Berlin (ND-Stemmler/Werner). 21 Punkte standen auf dem Programm der 19. Tagung der Volkskammer am gestrigen Freitag, doch nur zu einem entwickelte sich eine kontroverse Debatte: zum Anpassungsgesetz für die Landwirtschaft der DDR an die soziale Marktwirtschaft. Ausgelöst wurde sie durch Dr. Werner Meyer-Bodemann von der Fraktion DBD/DFD. Er beantragte, in den vorgelegten Entwurf für die Zeit bis 31. Dezember 1990 für Bauern und Genossenschaften der DDR ein Vorkaufs- und Vorpachtrecht für Grund und Boden zu verankern, um ihnen gleiche Chancen gegenüber zahlungkräftigen Interessenten aus der BRD einzuräumen.
Im zuständigen Ausschuss hatte Einigkeit über einen solchen Passus geherrscht, die CDU/DA-Fraktion änderte aber plötzlich ihre Meinung und polemisierte mit fadenscheinigen Begründungen gegen die Chancengleichheit. Man einigte sich schließlich darauf, daß Personen, die nicht vor dem 7. Oktober 1989 in der DDR wohnten, für eine Übergangszeit keinen land- oder forstwirtschaftlich nutzbaren Boden kaufen oder pachten dürfen.
Im Laufe der Tagung verabschiedete das Hohe Haus 13 Gesetze, darunter das Umweltrahmengesetz, zwei Gesetze gegen Rechtswidrigkeiten im Zusammenhang mit der Währungsumstellung, das Sparkassengesetz, das Gesetz über die Staatsbank und das Gesetz über die Aufhebung der Versorgungsordnung des ehemaligen MfS/AfNS. Die Renten für einstigen Mitarbeiter wurden auf höchstens 990 D-Mark begrenzt.
Die ursprünglich vorgesehene Berufung der Mitglieder des Verwaltungsrates der Treuhandanstalt kam auf Antrag von Ministerpräsident Lothar de Maizière nicht zustande, da "das gesamte Personaltableau" noch nicht feststeht. Der Premier teilte lediglich mit, dass Dr. Detlev Carsten Rohwedder, ein, wie er sagte, bei der Sanierung von Unternehmen bewährter Experte aus der BRD, den Vorsitz übernehmen wird. Die aktuelle Stunde zu Beginn der Tagung erbrachte wenig Aufschluss über die DDR-Konzeption hinsichtlich der äußeren Aspekte des Vereinigungsprozesses.
In einer nur wenige Minuten wahrenden Sondertagung wurde die Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission beschlossen. Sie soll die Vorgänge um die Umwandlung des Kraftwerkes Boxberg in eine Aktiengesellschaft klären.
(Neues Deutschland, Sa. 30.06.1990)
Berlin (ND-Stemmler). Im Zusammenhang mit der Währungsunion wurden auf der Volkskammertagung am Freitag zwei Gesetze beschlossen, die auch unmittelbare Wirkung auf Kontoinhaber haben können. So werden alle Personen mit Wohnsitz in der DDR, die Anfang Juni 100 000 Mark und mehr auf einem Buchspar- oder Spargirokonto hatten, bei der Währungsumstellung erfasst. Das steht ein Gesetz zur Feststellung von rechtswidrigen Handlungen im Zusammenhang mit der Währungsumstellung der DDR-Mark vor. "Wer durch verbrecherische oder unredliche Machenschaften auf Kosten der Menschen unseres Landes zu erheblichem geldwertem Vermögen gelangt ist", heißt es darin, "genießt keinen Vertrauensschutz und darf nicht zum Nutznießer der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion werden."
Im Rahmen einer Stichprobe sollen bei ausgewählten Konten die Veränderungen des Guthabens gegenüber der Jahresinventur 1989 vom September bei Buchsparkonten beziehungsweise der Monatsinventur Oktober 1989 bei Spargirokonten festgestellt werden. Sofern sich das Kontoguthaben um 50 000 Mark öder mehr erhöht hat, informieren die Geldinstitute die zeitweilige "Prüfbehörde Währungsumstellung".
Bei Personen mit Wohnsitz außerhalb der DDR kann die Prüfbehörde ebenfalls Einsicht nehmen, wenn das Guthaben per 30. Juni 1990 50 000 Mark überschreitet, sofern es sich seit dem 31. Dezember 1989 um 30 000 Mark erhöht hat.
Auch juristischen Personen oder Stellen mit Sitz und Niederlassung in der DDR, die Konten nach dem 1. Januar 1990 neu eingerichtet haben, werden erfasst, wenn das darauf befindliche Guthaben 250 000 Mark überschreitet.
Schließen die Prüfungen den Verdacht einer Straftat nicht aus, hat die Prüfbehörde bei der zuständigen Strafverfolgungsbehörde Anzeige zu erstatten und die Beweismittel zu übergeben.
Im zweiten Gesetz geht es um „den Nachweis der Rechtmäßigkeit des Erwerbs von Umstellungsguthaben". Dazu wurde ein zeitweiliger Sonderausschuss von 21 Abgeordneten gebildet, der die Prüfung des rechtmäßigen Erwerbs anordnen kann. Natürliche und juristische Personen mit Wohnsitz oder Niederlassung in oder außerhalb der DDR haben "auf Verlangen die Rechtmäßigkeit des Erwerbs des zur Umstellung angemeldeten Guthabens nachzuweisen". Das Verlangen kann der Sonderausschuss bis zum 8. Juli stellen und dem Kontoinhaber unverzüglich übermitteln, "wenn Zweifel an dem rechtmäßigen Erwerb des Gesamtguthabens bestehen". Wer solche Zweifel äußern kann, wird leider nicht erklärt.
Bis zu einer endgültigen Entscheidung ist der den bevorzugten Umtausch überschreitende Betrag durch das Geldinstitut zu sperren. Der Kontoinhaber hat innerhalb von nur zehn Tagen die Rechtmäßigkeit des Erwerbs, des Gesamtguthabens nachzuweisen. Unrechtmäßigkeit liegt laut Gesetz vor, wenn das Guthaben oder Teile davon durch strafbares oder ordnungswidriges Handeln, durch Handlungen, die einen gröblichen Verstoß gegen die guten Sitten darstellen, durch einen Missbrauch staatlicher oder gesellschaftlicher Befugnisse oder einer staatlichen oder gesellschaftlichen Tätigkeit zum Nachteil des Gemeinwohls erlangt wurden - recht undurchsichtige Formulierungen. Der Sonderausschuss prüft die Rechtmäßigkeit und entscheidet. Darüber muss er dem Kontoinhaber und der Staatsbank bis 1. Oktober Mitteilung machen. Gegen die Entscheidung des Sonderausschusses kann der Betroffene zwar Beschwerde einlegen - jedoch beim Sonderausschuss selbst. Wird ihr nicht stattgegeben, fällt das Präsidium der Volkskammer die endgültige Entscheidung innerhalb von vier Wochen.
Prof. Dr. Riege (PDS) erklärte dazu, dass das vorliegende Gesetz ein Ausnahmegesetz sei.Es erfülle nicht die Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren, Rechtsgleichheit werde nicht erstrebt, sondern ausgeschlossen. "Einem Sonderausschuss des Parlaments werden abweichend von den im Recht der DDR generell geltenden Regelungen exekutive und rechtsprechende Funktionen übertragen. Mit der Stellung des Präsidiums der Volkskammer ist es nicht zu vereinbaren, wenn ihm die Rolle eines Obersten Gerichts zugeschrieben wird. Die getroffene Entscheidung steht in der Nähe eines politischen Strafrechts, das vom Parlament mit guten Gründen verurteilt wurde."
(Neues Deutschland, Sa. 30.06.1990)
Die Volkskammer verabschiedet das Gesetz über die Errichtung und das Verfahren der Schiedsstellen für Arbeitsrecht. Das Gesetz tritt am 01.07. in Kraft. Das Umweltrecht der BRD ist jetzt auch in der DDR gültig.