Berlin. BZ – Peter Horn Die alte Regierung hat zum letzten Mal getagt. Was die knapp viermonatige Amtszeit unter Premier Hans Modrow diesem Land gebracht hat, schätzte in groben Zügen Pressesprecher Wolfgang Meier gestern vor in- und ausländischen Journalisten ein.
So habe das von der Regierung praktizierte neue Demokratieverständnis zur breiten Mitwirkung in den Ausschüssen sowie zu einer konstruktiven Zusammenarbeit mit dem Parlament, dem Runden Tisch und den Bürgern geführt. Die Berufung von acht Ministern aus neuen Parteien und Bewegungen hätte dazu beigetragen, dass dieses Kabinett der Nationalen Verantwortung eine Regierung des Volkes und der Arbeit gewesen sei.
Eine Vielzahl von Gesetzen, die trotz des kurzen Zeitraums verabschiedet wurden, prägten maßgeblich den Erneuerungsprozess im Land. Auch außenpolitisch sei die DDR ein zuverlässiger Partner für ihre Nachbarn, die Verbündeten und die Siegermächte gewesen.
Es war für Ministerpräsident Modrow ein persönliches Anliegen, so der Pressesprecher, aus der Parteienvielfalt eine Ideenvielfalt für die Arbeit der Regierung zu gewinnen. In diesem Verständnis sind auch die vielen Anregungen des Runden Tisches aufgegriffen worden.
Im weiteren Verlauf der Pressekonferenz nannte Wolfgang Meier Diskussionspunkte der zuvor beendeten Ministerratssitzung. Dazu gehörten u. a. Fragen der materiell-technischen Basis der Tierproduktion, Entscheidungen für eine Nachfolgeindustrie für den VEB Braunkohleveredlung Espenhain sowie die Planerfüllung im Monat Februar. Hier sei die Lage nach wie vor kompliziert, wenngleich sich positive Entwicklungen zeigten.
Informiert wurde weiterhin, dass das Sekretariat der Volkskammer ab 1. April die Rechtsträgerschaft für das Gebäude des PDS-Parteivorstandes übernehmen wird.
(Berliner Zeitung, Fr. 16.03.1990)
Letztmalig vor der Volkskammerwahl stand Regierungssprecher Meyer gestern den Medien aus Ost und West Rede und und Antwort zur Arbeit des Modrow-Kabinetts. In Bezug auf die Tätigkeit der 13 Parteien und Bewegungen vereinigenden Koalitionsregierung sprach er von einer völlig neuen Qualität demokratischen Mitwirkens durch die Zusammenarbeit mit Volkskammerausschüssen und dem Runden Tisch, auch vor allem dank . . . zigtausender Briefe und Eingaben, welche die Regierung von der Bevölkerung erhalten hat.
Was spricht für die Arbeit dieser vergangenen vier Monate?
Erstens, so Meyer, wurde der Erneuerungsprozess vertieft und konnte rechtlich gestützt werden. Zum Beispiel durch Änderungen der Verfassung, das Wahl-, das Parteien- und Vereinigungsgesetz oder das Reisegesetz. Damit wurden wichtige Rahmenbedingungen für die Demokratisierung geschaffen. Zweitens wurden auf wirtschaftlichem Gebiet Türen für eine ökologisch vertretbare, soziale Marktwirtschaft geöffnet. Bürokratische Hemmnisse wurden zum Beispiel über Voraussetzungen für joint venture, Gewerbefreiheit, die Steuerreform und anderes abgebaut. Der ökologische Umbau sei auf den Weg gebracht.
Drittens wurden Grundlagen geschaffen, die Besitz- und sozialen Interessen der Werktätigen unseres Landes zu schützen. Genannt sei hier die Sozialcharta, Gewerkschaftsgesetz, Urlaubs- und Vorruhestandsregelungen. Viertens zielte die Arbeit der Regierung darauf, die Vereinigung des deutschen Vaterlandes in wohlüberlegten, soliden Schritten vonstatten gehen zu lassen. Und fünftens blieb die DDR in der Außenpolitik ein berechenbarer zuverlässiger Partner.
Die letzte offizielle Ministerratssitzung, so der Regierungssprecher, hatte sich vor allem mit Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes im Februar beschäftigt. Auch wenn es bereits partielle Veränderungen zum Positiven gebe - das Erbe einer verfehlten Wirtschaftspolitik wiege schwer, und nach wie vor belaste das verringerte Arbeitskräftepotential. Dennoch gebe es Anlass zu gedämpftem Optimismus. Die veränderten Bedingungen haben in vielen Betrieben und Einrichtungen bereits eine erhöhte Eigeninitiative ausgelöst. Außerdem wurde ein Gesetzentwurf zur Förderung von Justitiaren sowie ein Statut zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums beschlossen.
Von unserer Berichterstatterin Kathi Seefeld
(Junge Welt, Fr. 16.03.1990)