Berlin. Rainer Stephan Mit seinen Plänen für die Einführung einer Sonderabgabe auf importierte Konsumgüter ist gestern Wirtschaftsminister Pohl (CDU) an einer Mehrheit der Volkskammerabgeordneten gescheitert.
Weder er noch Handelsministerin Reider (SPD) vermochten die Parlamentarier vom Sinn dieser Maßnahmen zu überzeugen. Im Gegenteil: Mit fortschreitender Debatte nahmen die Unklarheiten eher zu, so dass die mehrheitliche Ablehnung eigentlich folgerichtig war.
Die 11prozentige Sondersteuer führe zu einer künstlichen Verteuerung von Importware, beklagten mehrere Abgeordnete in der Debatte. Die Sprecherin der CDU/DA-Fraktion sah sogar einen "Handelstourismus wie nach dem 9. November" auf Berlin zukommen. Denn in Westberlin wäre die Ware ja dann billiger, zusätzliche Belastung für die DDR-Händler. Alles in allem eine schwere Niederlage für den ohnehin recht glücklos operierenden Wirtschaftsminister Pohl.
Unter Beschuss geriet auch noch ein zweiter Mann aus der Ministerriege. Umweltminister Steinberg hatte ein zweites Mal versucht, den geplanten Verkauf von großen Teilen der DDR-Energiewirtschaft an BRD-Konzerne zu rechtfertigen. Im wesentlichen wiederholte er aber nur seine Ausführungen aus der vergangenen Woche, was scharfe Kritik aus den Reihen der Opposition, aber auch der SPD-Fraktion hervorrief.
Im Vergleich zu den Debatten zu diesen beiden Tagesordnungspunkten gingen die Beschlüsse über diverse Gesetzesentwürfe eher problemlos über die Bühne.
Dazu gehörten unter anderem solche zum Niederlassungsrecht. Veränderungen zum Zivilgesetzbuch, über die Sozialversicherung und über die Handwerksordnung. Auch das Rentenanpassungsgesetz passierte nun endgültig die Volkskammer. Allerdings wurde noch eine Veränderung vorgenommen: Die Höchstgrenze für Renten aus früheren Sonderversorgungsregelungen dehnten die Abgeordneten auf Militär und Innenministerium aus. Pensionierte höhere Offiziere können also künftig mit höchstens 1 500 DM im Monat rechnen. Aber das ist, verglichen mit dem Mindestsatz, auch nicht eben kärglich.
In erster Lesung stand ein Gesetz über Änderungen am Familienrecht auf dem Programm. Dieses wurde erst einmal "ideologisch entrümpelt", wie es eine Abgeordnete ausdrückte. "Aktive Erbauer des Sozialismus" zu erziehen, wie im alten Gesetz ausgeführt, erschien wohl nicht mehr ganz zeitgemäß. Verändert wurden ebenso Fragen des Unterhaltsrechts - auch für den geschiedenen Ehepartner kann künftig bei bestimmten Bedingungen gezahlt werden - sowie des Umgangs beider Elternteile mit Kindern nach einer möglichen Scheidung. Die Rechte des nicht Erziehungsberechtigten wurden hier gestärkt, viele Väter wird das freuen.
Nicht ausgefüllt wurde aber der auch bisher existierende rechtsfreie Raum, in dem sich Lebensgemeinschaften bewegen. Doch jetzt geht das Gesetz erst in die Ausschüsse, dort ist durchaus Gelegenheit zu Nachbesserungen.
(Berliner Zeitung, Fr. 29.06.1990)
Berlin. Die Mehrheit der Volkskammer folgte am Donnerstag einem Antrag der Liberalen und forderte die Regierung auf, die vorgesehene Sondersteuer von 11 Prozent auf importierte westliche Konsumgüter rückgängig zu machen. Begründet wurde es damit, dass konkreter Schutz für DDR-Erzeugnisse durch diese Maßnahme eine Illusion sei, sie führe nur zur künstlichen Verteuerung der Importware. Versuche durch die Minister Pohl und Reider, die Maßnahme zu verteidigen, fruchteten nicht.
Ein weiterer Minister geriet auf der Tagung ins Kreuzfeuer: Prof. Steinberg. Der geplante Verkauf der Energieerzeugungs- und -verteilungsanlagen an die drei führenden BRD-Stromkonzerne Bayernwerk AG, PreussenElektra AG und Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerke AG waren die Ursache. Zwar beeindruckten des Ministers Argumente, dass die Energiewirtschaft dringend Kapital benötigt, um technisch zu gesunden und umweltverträglicher zu werden. Doch konnte er den Vorwurf von SPD und Bündnis 90/Grüne, dass der Verkauf letztlich nur die Ablösung eines Staatsmonopols durch ein Privatmonopol sei, nicht entkräften. Auch protestierten sie, ebenso wie Vertreter von PDS und Liberalen gegen die Geheimniskrämerei um diesen bedeutenden Vorgang. Die Sprecher der Fraktionen plädierten für eine dezentrale Strukturierung der Energiewirtschaft, eine Aufgliederung auf die kommunalen Bereiche und die Einbeziehung vieler kleinerer Kapitalgeber.
Der PDS-Abgeordnete Dr. Herbert Richter forderte, mit Blick auf die zu erwartenden Betriebsstilllegungen, umgehend auf regionalem Gebiet Rahmensozialprogramme zu schaffen.
Doch der Disput endete schließlich - nach längerer Unterbrechung der Tagung - wie das Hornberger Schießen. Ein Antrag der SPD, zunächst von Parlamentsausschüssen eine Beschlussempfehlung erarbeiten zu lassen und die Vertragsunterzeichnung solange auszusetzen, war, wie das Präsidium feststellte, nicht abstimmungsfähig. Der Vertrag bedarf nicht der Zustimmung durch das Parlament.
Geklärt werden konnte im Zusammenhang mit der Aufhebung des Gewerkschaftsgesetzes das Schicksal der in vielen Betrieben noch bestehenden Betriebsgewerkschaftsleitungen, die ab 1. Juli ohne Rechtsgrundlage sind. Sie können nach Auskunft der Ministerin für Arbeit und Soziales, Dr. Regine Hildebrandt (SPD), vorerst noch weiterarbeiten. Bis Ende des Jahres sollten jedoch Betriebsräte gewählt werden.
Zu dem beachtlichen Gesetzespaket, das verabschiedet wurde, gehörten unter anderem Gesetze über den Außenhandels-, Kapital- und Zahlungsverkehr, zum Niederlassungsrecht, zur Aufhebung oder Änderung von DDR-Gesetzen, zur Änderung und Ergänzung des Zivilgesetzbuches, über die Sozialversicherung und das Rentenangliederungsgesetz. In erster Lesung behandelt wurde eine Änderung des Familiengesetzbuches sowie ein Gesetzentwurf zur Feststellung von rechtswidrigen Handlungen Im Zusammenhang mit der Währungsumstellung. Bevor die Abgeordneten am Donnerstag tätig werden konnten, müssten sie übrigens einen zweireihigen Kordon von Fahrzeugen der Berliner Stadtwirtschaft "überwinden", die den Palast blockierten. Damit verliehen die seit Tagen streikenden Müllfahrer ihrer Forderung nach höheren Löhnen, finanziert durch höhere Gebühren für die Müll-Großproduzenten (Industrie und Gewerbe), Nachdruck.
Von UWE STEMMLER und Dr. KARL-HEINZ WERNER
(Neues Deutschland, Fr. 29.06.1990)