AUFGABEN UND RECHTE DER BETRIEBSRÄTE

(Diskussionsgrundlage für den Inhalt eines Betriebsverfassungsgesetzes)

Vorbemerkungen

Nach der Zerstörung des administrativen Kommandosystems in der Gesellschaft und in der Wirtschaft ist erstmalig die Schaffung von wirklichem Volkseigentum möglich.

Damit verbunden sind schwierige Aufgaben. Die Ablösung inkompetenter Kader, die Entbürokratisierung und die Umstellung der Betriebe auf Marktbedürfnisse ist ohne die breite aktive Mitwirkung der Werktätigen nicht realisierbar. Es kommt darauf an. eine Produktionsdemokratie zu entwickeln, in der alle wesentlichen Fragen der Entwicklung des Betriebes durch alle Werktätigen in großer Offenheit und mit einem hohen Grad von Sachkunde beraten werden. in der Entscheidungen entgegen dem gesunden Menschenverstand ausgeschlossen werden, in der der gewählte Entwicklungsweg in gemeinsamer Verantwortung von allen getragen wird und in der zu einer neuen Qualität effektiver. nützlicher, ökonomischer Arbeit gefunden wird.

Bei der Verwirklichung dieser Ziele kommt der Bildung von Betriebsräten eine große Bedeutung zu.

Zunächst werden die Betriebsräte die Kontrolle der Betriebsleitung verwirklichen und mit einem Vetorecht verhindern, dass Entscheidungen an der Mehrheit der Beschäftigten vorbei getroffen werden. Das berührt nicht die Weisungskompetenz der Leitung.

Mit wachsender Sachkunde werden die Betriebsräte zunehmend in der Lage sein, Verantwortung für die Entwicklung des Betriebes gemeinsam mit der Betriebsleitung zu tragen und die Mitbestimmung auf alle strategischen Entscheidungen auszubauen. In der Perspektive können sich die Betriebsräte zum höchsten Organ der selbstverwalteten Betriebe entwickeln.

Nicht nur in den Betrieben mit kollektivem Eigentum sind Betriebsrate nötig, ebenso werden sie in Betrieben mit privatem Eigentum und in Einrichtungen und Institutionen zur Verwirklichung einer entwickelten Form der Mitbestimmung und zur Interessenvertretung benötigt.

Die folgenden Punkte sind als Vorschlag für ein Gesetz über die Betriebsräte zu verstehen, sie sollten aber auch als Grundlage für die Ausarbeitung von betrieblichen Vereinbarungen über die Arbeit von Betriebsräten Verwendung finden.

Bestimmung

1 . Der Betriebsrat ist das höchste demokratisch gewählte Gremium des Betriebs. Er vertritt die Interessen der Arbeiter, Techniker, Wissenschaftler, Angestellten und des Personals.

Die Wahl des Betriebsrats

2. Für die Arbeit im Betriebsrat sind besonders aktive und verantwortungsbewußte Mitarbeiter vorzuschlagen, die das Vertrauen der Werktätigen haben. Das können Arbeiter, Techniker aber auch Leiter sein. Diese müssen mindestens 6 Monate dem Betrieb angehören.

Die Mitgliedschaft in Parteien oder Massenorganisationen (einschließlich der Gewerkschaft) sollte weder ein Hindernis noch eine Bedingung sein.

3. Je nach Struktur des Betriebes ist der Schlüssel für die Wahl von Kandidaten auszuarbeiten. Für Betriebe, in denen große Unterschiede zwischen einzelnen Beschäftigtengruppen bestehen, z.B. Arbeiter, Angestellte, Wissenschaftler, sind aus jeder Gruppe etwa gleichgroße Anzahl Ratsmitglieder vorzusehen.

Sofern der Betrieb in unterschiedliche Produktionslinien geteilt ist, sollten für jede Linie entsprechende Plätze im Betriebsrat vorgesehen werden.

4. Für territorial getrennte Betriebsteile bzw. für große Betriebe werden Betriebsteilräte gewählt, die dann Mitglieder für den Betriebsrat vorschlagen.

5. Die Wahl erfolgt durch alle Werktätigen des Betriebes in Wahlbereichen entsprechend der getroffenen Einteilung, so dass jeder Werktätige nur Ihm bekannte Kollegen wählt.

6. Die Mitglieder des Betriebsrats sind allen Werktätigen rechenschaftspflichtig und jeder Zeit in ihren Wahlbereichen wieder abwählbar.

Aufgaben und Rechte

7. Der Betriebsrat hat die Aufgabe im Auftrag der Belegschaft die Tätigkeit der Betriebsleitung zu kontrollieren und die Rechenschafts- und Informationspflicht einzufordern.
Dazu muss es ihm möglich sein, in alle Unterlagen und Daten des Betriebes einzusehen.

8. Dem Betriebsrat obliegt die Kontrolle der Preisbildung, der Gewinnberechnung und der ökonomischen Rechnungsführung im Betrieb.

9. Regelmäßige Berichte der Betriebsleitung zum aktuellen Geschehen im Betrieb (etwa 4 Mal im Jahr) und der jährliche Geschäftsbericht werden entgegengenommen, geprüft und Schlussfolgerungen werden abgeleitet.

10. Der Betriebsrat muss in der Lage sein, durch ein Vetorecht Entscheidungen der Betriebsleitung an der Mehrheit der Werktätigen vorbei zu verhindern.

11. Der Betriebsrat hat die Aufgabe, die demokratische Entscheidungsfindung mit Berücksichtigung der Vorschläge der Werktätigen für alle grundsätzlichen Fragen der Planung und Entwicklung des Betriebes zu sichern. Das betrifft insbesondere:

In diesen Fragen sowie für den jährlichen Produktionsplan und den Plan zur Aufteilung der Fonds hat die Betriebsleitung ihre Vorstellungen dem Rat vorzulegen und zu begründen. Erst nach der Bestätigung durch den Rat erhalten die Dokumente ihre Gültigkeit.

12. Bei der Verhandlung mit ausländischem Kapital hat der Betriebsrat das Recht mit einem Vertreter teilzunehmen.

13. Der Betriebsrat übernimmt die direkte Interessenvertretung der Werktätigen, sofern das nicht durch die Gewerkschaft gegeben ist (Einhaltung des AGB, Gesundheitsschutz, soziale Fragen u.a.).

14. Der Betriebsrat hat die Aufgabe, Interessenkonflikte zwischen den Werktätigen und der Betriebsleitung zu schlichten. Sofern die strittigen Fragen im Rat nicht mit 2/3-Mehrheit gelöst werden können, hat der Rat das Recht Belegschaftsversammlungen bzw. Vollversammlungen der Wahlbereiche (bei größeren Betriebe) einzuberufen. Auf dieser haben beide Seiten des Konflikts die Möglichkeit, ihre Standpunkte zu verteidigen. Der Rat hat dann die nach Diskussion und Abstimmung gewonnene Entscheidung zu vertreten.

15. Der Betriebsrat hat alle Werktätigen über seine Tätigkeit zu informieren.
Die Tagesordnung der Ratssitzung ist vorher bekannt zu geben, so dass alle Werktätigen Anfragen und Vorschläge einbringen können. Die Sitzungen sollten nach Möglichkeit außerhalb der Arbeitszeit stattfinden, damit Werktätige als Gast ohne Stimme teilnehmen können. Über die Ergebnisse der Beratungen ist breit zu informieren.

16. Der Rat entscheidet selbst, welche Fragen unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu verhandeln sind.

17. Der Betriebsrat hat das Recht zur Entscheidungsfindung Arbeitsgruppen zu berufen und Gutachten anzufordern. Diese werden vom Betrieb bezahlt.

18. Die Mitglieder des Betriebsrats müssen Kündigungsschutz genießen und, sofern es die Tätigkeit im Rat erfordert, bezahlt freigestellt werden.

19. Der Betriebsrat enthält sich jeder parteipolitischer Betätigung.

Arbeitsweise des Betriebsrats

20. Der Betriebsrat wählt zwei Sprecher.

21. Der Betriebsrat führt in 14 Tagen mindestens eine Sitzung durch. Beschlussfähigkeit liegt vor, wenn alle Mitglieder eingeladen sind und mindestens 2/3 anwesend sind. Von jeder Sitzung wird ein Protokoll angefertigt.

22. Zur Beschlussfassung hat der Betriebsrat die Möglichkeit sich zu einer geschlossenen Sitzung ohne Gast und ohne Vertreter der Betriebsleitung zurückzuziehen.

23. Beschwerden und Anträge sind vom Betriebsrat entgegenzunehmen und zu bearbeiten. Innerhalb von vier Wochen ist darauf zu antworten.

24. Mindestens zwei Mal im Jahr ist in einer Vollversammlung der Belegschaft (bei großen Betrieben dem Wahlbereich) Rechenschaft über die Tätigkeit des Betriebsrats zu geben. Auf Verlangen der Betriebsleitung oder von 1/4 der Belegschaft sind außerplanmäßige Vollversammlungen einzuberufen.

Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften

Das Recht der Werktätigen auf Teilhabe am Geschehen im ganzen Betrieb begründet sich aus der Form des kollektiven Eigentums. Die daraus erwachsende Mitbestimmung der Werktätigen wird mit dem Betriebsrat realisiert.

Das Recht der Werktätigen auf den Schutz seiner Interessen als Produzent gegenüber dem Betrieb findet seinen Ausdruck in der Organisation in Gewerkschaften.

Aus dieser unterschiedlichen Bestimmung ergeben sich die Aufgabenabgrenzungen für Gewerkschaften und Betriebsräte.

Während der Betriebsrat für eine gute Entwicklung des ganzen Betriebs zu sorgen hat, kommt den Gewerkschaften der Kampf um höhere Entlohnung, des Schutzes der Arbeitsfähigkeit und der Gesundheit sowie der Gestaltung guter Arbeits- und Lebensbedingungen zu.

Weitere Unterschiede betreffen den Aufbau der Organisationen. Während der Betriebsrat zu einem Bestandteil des Betriebs wird und alle Werktätigen vertritt, ist die Gewerkschaft ein gesellschaftliche Organisation mit eignen Mitgliedsbeiträgen, eignen Verwaltungsapparat und eignen Leistungen, der das Wirken im Betrieb gestattet ist. Damit diese Organisation tatsächlich für Ihre Mitglieder wirken kann, muss sie ihre Unabhängigkeit vom Betrieb bewahren und darf nicht mit der Betriebsleitung verschmelzen.

Die unterschiedlichen Aufgaben von Betriebsrat und Gewerkschaft bedingen, dass Interessenkonflikte zwischen ihnen entstehen können. Dabei ist es jedoch nötig, diese Konflikte so zu lösen, dass der Konkurrenzkampf mit anderen, auf dem Privateigentum der Produktionsmittel beruhenden Betrieben bestanden wird.

Da inzwischen starke gesellschaftliche Kräfte den Verkauf des kollektiven Eigentums der Werktätigen, d.h. die Privatisierung der Betriebe durch Aktienverkauf fordern, ist es jetzt notwendig Betriebsräte zu bilden und die Existenz der volkseigenen Betriebe auch im direkten Konkurrenzkampf mit kapitalistischen Firmen zu sichern.

In Betrieben mit privatem Eigentum werden die Aufgabenteilung zwischen Betriebsrat und Gewerkschaft nicht so streng erfolgen, da hier die Verteidigung der unmittelbaren Interessen der Werktätigen gegenüber der Leitung in den Vordergrund rückt.

Wirtschaftsräte

Betriebsräte tragen in sich die Gefahr von betriebsegoistischen Entscheidungen. Deshalb ist es sinnvoll, nach der Schaffung und stabilen Funktion der Betriebsräte insbesondere in großen volkseigenen Betrieben Wirtschaftsräte zu bilden (oder in den Veröffentlichungen auch als gesellschaftliche Aufsichtsräte bezeichnet).

In diesen Räten werden die Interessen des Territoriums (Ökologie, Infrastruktur), der Hauptanwender und der kreditgebenden Banken durch entsprechende Vertreter gesichert. Der Betriebsrat und die Betriebsleitung sollten hier natürlich ebenso wie Vertreter der Gewerkschaft berücksichtigt werden. Der Wirtschaftsrat kann dann bestimmte Aufgaben des Betriebsrats übernehmen und weitergehende Befugnis erhalten, z.B. die Bestätigung strategischer Entscheidungen und das Einsetzen der Betriebsleitung. Die Vorstellungen hierzu lassen sich jedoch sicher erst nach dem Vorliegen von größeren Erfahrungen in der Arbeit der Betriebsräte konkretisieren.

Die Ausarbeitung erfolgte unter Berücksichtigung der Vorlagen über die Bildung von Betriebsräten im VEB BAE, VEB WF und im ZWG, des Arbeitspapiers zum Thema Betriebsräte im Prozess der Überführung von Staats- in Volkseigentum von Dr. Thomas Klein, des Entwurfs für ein Musterstatut für Personalvertretungen von Horst S(...) sowie der Materialsammlung über Betriebsräte in der DDR (1945-48) von Roland H(...).

Als Diskussionsgrundlage erarbeitet:

31.1.1990

Frank T(...) (Gruppe für Betriebsarbeit Initiative Vereinte Linke Tel (...) 7-16 Uhr)

aus: gesammelte Flugschriften DDR `90, Heft 3, März 1990, erstellt von der Initiative für eine Vereinigte Linke, Technische Gestaltung, Produktion und Vertrieb: ASTA TU Berlin)

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