Liebe Mitbürger!

Die Demonstration am 27.10.1989 in Auerbach wird vielen von uns ein unvergessliches Erlebnis bleiben. An diesem Tag sind wir unserer Ängste Herr geworden. Wir haben das wunderbare Gefühl der Gemeinschaft erlebt. Wir haben unsere selbsternannten Herren, die jahrzehntelang in unserem Namen ihre Interessen gepflegt haben gezwungen, uns ernst zu nehmen. Wir haben über unsere jahrelang unterdrückte Wut gesprochen und unsere Enttäuschung kundgetan. Die Verantwortlichen konnten die Erfahrung machen, wie es einem Menschen zumute ist, wenn man ihm den Mund verbietet. Wir haben diese Erfahrung viel zu lang gemacht. Wir wurden zu lange entmündigt und zum Schweigen gezwungen von Leuten, die vorgaben, im Besitz allgemeingültiger und ewiger Wahrheiten zu sein. Die Verantwortlichen haben hoffentlich diese Lektion verstanden. Wir demonstrieren aber nicht um es ihnen mit gleicher Münze heimzuzahlen. Wir gehen auf die Straße um zu zeigen, dass man mit dem Volk reden muss, wenn man seinen Namen gebraucht.

Unsere Herren werden lernen müssen, Diener des Volkes zu sein. Aber nicht nur unsere Herren müssen lernen. Wir alle sind aufgefordert freie mündige Bürger zu werden. Haben wir nicht alle dieses System geduldet? Haben sich nicht viele von uns in diesen Verhältnissen eingerichtet und versucht, ihren privaten Vorteil daraus zu ziehen? Haben nicht viele von uns geheuchelt, geschoben, korrumpiert oder sich korrumpieren lassen? Wie viele von uns waren es denn, die ein Mindestmaß an Zivilcourage aufgebracht haben? Wie sehr haben wir uns eigentlich von unseren Herren unterschieden? Gestehen wir uns doch allen die Bereitschaft und die Fähigkeit zur Veränderung zu; wer aber diese Zeit ohne Schäden überstanden hat, der möge vortreten und sich erklären.

Lasst uns Vertrauen lernen. Unser Land braucht uns alle! Auch dafür lasst uns demonstrieren und miteinander reden als freie selbstbewusste, friedliche Menschen.