Betriebszeitung in alle Richtungen offen / Beiträge nur mit Unterschrift?

Freie Meinungsäußerung jetzt möglich

Einige Anmerkungen zur letzten Betriebszeitung

Die letzte Betriebszeitung war im Vergleich zu den vergangenen Ausgaben relativ offen in allen Richtungen. Jeder Kollege hat wohl jetzt die Möglichkeit, darin seine Meinung frei zu äußern. Das sollte aber gerade in der jetzigen Zeit mit einer Unterschrift erfolgen - wohlgemerkt mit dem richtigen Namen.

Da gibt es aber in unserem Betrieb einen Kollegen (mit Namen) KEY, der sich darüber hinaus noch als unser aller Agitator aufspielt. Es ist mir nicht gelungen, in Erfahrung zu bringen, wer sich hinter diesem Namen verbirgt. Die Angabe eines falschen Namens muss doch wohl erstmal die Glaubwürdigkeit in Frage stellen. Und dann die Bezeichnung Agitator: In der Geschichte der DDR haben wir nur Agitation und Propaganda erlebt. Falsche Entscheidungen wurden durch Agit Prop als richtig, gut und Erfolg versprechend angepriesen. Waren doch noch in der davor liegenden Ausgabe von diesem KEY ganz andere Töne zu vernehmen. Alle echten Demokraten und Reformer waren da noch Rowdys, Staatsfeinde usw. Die gleiche Tendenz habe ich bei Karl-Eduard von Schnitzler beobachtet.

So gut kann es auch mit dem Gehör vom KEY nicht bestellt sein, wenn er den "leisen Tönen" schreibt. Und die Rückkehr zum alten Kurs ist sicher auch schon vorprogrammiert und deutlich erkennbar: "Die SED hat mehr als 2 Millionen Mitglieder, eine Zahl, die man im Lande wieder stärker spüren muss ...". Ich glaube, wir haben diese Zahl lange genug gespürt! Die SED hätte aus eigener Initiative keine Veränderungen eingeleitet. Sie soll also nicht so tun, als wäre alles auf ihrem Mist gewachsen. Veränderungen kamen nur zustande, weil das Volk es erzwungen hat. Und Initiator war dabei u. a. unbestritten auch das NEUE FORUM.

Es geht jetzt nicht nur darum, dass "Köpfe rollen". Die personellen Veränderungen müssen auch eine Bestrafung der Schuldigen nach sich ziehen bis hin zum Vermögenseinzug.

Ich fordere hiermit diesen KEY auf, seinen richtigen Namen anzugeben und diese Artikel einzustellen.

Es geht auch nicht mehr, Kollegen anonym anzugreifen ("Das nur 'Ich fordere' eines Kollegen unseres Betriebes ..."). Auch ich habe die Realisierung von 14 Punkten gefordert und setze mich dafür auch aktiv ein.

Und nun noch einige Anmerkungen zur Seite 5: "Schon mit Lügen geboren"

Wir leben in einer Zeit, in der fast täglich Fälle von Korruption und Amtsmissbrauch bekannt werden. Und das hin bis zur Volkskammer, dem Ministerrat und auch dem Staatsrat. Da sollte man nicht mit Steinen werfen, wenn man im Glashaus sitzt. Man könnte jedoch auch 2 andere Interpretationen anwenden:

1. Das, was bei uns geschah, ist anderenorts Gang und Gebe und deshalb nicht so schlimm oder

2. eine Ablenkung von den eigenen Problemen.

SIEGFRIED K(...)

Antwort des Redakteurs:

1. Schriftliche Veröffentlichungen mit oder ohne Unterschrift?

Zu diesem Thema setzte ich mich mit Oberrichter K(...) vom Bezirksgericht Leipzig in Verbindung. Er bestätigte mir, dass im Urheberrechtgesetz festgelegt ist, dass jeder Autor einer Veröffentlichung selbst entscheiden kann, ob er seinen Beitrag unterschreibt oder nicht oder ob er einen Künstlernamen verwendet. Nur der Chefredakteur, in dessen Zeitung oder Zeitschrift der Beitrag veröffentlicht werden soll, ist berechtigt festzulegen, ob eine der drei genannten Varianten keinen Zugang zu seiner Zeitung erhält.

2. Agitator KEY ein "Wendehals"?

Meinungsäußerung, welcher Art auch immer, sind stets subjektiv, was nichts besser beweist, als unsere Wandzeitung. So ging also auch der Agitator immer von seinem Standpunkt aus. Dass er es damit nie allen recht machen konnte, ist verständlich, normal und etwas, was niemand kann, aber es ist auch die lauthals geforderte Meinungsfreiheit. - Zum Vergleich der beiden letzten Ausgaben. Im GS Nr. 15 wurde ein Brief an die Betriebszeitung öffentlich beantwortet, mit der Bitte an die Schreiber desselben, in Zukunft als Redaktionsmitglieder ihre Meinung in der Zeitung kundzutun (was übrigens bis heute nicht geschah). Kein Wort von Rowdys oder Staatsfeinden - also immer sachlich bleiben. Übrigens sieht wohl jeder aus heutiger Sicht manches anders, als noch vor zwei Monaten. Also sind wir alle "Wendehälse" - oder?

Was die Forderung nach Einstellung der Agitator-Serie betrifft, so wäre dies ebenfalls eine, vor allem vom NEUEN FORUM geforderte (!), Einschränkung der Meinungsfreiheit.

3. Anmerkungen zur Seite 5

Dieser Beitrag, der zugegebenermaßen nicht den Anforderungen der heutigen Zeit entsprach, war ein Lückenfüller. An gleicher Stelle sollte ein Standpunkt der Betriebsgewerkschaftsleitung veröffentlicht werden, die sich jedoch zum damaligen Zeitpunkt nicht positionierte. Den Beitrag ohne Unterschrift zu veröffentlichen war legitim (siehe 1.). Um aber weiteren Fragen vorzubeugen, er stammt von einem Flugblatt, dessen Herausgeber die Abteilung Agitation/Propaganda der SED-Bezirksleitung Leipzig ist.

C. B.

Für den Agitator

Keine Chance für einen gesunden Dialog

Ich möchte mich heute letztmalig als Agitator KEY in unserer Zeitung betätigen.

Der Grund für meinen Entschluss liegt weniger darin begründet, dass manche Kollegen ein Erscheinen unter diesem Pseudonym in der gegenwärtigen Zeit für nicht angebracht halten; vielmehr sehe ich in dem unsachgemäßen Verhalten einiger "Dialogforderer" keine Existenzchance für einen Agitator im neuen Format der Betriebszeitung.

Wenn der Kollege T(...) G(...) mich in der Redaktionssitzung als "Urenkel von Karl-Eduard" beschimpfen kann (obwohl ich das nicht unbedingt als Beleidigung auffasse, aber darüber lässt sich bekanntlich streiten), wenn ich als der "größte Wendehals" verunglimpft werde (s. Seite 7), dann sehe ich echt keine Chance für einen gesunden, konstruktiven Dialog.

Mein Unverständnis begründet sich eigentlich darin, dass gerade solche Kollegen, die lauthals den Dialog forderten, andere jetzt nicht zu Wort kommen lassen und sie auspfeifen, weil sie Mitglieder der SED sind. Das kann und wird keine Basis für einen runden Tisch sein.

Eine Chance in der gegenwärtigen Zeit hat und muss jeder haben (dies beziehe ich nicht auf meine ehemalige Parteiführung); aber versuche ich konstruktiv meine Arbeit in neue Bahnen zu lenken, werde ich als Wendehals beschimpft, versuche ich nichts und behalte den alten Kurs bei, droht mir der Begriff Stalinist angehängt zu werden. Was wollen also eigentlich die Dialogforderer? Sollten sie sich nicht erst einmal selbst konsolidieren, ihren Standpunkt prüfen und dann in der Öffentlichkeit auftreten? Eine Empfehlung kann ich aber noch geben: Die "Wiedervereiniger" sollten sich das nächste Konzert des Herrn Biermann anhören. Der hat nämlich einen Standpunkt (den ich nicht allseitig teile), und ich nehme an, dass er besser weiß, wie die BRD-Wirklichkeit aussieht. Ich hoffe doch, dass Wolf Biermann nicht agitatorische Arbeit für die SED unterstellt wird oder sollte das mancher glauben?

Eine erste Nachbemerkung:

Ich verwahre mich gegen die Unterstellung des Kollegen K(...), "Demonstranten als Rowdys, Staatsfeinde" usw. bezeichnet zu haben. Meine Artikel sind in allen Nummern unserer Betriebszeitung nachlesbar. Solche Verunglimpfungen stammen nicht von mir.

Die zweite:

Bisher war mein Hauptbetätigungsfeld in der Zeitung unsere Parteiseite. Für unsere Genossen waren diese Argumente, als Gedankenimpuls nicht als Dogma gedacht. Eigenartigerweise hat sich kein Genosse beschwert über den Agitator - das finde ich nachdenkenswert. Ich wünsche allen Kollegen des VEB GTL einen, klaren Kopf und ein heisses Herz. In diesem Sinne

Euer Agitator K(...)

aus: Galvanospiegel, 17/89, 34. Jahrgang, 8. Dezember 1989, Betriebszeitung der Werktätigen des VEB Galvanotechnik Leipzig

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