahrend dieser Zeit vors Betriebstor zu setzen, Kurzarbeitergeld, 400 DM Zuschlag, mehr Grundurlaub, ein 13. Monatsgehalt.
Die Antwort der Unternehmer war bekanntlich ein klares Nein. Sind die Forderungen der Metallarbeiter tatsächlich zu hoch? Bernd Thiele, Verhandlungsleiter der IG Metall Berlin/Brandenburg: "Auf keinen Fall, es brennt in vielen Betrieben, in der Metallurgie und Mikroelektronik vor allem. Wenn da nicht Umschulungskonzepte vorgelegt werden, fliegen die Leute massenweise raus. Deshalb ist gerade diese Seite der entscheidende Verhandlungsgegenstand. Bei allen anderen Forderungen sind wir sicher flexibel, aber Beschäftigungssicherung wollen wir garantiert sehen."
Zwei feuerwehrrote VW-Busse, als Sprechfunkwagen von der benachbarten IG Metall Westberlin mitgebracht, passten regelrecht in die knisternde Atmosphäre dieser Demonstration. Manfred Föde von der Westberliner IG Metall gab denn auch den Arbeitnehmern recht in ihren Forderungen: Bereits beim ersten Tarifvertrag müssten deutliche Zeichen gesetzt werden, um nach der deutschen Einheit schnellstmöglich auch einheitliche Tarifverträge festzumachen. "Mehr Lohnsteuern und Versicherung, keine Subventionen, höhere Preise in Kaufhallen - wo bleiben da die Arbeitnehmerinteressen?"
Das müssen die Gespräche beweinen, die im Anschluss an die Demonstration begannen. Bisher, so das Mitglied des Geschäftsführenden Vorstandes der IG Metall DDR, Gerd Schult, zeigten die Unternehmer in allen Tarifbezirken bei den Verhandlungen eine starre Haltung. Eine Mammut-Sitzung scheint also programmiert zu sein.
(Tribüne, Di. 10.07.1990)