Pro und Kontra: freies Unternehmertum

Von HELFRIED LIEBSCH und DIETMAR RIETZ

Die Tore der Leipziger Messe waren noch nicht geöffnet, da hatte sie schon begonnen. Mit einem Wirtschaftsforum, zu dem das Düsseldorfer "Handelsblatt" Politiker und Unternehmer aus beiden deutschen Staaten eingeladen hatte. Fragen, die in diesen Tagen viele Gemüter bewegen: Werden die Gesetze, die jüngst von der Volkskammer beschlossen wurden, von Bestand sein? Gemeineigentum - was wird daraus? Birgt eine schnelle Währungsunion nicht viele Risiken? Antworten, die darauf im Disput gegeben wurden, sprechen für sich. Greifen wir aus dem zweistündigen Gespräch nur Stichworte heraus:

Gewerkschaftsgesetz

Wolfram Krause, Staatssekretär und Leiter der Arbeitsgruppe Wirtschaftsreform beim Ministerrat der DDR: Der Übergang zur sozialen Marktwirtschaft ist ein unumkehrbarer Prozess geworden. Es wurde viel auf den Weg gebracht. Bestand wird das haben, was diesen Prozess fördert, was den Menschen einen höheren Wohlstand bringt.

Dr. Tyll Necker, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie: Die Joint-venture-Verordnung ist wie ein Kropf. Das Gewerkschaftsgesetz gleicht einem Tumor. Eine Investitionsbremse erster Ordnung. Wenn das Geld fließen soll, muss die DDR Menschen und Kapital gut behandeln.

Dr. Otto Graf Lambsdorff, der FDP/BRD: Es ist unmöglich, ein Gesetz aufrechtzuerhalten, dass das Initiativrecht der Gewerkschaft für die Einbringung von Gesetzen vorsieht. Das hat mit parlamentarischer Demokratie Null zu tun. Das muss weg.

Ibrahim Böhme, Geschäftsführer der SPD/DDR: Das Gewerkschaftsgesetz werden wir nach der Wahl als erstes zur Disposition stellen. Das Recht auf Arbeit in der Sozialcharta und das Aussperrungsverbot halte ich für unattraktiv und investitionshemmend. Aber erwarten Sie, dass wir als Sozialdemokraten Amok laufen, die Menschen auch hier verunsichern und sagen, das Gewerkschaftsgesetz muss weg?

Währungsunion

Dr. Wolfgang Roller, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Banken e. V., Vorstandssprecher der Dresdner Bank AG: Risiko? Auch die Eigernordwand ist schon oft im Winter erfolgreich bestiegen worden. Die Antwort auf die Frage, "Was ist mein Geld wert?" ist eine entscheidende vertrauensbildende Maßnahme. Die Menschen brauchen eine Kalkulationsgrundlage genauso wie Unternehmen. Und zur Wirtschafts- und Währungsunion gehört die Sozial- und Rechtsunion.

Dr. Otto Graf Lambsdorff: Ich bin dafür, die Sparguthaben im Verhältnis 1:1 umzutauschen. Bei Umstellung der gesamten Wirtschaft 1:1 würde die Exportfähigkeit der Produkte auf nahezu Null sinken. Vorübergehend entstünde Arbeitslosigkeit. Diese Radikalkur müsste man sich allerdings gründlich überlegen. Wenn wir keine Währungsunion machen, kommt der Übersiedlerstrom nicht zum Stehen.

Ibrahim Böhme: Vor der Währungsunion müssen als - vorbereitende Schritte - so sehr das mit Schmerzen verbunden ist - die Preisreform, die Eigentumsreform, die Bankenreform erfolgen. Für die D-Mark nimmt man auch in Kauf, dass in einer Übergangszeit Abstriche gemacht werden müssen.

Dr. Wolfgang Roller: Es gibt keine Alternative zur Wirtschafts- und Währungsunion. Alle Zwischenlösungen waren vertane Energie und Zeit. Die Entscheidung 1:1 für Sparguthaben sollte man schleunigst treffen, auch als Teilentscheidung. Das muss man mit Stichtagen versehen, vielleicht auch mit begrenzten Sperrfristen.

Rudolf Stadermann: Durch die Umstellung der volkseigenen Wirtschaft und die Entwicklung der Privatwirtschaft wird eine große Zahl von Arbeitnehmern zunächst arbeitslos werden. Wir müssen also sofort Arbeitsplätze schaffen. Dafür brauchen wir Kapital, das nur nach einer Währungsunion fließt.

Wolfram Krause: Wer Kapital investieren, wer sich engagieren will, der kann. Das Niederlassungsgesetz ist im Entwurf der Volkskammer übergeben worden. Es geht von der Freiheit der Niederlassung aus; kein Genehmigungsverfahren - da haben wir dazugelernt.

Privatisierung

Dr. Otto Graf Lambsdorff: Wer glaubt, dass die Dominanz des Volkseigentums in Großbetrieben bestehen könnte, der irrt. Es muss Privateigentum an den Produktionsmitteln geben. Rudolf Stedermann, Präsident des Unternehmerverbandes der DDR: Bis Oktober - so unser Vorhaben - sollen 12 000 mittelständische Unternehmen in Privathand zurückgeführt werden. Es muss eine absolute Privatisierung der Volkswirtschaft erfolgen.

Friedrich Wokurka, des Kombinats Robotron: Mir liegen vier Anträge ehemaliger Besitzer und Betriebsleiter privater und halbstaatlicher Betriebe zur Reprivatisierung vor, die mit meiner Zustimmung bearbeitet werden. Robotron wird bis zum 15. März ein Konzept in der zu schaffenden Treuhandstelle einreichen, um das Kombinat möglichst bis zum 1. Juli in eine Kapitalgesellschaft umzubilden.

Ibrahim Böhme: Die Lösung der jetzigen Regierung mit der Treuhandstelle entspricht nicht unseren Vorstellungen. Insgesamt favorisiere ich die Möglichkeit, Arbeitnehmeranteile auszuschreiben.

Fazit des Forums

Hier wurde Klartext geredet. Was auf so mancher Wahlkampfveranstaltung verschwiegen wurde, kam auf den Forumstisch. Der Weg zur Wirtschafts- und Währungsunion mag mit vielen guten Vorsätzen gepflastert sein, vor allem aber mit handfesten Kapitalinteressen. Wo sie gefährdet scheinen, wird unverhohlen und von manchem auch arrogant die DDR ins Fadenkreuz der Kritik genommen. Es hat wohl mit Fairness wenig zu tun, wenn der Versuch unternommen wird, statt die Bedingungen zu diskutieren, sie einfach zu diktieren.

Gleichviel, so der Minimalkonsens im Pro und Kontra - Eile ist geboten. Da steht die Regierung der DDR nicht auf der Bremse. Bekenntnisse westlicher Politiker: der DDR wirklich zu helfen, können schon auf der Messe in konkrete wirtschaftliche Taten umgesetzt werden. Nur so werden Handelstage in Leipzig zu Tagen des Handelns. Die Messetore stehen weit offen.

Neues Deutschland, Mo. 12. März 1990, Jahrgang 45, Ausgabe 60

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