"... aber die anderen werden es schon machen?"

Erfahrungsaustausch mit Westberliner IG-Pressesprecher Weitreichende Rechte nutzen Kritik die eine, Mitarbeit die andere Seite

In der letzten Ausgabe der Betriebszeitung "Der Rohrleger" fand ich auf dieser Seite zwei im Zusammenhang bemerkenswerte Veröffentlichungen. Die eine, der Artikel von Kollegen unseres Direktionsbereiches mit dem Vorschlag zur Bildung eines Betriebsrates, und die andere, die Aufstellung der sich bewerbenden bzw. der vorgeschlagenen Kandidaten für die Wahl der neuen BGL.

In ersterem wird der Gewerkschaft das Vertrauen der Mitglieder abgesprochen und deshalb als Ersatz ein Betriebsrat als Interessenvertreter aller Kollegen vorgeschlagen. In anderem sind offenbar gerade aus dem Kreis der 154 über die Meinung zur Bildung eines Betriebsrates befragten Kollegen vier neue Kandidatenvorschläge für die BGL unterbreitet worden. Allerdings könnten die in beiden Artikeln zu lesenden Namen auf eine gewisse Polarisierung zwischen den Produktionsbereichen 471 und 472 hindeuten.

Nachdem ich am 16. Januar Gelegenheit hatte, in unserem Hause im Rahmen einer BGL-Sitzung in gewissem Sinne einer "Befragung" des Pressesprechers der IG Bau/Steine/Erden, Egon V(...), Landesverband Berlin, einer Zweiggewerkschaft des DGB, beizuwohnen, sind mir eigentlich erstmalig die Unterschiede zwischen unseren gewerkschaftlichen Interessenvertretungen und einem Betriebsrat deutlich geworden.

Ohne hier auf Einzelheiten einzugehen, da die BGL eine weitere Zusammenkunft mit dem Pressesprecher vor einem größeren Kreis von Kollegen des Betriebes plant steht für mich eines fest: Die heute bereits in unserem Arbeitsgesetzbuch verbrieften Rechte der Gewerkschaften sind viel weitreichender ausgestaltet als die der Betriebsräte im Betriebsrätegesetz der BRD. Nimmt man hinzu, dass in unserem zukünftigen Gewerkschaftsgesetz auch das Streikrecht festgeschrieben sein wird, fällt die Entscheidung, welche die bessere, Variante ist, nicht schwer.

Eindeutig besser sind starke Gewerkschaften mit hohen Mitgliederzahlen, mit finanzieller Leistungsfähigkeit sowie mit qualifizierten und vor allem einsatzbereiten Vertretern unserer Interessen. Das bedeutet aber, dass wir in allen gewerkschaftlichen Ebenen davon abgehen müssen, die Kollegen zu wählen, die, übertrieben gesagt, bei der Übernahme einer Funktion am schlechtesten "nein" sagen können.

Warum erscheinen unter den neuen Kandidaten für die BGL so wenige von denen, die die Gewerkschaftsarbeit so trefflich und für einen Großteil auch zu Recht kritisieren? In der neuen Parteienlandschaft unseres Staates wird der Kreis derer, die bereit sind, Verantwortung zu tragen, zunehmend größer. Warum sollte das nicht auch bezogen auf die Gewerkschaftsarbeit in unserem Betrieb möglich sein? Noch können weitere Kandidatenvorschläge eingereicht werden. Trennen wir uns endlich von der Auffassung "Wir können ja doch nichts ändern, aber die anderen werden es schon machen!", um nicht wieder enttäuscht zu sein, wenn "die" es dann doch nicht gemacht haben.

Wo sind weitere Kandidaten für die Funktion des BGL-Vorsitzenden? Sollten von unseren eineinhalbtausend Kollegen nicht auch noch andere befähigt und gewillt sein, diese Funktion zu übernehmen? Ist niemand von den erfahrenen BGL-Mitgliedern sonst noch dazu bereit, unter den neuen Bedingungen in die Verantwortung zu treten? Haben sich alle Gewerkschaftsgruppen darüber ernsthaft Gedanken gemacht?

Nur zu kritisieren oder bei der Wahl diesen und jenen abzulehnen, reicht nicht mehr aus. Gewerkschaft muss auch in Zukunft sein, und dafür werden in unser aller Interesse die Besten gebraucht. In diesem Sinne wünsche ich uns ein kritisches, aber auch objektives Herangehen an die Wahl unserer Vertreter.

Horst A(...),
Mitglied der AGL 6


Keine Alternative

Betriebsrat - Alternative zu einer neu zu formierenden Gewerkschaft? Nein! Grundsätzlich dürften sich die Aufgaben des Betriebsrates von denen der Gewerkschaft darin unterscheiden, dass innerbetriebliche Belange entscheidend mitbeeinflusst und einer wirksamen Kontrolle unterzogen werden.

Günstig wären hierzu Kenntnisse des Aufgabengebietes von Betriebsräten, zum Beispiel in der BRD. Nur sind diese Strukturen nicht direkt auf unsere Bedingungen übertragbar. Nur mit Hilfe dieser Organe kann ich mir die Interessenvertretung der Belegschaft gegenüber der Betriebsleitung vorstellen, um künftig

- schwerwiegende Fehlentscheidungen zu vermeiden,

- mitzuwirken an der betrieblichen Perspektive,

- das Betriebsergebnis entscheidend mit zu beeinflussen,

- Mitverantwortung zu tragen bei der dynamischen Veränderung von vorbereitenden Produktionsprozessen,

- Mitspracherecht in Personalfragen.

Gerade im Hinblick auf die gegenwärtige gesellschaftliche Entwicklung sollten die Kollegen des Betriebes sich mit der Beauftragung und dem Einsatz eines Betriebsrates beschäftigen, um unabhängig von gewerkschaftlichen und parteilichen Profilierungen die Geschicke des Betriebes selbst in die Hand zu nehmen. Zukünftig werden Gewerkschaft und Betriebsrat analog ihrer Aufgabenteilung ihre Existenzberechtigung zu beweisen haben.

Helmut L(...),
- 4731 -

Der Rohrleger Nr. 3/90, Januar-Ausgabe, 35. Jahrgang, Herausgeber: Leitung des Betriebes VEB Technische Gebäudeausrüstung "Michael Niederkirchner" Berlin

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