"Streiken - das wäre das letzte!"

Das Reizwort Streik war ins Gespräch gekommen, nachdem das "Neue Forum" Karl-Marx-Stadt ursprünglich für den 6. 12. 1989 zum Generalstreik aufgerufen hatte. Niemand aus der Schmiede weiß, wer am 4.12. einen Streikaufruf an die Wandzeitung geheftet hat, mit der Unterschrift eines Dresdner Streikkomitees. So direkt damit konfrontiert, hatten viele Kollektive spontan reagiert, im Gespräch in der Pause, in der Gewerkschaftsversammlung, am Arbeitsplatz. Alle, mit denen wir sprachen, brachten einhellig zum Ausdruck, "Streiken, das wäre das letzte"!

Wolfgang W(...), PMA, Stahlwerk:
Streik ist so ziemlich das letzte, was wir brauchen. Das ist nicht nur meine Meinung, sondern die des gesamten Kollektivs.

Helfried S(...), Stahlwerk:
Man muss sich doch fragen, für oder gegen wen streiken wir. Streik haben wir nicht nötig - das ist auch die Meinung in den Schichten im Stahlwerk.

Joachim R(...), Vertrauensmann, Jugendbrigade "8. Parlament", Walzer:
Wir haben uns in der Brigade darüber ausgesprochen und sind alle voll dagegen. Durch Streik wird nichts besser. Demonstrationen finden jedoch unsere Zustimmung.

Gerd K(...), Elektroabteilung:
Streik bringt uns nichts. Wir müssen und wollen vor allem arbeiten, damit es in der Wirtschaft und überhaupt wieder vorwärts geht.

Gerhard G(...), Brigade "Karl-Marx", Schmiede:
Streik wollen wir nicht. Das ist die Meinung der gesamten Brigade. Wir wollen nicht enden wie in Polen. Gerade jetzt ist es wichtig, dass wir Arbeiter zusammenhalten, ganz egal, in welcher Partei einer ist, damit unser sozialistischer Arbeiter-und-Bauern-Staat und das, was er uns wert ist, erhalten bleibt. Es kann nicht richtig sein, dass wir jetzt alles aufgeben, was wir uns in mühevoller Arbeit geschaffen haben.

Franz S(...), Meister; Schmiedeadjustage:
Streik würde uns gar nichts bringen. Es bestünde ja vor allem die Gefahr, dass das, was uns noch geblieben ist, auch noch in Gefahr gerät. Wir haben bei allen Problemen ordentlich leben können. Wollen wir das aufs Spiel setzen?

Rainer J(...), Meister, Brigade "Einheit", Anschlussbahn:
Wir sind gegen Streik. Demonstrationen ja - aber Streik ist das allerletzte Mittel. Wenn wir weiterhin belogen werden, ist die Gefahr natürlich groß, dass zu diesem allerletzten Mittel gegriffen wird.
Es ist schwer, auf, normalem Weg etwas zu verändern. Das spüren wir auch im Werkverkehr. Manchmal könnte man denken, die Erneuerung geht an der Hütte vorbei, z. B. hat sich in Bezug auf den Abbau der Verwaltungsarbeit bei uns im Bereich noch nichts Sichtbares getan. Was uns im Moment besonders bewegt, das ist unsere Silvesterschicht. Wir haben den Vorschlag gemacht, dass wir uns mit der Reichsbahn, Bahnhof Hainsberg, kurzschließen, um alles Notwendige abzusichern. Nun erwarten wir doch zumindest, dass unsere staatliche Leitung diesen Vorschlag aufgreift und sachlich und in Ruhe mit uns spricht. Wir haben den Vorschlag nicht leichtfertig unterbreitet, sondern in voller Verantwortung. Nun erwarten wir eine vernünftige Entscheidung unseres Leiters.

aus: friedensstahl, Nr. 41, 14. Dezember 1989, 39. Jahrgang, Betriebszeitung des VEB Edelstahlwerk 8. Mai 1945 Freital, Herausgeber: SED Betriebsparteiorganisation des VEB Edelstahlwerk 8. Mai 1945 Freital im VEB Rohrkombinat Riesa


Das Neue Forum Karl-Marx-Stadt rief nicht zum Generalstreik auf. Der Sprecher des Neuen Forum dort schloss sich dem Aufruf aus Plauen zu einem zweistündigen Generalstreik an, ohne sich mit dem Sprecherrat abzustimmen. Der Aufruf geisterte dann als Aufruf des Neuen Forum Karl-Marx-Stadt durchs Land. In Plauen wurde am 06.12. ein zweistündiger Streik durchgeführt. Das Neue Forum Plauen unterstützte den Streik dort.


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