Schnur, Vorsitzender des Demokratischen Aufbruch, soll langjähriger und hochdekorierter Informant des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit gewesen sein. Das geht aus Schriftstücken hervor, die am Montag in der einstigen MfS-Bezirksverwaltung Rostock aufgefunden wurden. Nach Meinung der u. a. damit befassten, aus parteilosen Bürgern zusammengesetzten unabhängigen Untersuchungskommission sei die Aktenlage klar. Die Papiere wären bei Überprüfungen zum Thema Aktenvernichtung entdeckt worden.
DA-Vorstandsmitglied Minister Eppelmann, der darüber am Donnerstag auf einer internationalen Pressekonferenz im Berliner Haus der Demokratie informierte, verlas eine Erklärung seines Freundes Schnur. Darin wies dieser alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurück: Er habe nie "für unsere Geheimorganisation" gearbeitet und nie dafür Orden empfangen.
Schnur selbst, so wurde auf Fragen der Journalisten geantwortet, befinde sich derzeit nach einem Herz-Kreislauf-Anfall in einem Krankenhaus. In der Nacht zum Donnerstag habe es im DA-Parteivorstand eine Krisensitzung gegeben, in der die überwiegende Mehrheit des Gremiums ihrem Vorsitzenden das Vertrauen ausgesprochen hätte. Ob die Staatsanwaltschaft ermittele, sei unbekannt. Schnur habe am Donnerstag Strafanzeige erstattet. Befragt, warum man mit dem Verdacht an die Öffentlichkeit gegangen sei, meinte Eppelmann, dass manchmal Angriff die beste Verteidigung sei.
Von Rainer Funke
(Neues Deutschland, Fr. 09.03.1990)
Berlin. BZ – Lutz Schnedelbach Hier steht der künftige Ministerpräsident, hatte Herr Wolfgang Schnur vom Demokratischen Aufbruch noch vor Wochen auf einer Wahlkundgebung seiner Partei den Massen zugerufen. Davon ist derzeit kaum noch die Rede.
Im Gegenteil, der Rechtsanwalt ist jetzt wieder einmal ins Gerede gekommen. In Rostock sind Unterlagen aufgetaucht, die Herrn Schnur stark belasten. Den Schriftstücken zufolge soll er dem früheren Staatssicherheitsdienst mit Rat und Tat zur Seite gestanden haben, als Informant, wie es heißt. Rufmord oder Tatsache das ist jetzt die Frage, der sich Journalisten aus Ost und West widmen. Sie sollte gestern auf einer Pressekonferenz beantwortet werden. Die Vertreter von Presse, Rundfunk und Fernsehen kamen aber fast umsonst. Die Hauptperson ließ sich entschuldigen. Wolfgang Schnur sei an Herz-Kreislauf-Schwäche erkrankt und in ein Krankenhaus eingeliefert worden, hieß es. So verlas denn Parteifreund Pfarrer Eppelmann die Ehrenerklärung von Schnur. Darin heißt es unter anderem, dass der Parteichef diese Vorwürfe als Gipfel der Verleumdung ansehe. Er habe sich als Strafverteidiger schon früher für einen stasifreien Staat eingesetzt. "Ich habe nie für den Staatssicherheitsdienst gearbeitet und nie von dieser Institution einen Orden erhalten", ließ Schnur weiter mitteilen.
Pfarrer Eppelmann sagte, dass die Staatsanwaltschaft von der Echtheit der Unterlagen überzeugt sei, die Schnurs Verwicklung beweisen sollen. Auch der Rostocker Untersuchungsausschuss teilt diese Auffassung. Demgegenüber steht die Meinung von Pfarrer Eppelmann selbst, wonach er volles Vertrauen zu den Aussagen seines Freundes Schnur habe. Für ihn stehe fest, dass es sich bei den Schriftstücken um Fälschungen handele.
Über mögliche "Drahtzieher" wollte der Pfarrer sich jedoch nicht äußern. An der Glaubwürdigkeit des Parteivorsitzenden Schnur scheint es in den eigenen Reihen kaum Zweifel zu geben. Die Mehrheit des Vorstandes vom Demokratischen Aufbruch jedenfalls hat ihm weiterhin das Vertrauen ausgesprochen. Inwieweit aber mögliche Wähler sich davon beeinflussen lassen, wird sich zeigen.
(Berliner Zeitung, Fr. 09.03.1990)
Dass Wolfgang Schnur ein Mitarbeiter der Staatssicherheit ist, dass gibt diese Aktenlage soweit es der Unabhängige Untersuchungsausschuss Überblicken könne, her, sagt Rainer Eppelmann auf der Pressekonferenz. Dagegen steht das Wort des Vorsitzenden des Demokratischen Aufbruch. Er habe glaubhaft versichert, dass an dem nichts dran ist.
Die Mehrheit des Vorstandes stellt sich hinter die Erklärung Schnurs. Schnur müsse selbst entscheiden, ob der weiterhin Vorsitzender bleiben kann oder nicht.