8-Punkte-Forderungskatalog
der Vertrauensleutevollversammlung an die Betriebsleitung zur Erhaltung von Arbeitsplätzen
1. Die Rentabilität des Betriebes unter den Bedingungen der Marktwirtschaft ist einer weiteren tiefgründigeren Analyse zu unterziehen, als das bisher erfolgt ist. Dabei spielt für die Meinungsfindung der Gewerkschaften die Relation der einzelnen Kostenpositionen zum Lohn eine besondere Rolle.
2. Wir fordern eine Information der Belegschaft in geeigneter Form über die Konzepte zur Umprofilierung der Standorte Heidenau einschließlich Hefefabrik und des Werkes Mühlbach sowie ein Konzept zur Leistungsentwicklung im Werk Pirna.
3. Bevor überhaupt eine Entlassung von Werktätigen ins Auge gefasst werden kann, muss eine Konzeption über den Einsatz, die Umbesetzung und Umschulung von Arbeitskräften vorliegen. Vor allem der Einsatz der Handwerker hat sich auf die Realisierung von Maßnahmen zu orientieren, die eine höhere Verfügbarkeit der Anlagen sichern und so zu einem höheren Produktionsausstoß, zur schnelleren Inbetriebnahme von Investprojekten sowie zur Senkung von Material- und Energiekosten führen. Das, was vor der Wende mit dem Argument des Arbeitskräftemangels an Rationalisierungsaufgaben nicht gelöst werden konnte, kann jetzt mit Engagement in Angriff genommen werden.
4. Derzeitig arbeiten noch viele Werktätige nach dem Gesetzblatt 35. Wir sind der Auffassung, dass diese Verträge überprüft werden und dass keine neuen Verträge auf dieser Basis zum Abschluss gelangen, weil es nicht vertretbar ist, dass ein Teil der Werktätigen zusätzlich Arbeiten übernehmen muss, während die Arbeit anderer in Frage gestellt wird.
5. Wir fordern eine drastische Reduzierung der Überstunden für Werktätige in allen Bereichen und ein konsequentes Verbot der Überstunden für Leiter und ingenieurtechnisches Personal bereits ab 1. April 1990. Damit verbunden ist eine rigorose Durchsetzung des § 178 AGB, der nicht Überstundenbezahlung sondern Freizeitgewährung fordert. In den ersten beiden Monaten des Jahres wurden 19 493 Überstunden verrechnet. Das entspricht der Arbeitszeit von 49 Vollbeschäftigten. Wenn wir das auf die Lohnfondsbelastung beziehen, sind das sogar mehr als 60 Vollbeschäftigte.
6. Wir sind für die Aufrechterhaltung der Einstellungssperre mit Ausnahme derjenigen, die sich noch im Babyjahr, im Wehrdienst und in der Berufsausbildung befinden. Wir können nicht feststellen, dass die geforderte Einstellungssperre bisher in den Direktoraten konsequent befolgt wurde. Mit der Einstellungssperre reduziert sich die Belegschaftsstärke durch eine ganz normale Fluktuation und ohne soziale Belastung, allerdings über einen etwas längeren Zeitraum.
7. Wir stellen uns nicht dagegen, dass mit Rentnern und Vorrentnern in beiderseitigen Interesse Halbtagsbeschäftigungen vereinbart werden.
8. Erst an letzter Stelle und nach Erfüllung der Punkte 1-7 sehen wir die Möglichkeit und Notwendigkeit, dass Werktätige die Vorruhestandsregelung in Anspruch nehmen. Dabei sind einfühlsame Gespräche zu führen. Das sind wir unseren Kolleginnen und Kollegen schuldig, die ein langes Arbeitsleben für den Betrieb eingesetzt haben. Bei der Zustimmung zur Vorruhestandsregelung sollten Möglichkeiten geschaffen werden, dass der betreffende Kollege eine einmalige materielle Abfindung erhält.
aus: Neuer Zellstoffwerker Nr. 4, 24. April 1990, 39. Jahrgang, Betriebszeitung des VEB Vereinigte Zellstoffwerke Pirna, Herausgeber: Betriebsdirektion des VEB Vereinigte Zellstoffwerke Pirna