Der Betriebsrat zwischen Wirtschaftspolitik, Erhalt der Arbeitsplätze und ideologischen Fragen

Aus den Medien sind uns einerseits manch unglaubliche wirtschaftliche Situationen in den Betrieben, andererseits Forderungen nach höherer Entlohnung und besserer sozialer Betreuung oder die Ablehnung der Zusammenarbeit mit ehemaligen Stasi-Mitgliedern usw. bekannt geworden. Viele Beiträge berichten von personellen Veränderungen in der Betriebs- und Gewerkschaftsleitung, nachdem die Belegschaft ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck gebracht hatte. So erhebt sich auch diese Frage in unserem Betrieb: Besteht Zufriedenheit mit der Leitung des Betriebes? Und da kommt in den Diskussionen drastisch zum Ausdruck: Die Leitung muss weg! Stellt man jedoch die Frage zur sachlichen Begründung, ist eine unzureichende Information über die betrieblichen Zusammenhänge zu spüren.

Ein Argument aber steht im Vordergrund: Nach Kenntnis waren oder sind bis auf zwei Mitglieder der Betriebsleitung alle Mitglied der ehemaligen SED, und damit steht und fällt auch hier das zentrale Thema der vergangenen Wochen und Monate, nämlich das geschwundene Vertrauen.

Der Betriebsrat hat in gründlicher Aussprache mit dem Betriebsdirektor versucht, die Lage des Betriebes zu analysieren. Tiefgründige Diskussionen fanden zur, künftigen Leitungsstruktur, zu Ordnung und Disziplin und natürlich zu personellen Reibungspunkten (analog der Hinweise auf der Informationstafel im Speisesaal) statt. Aktuelles Problem in der gegenwärtigen Phase ist die Stabilität des Betriebes und der Erhalt der Arbeitsplätze unter dem Aspekt der Zusammenarbeit mit einer Fremdfirma. Dabei spielen die Bereiche Organisation, Personal sowie Forschung und Entwicklung eine dominierende Rolle. Dazu wurden folgende Diskussionen geführt: Bereich Organisation und Datenverarbeitung: Etwa 800 Betriebsanweisungen (Betriebsdirektor anlässlich der Beratung mit dem Betriebsrat am 10. Januar 1990) sind nicht angetan, um von einer Betriebsorganisation zu sprechen. Anlässlich der Beratung des Betriebsrates am 5. Februar 1990 wurde vom Betriebsdirektor eingeschätzt, dass der Direktor dieses Bereiches - Kollege W(...) - zu wenig Initiative zeigt, diese Situation zu ändern. Des Weiteren wurde dargelegt, dass Kollege W(...) über keine genügende Ausstrahlung als Direktor dieses Bereiches auf die Erfüllung der Aufgabenstellungen verfügt. Somit ist zu beantworten, ob der so geführte Bereich den künftigen Anforderungen gerecht werden kann.

Bereich Kader und Bildung:

Es wurde die Forderung nach der richtigen Bewältigung der künftigen Personalpolitik gestellt. Getragen von dem Wissen um die Vergangenheit, wonach solche kaderpolitischen Aspekte im Vordergrund standen, die nie wider auftreten dürfen, besteht die Frage: Kann Kollege P(...) als Direktor dieses Bereiches umdenken?

Bereich Forschung und Entwicklung

Bei der Zusammenarbeit mit einer Fremdfirma geht es um die maximale Einbringung von Erzeugnissen und anderen Leistungen, um den Umfang des oft zitierten Ausverkaufes möglichst gering zu halten. Eine Analyse ergab, dass zum Beispiel die Entwicklung des thermischen Überstromrelais RX (zugehörig zu Luftschütze LX) mit bereits mehreren Millionen Mark Entwicklungskosten nicht zum Abschluss kommt und somit nicht wirksam wird. Die Entwicklung "Schütze großer Leistung" (Ablösung der Schütze ID 6 und ID 7) ist terminlich noch so fixiert, dass auch hierbei von dem "Einbringen" nicht ohne weiteres die Rede sein kann. Diese Fakten hat strukturmäßig der Direktor W - Kollege K(...) - zu vertreten. Der Betriebsrat kam zu der Auffassung, dass die erreichten Ergebnisse zu mager sind. Hinzu kommt, dass dieser Bereich durch "Fehlentscheidungen" (Betriebsdirektor anlässlich Informationsstunde am 6. Februar 1990) zum Beispiel hinsichtlich abgebrochener Entwicklungen zu Tastatur und speicherprogrammierbarer Steuerungen (SPS) vorbelastet ist. Der Initiative der Kolleginnen und Kollegen dieses Bereiches (dabei bitte auch das Potential in Dresden beachten!) sind solche Entscheidungen nicht zuträglich: doch besteht Bereitschaft zur effektiven Mitarbeit und man erwartet klare Aufgabenstellungen.

Nun sind diese Bereiche homogener Bestandteil des Betriebes und ihre Direktoren Leitungsmitglieder, so dass eine eindeutige Verantwortlichkeit für die getroffenen Entscheidungen nicht ohne weiteres festgestellt werden kann. Da klare Prämissen zur Beherrschung der künftigen Aufgaben nicht offen erkennbar sind, müsste der Betriebsleitung das Misstrauen ausgesprochen werden, das soviel wie Rücktritt bedeutet. Da es aber keinesfalls um Konfrontation gehen kann und manches noch wesentlich eingehender zu untersuchen gilt, wurde dieser Schritt aus folgenden Gründen unterlassen:

1. Die vom Betriebsdirektor vorgestellte künftige Leitungsstruktur wird nochmals überarbeitet und neu zur Diskussion gestellt. Personelle Festlegungen wurden noch nicht getroffen.

2. Die Gespräche mit Fremdfirmen sind noch nicht abgeschlossen. Hieraus können sich Entscheidungen zum Erzeugnisprofil und der Leitung ergeben, die nicht spekulativ vorwegzunehmen sind.

3. Der jetzige Betriebsrat ist noch nicht von der Gesamtbelegschaft gewählt.

In der zusammenfassenden Diskussion mit dem Betriebsdirektor, am 5. Februar 1990 konnten dennoch Vorbehalte zu den vorgenannten Direktoren nicht ausgeräumt werden.

Seitens des Kollegen P(...) ist zwischenzeitlich an mich als Sprecher des Betriebsrates ein Schreiben vom 6. Februar 1990 gerichtet worden, worin er unter anderem erklärt, dass an ihn gerichtete Anschuldigungen zu Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem ehemaligen MfS ungerechtfertigt sind. Er kann dies an Eides Statt erklären. Kollege P(...) bittet dafür Sorge zu tragen, dass von entsprechenden Diskussionen Abstand genommen wird.

Diese Thematik betrifft auch Kollegen K(...), die sich durch alle Beratungen hindurchzieht.

Ein anderer wesentlicher Diskussionspunkt ist das Bestreben des Werkes Duroplast Neusalza-Spremberg, sich zu verselbständigen. Hierauf verwies der Betriebsdirektor auch anlässlich der Informationsstunde am 6. Februar 1990. Daraus entsteht natürlich Unruhe in der Belegschaft. Wie lange noch erhalten wir Pressteile? Was passiert, wenn DPN ein lukratives Angebot im marktwirtschaftlichen Sinne, wie es dargelegt wurde, erhält? Ein wichtiger Punkt, denn die Belegschaft rechnet mit der weiteren Absicherung der Pressteillieferungen.

Werte Kolleginnen und Kollegen!

Die Erarbeitung eines Gewerkschaftsgesetzes ist bekannt. Unklar ist noch die Verabschiedung. Die Belegschaft muss zur Sicherung ihrer Mitwirkungsrechte die Betriebsrats- und Gewerkschaftsarbeit unterstützen und aktiv mitarbeiten. Da es nicht angebracht ist, auf irgendwelche Ereignisse und Entscheidungen zu warten, wurde eine Wahlkommission zur Wahl des Betriebsrates unter Leitung des Kollegen P(...) (WKE) gebildet. Die entsprechenden Wahlvorbereitungen werden eingeleitet. Zwischen diesem Betriebsrat und der Betriebsleitung ist der Abschluss einer Vereinbarung zur Fixierung der weiteren Zusammenarbeit vorgesehen, wobei der Einfluss einer eventuellen Fremdfirma besonders zu beachten sein wird.

L(...), Sprecher des Betriebsrates

aus: Der Funke, Nr. 2, 24. Jahrgang, 21. Februar 1990, Betriebszeitung des VEB Schaltelektronik Oppach, Betrieb des Kombinates Volkseigener Betrieb Elektro-Apparate-Werke "Friedrich Ebert", Berlin-Treptow, Herausgeber: VEB Schaltelektronik Oppach

Δ nach oben