Die Berliner Kohlenhändler arbeiten heute nicht. Das mag vielleicht weniger auffallen als ein Streik der Müllfahrer. Wir haben ja Sommer. Aber der umsichtige Heizer bestellt im Sommer. Und wartet heute somit umsonst.
Der Grund für die Verstimmung der Kohlenhändler ist relativ einleuchtend. Sie erfuhren nämlich, dass sich ihre Einkaufspreise drastisch erhöhen. Ganz im Gegensatz zu den Verkaufspreisen an die Bevölkerung. Die sollen ja vorerst stabil bleiben. Damit muss der Händler eine Tonne Kohle, die er für 200 Mark kauft, für 40-85 Mark verkaufen. Und selbst wenig begabte Rechner können erkennen, dass es sich nicht eben um ein großes Geschäft handelt.
Nun ist diese Differenz für die Kohlenhändler nicht neu. Brennstoffe wurden ja bekanntlich subventioniert. Allerdings sagt den Händlern im Augenblick niemand, ob das auch künftig garantiert ist. Schon gar nicht der VEB Kohlehandel, der den privaten und Kommissionären bislang Vertrags- und Auskunftspartner war. Er hat sich nämlich zwischenzeitlich in die Stinnes Brennstoffhandel GmbH umgewandelt. Und hat jetzt andere Sorgen. Beispielsweise die Einkaufspreise zu erhöhen.
Der Sprecherrat der Kohlenmänner, der 70 private und Kommissionshandlungen in Berlin und Umgebung vertritt, will jedenfalls Klarheit. "Entweder wir bekommen Subventionen. Oder freie Preise."
Bis das nicht klar ist, gibt keine Kohlen.
(Berliner Zeitung, Mo. 02. Juli 1990)
Auf den vier Berliner Entladebahnhöfen hatten am Montag alle 70 privaten und Kommissionshändler des Kohlehandels die Waggons blockiert: Fahrzeuge waren aufgefahren, die jede Entladung unmöglich machten. Der Grund für die Proteste, Subventionen für die Bevölkerung sollten die Händler aus eigener Kasse vorstrecken - letztlich auch eine Gefährdung von etwa 500 Arbeitsplätzen im Ostberliner Kohlehandel. Dann kamen Verhandlungen in Gang, der Streik wurde vorerst beendet.
Trotz dieses Entschlusses der Kohlehändler hat sich die Situation nicht entschärft. Wie der Geschäftsführer der Stinnes Brennstoffhandel Berlin GmbH Hans-Joachim Müller am Dienstag erklärte, stünden noch wichtige Entscheidungen staatlicher Stellen zur Gewährleistung gleicher Wettbewerbsbedingungen für alle aus.
Knackpunkt sei der sogenannte "Einstandspreis", den der Großhandel für eine Tonne Brennstoff den Gruben zahlen müsse. Er liege derzeitig bei rund 170 Mark für Braunkohle. Da dem Westberliner Händler im Rahmen der "Berlinförderung" elf Prozent davon zurückerstattet würden, stünden die Kollegen aus dem Osten von vornherein mit schlechteren Karten im Kampf um die Marktanteile da.
Wenn nun also, so Müller, das Ministerium für Finanzen mit dem für Energiepreise zuständigen Ministerium für Umwelt, Naturschutz, Energie und Reaktorsicherheit keinen einheitlichen Berlin-Modus finden könne, sei der nächste Streik der Kohlenmänner vorprogrammiert.
Stinnes würde diese Forderung auf jeden Fall unterstützen, da es nicht sein könne, dass in der freien Marktwirtschaft ehrliche Konkurrenz ausgeschlossen wird.
Auch die am Montagabend geklärte Frage der Subventionen könne da nicht helfen. Man konnte sich mit dem Ministerium für Finanzen einigen, dass die staatlichen Stützungen - bei einer Tonne freigeschütteter Kohle um die 200 Mark - bis zum 21. Dezember über die Finanzämter dem Großhandel vorfinanziert werden.
(Neues Deutschland, Mi. 04.07.1990)