Vorschläge an die Adresse "KONSUM"

Aus einem offenen Brief von Mitarbeitern des Konsum Rationalisierungszentrums Industrie Karl-Marx-Stadt an den Vorstand des Verbandes der Konsumgenossenschaften der DDR und den Präsidenten des Verbandes in seiner Eigenschaft als Abgeordneter der Volkskammer:

Uns Unterzeichnern dieses Briefes ist klar, dass die desolaten wirtschaftlichen und politischen Bedingungen nur dann erfolgreich auf Dauer verändert werden können, wenn es uns gelingt, in der DDR ökonomische und politische Veränderungen zu schaffen, die von der Mehrheit des Volkes getragen werden.

Wir als Mitglieder und Mitarbeiter der Konsumgenossenschaften der DDR glauben in der Verantwortung zu stehen, das Schweigen der Konsumgenossenschaften zu den bisherigen Ereignissen brechen zu müssen, mit allen Mitgliedern und Mitarbeitern in einen offenen Dialog über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Konsumgenossenschaften zu treten . . .

Die Konsumgenossenschaften müssen sich ihrer Verantwortung als zweitgrößte Massenorganisation der DDR mit 4,6 Millionen Mitgliedern und 256 000 Mitarbeitern in den Handels-, Produktions-und sonstigen Einrichtungen stellen. Immerhin produzieren die Konsumgenossenschaften ca. 1/3 der Back- und Fleischwaren unserer Republik.

Wir fordern einen Dialog und Entscheidungen zu folgenden Fragen.

1. Den Konsumgenossenschaften ist als zweitgrößte Massenorganisation der DDR der gebührende Platz in der Gesellschaft wieder einzuräumen. Wir meinen damit u. a. auch Vertretung als eigene Fraktion in der höchsten Volksvertretung unseres Staates, der Volkskammer.

2. Klare Trennung der Konsumgenossenschaften von den Regulierungsmechanismen des volkseigenen Sektors im Sinne wirklich genossenschaftlicher Tätigkeit zur Verwirklichung demokratischer Selbstbestimmung.

3. Schaffung neuer, effektiver Strukturen in der genossenschaftlichen Organisation, in den Handels- und Produktionsbereichen sowie in der massenpolitischen Führungstätigkeit. Umstrukturierung der Kombinate und Betriebe, sowie der Handelseinrichtungen zu echten Genossenschaften. Grundsätzliche Veränderung der Einordnung in die wirtschaftliche Leitungshierarchie des Staates.

4. Eigenerwirtschaftung und Verwendung der Mittel, einschließlich der Valutamittel und Herauslösung aus dem Prinzip der Nettogewinnabgabe hin zu einer Besteuerung, die dem Eigentümerbewusstsein von Konsumgenossenschaftlern Rechnung trägt.

5. Einführung materieller Stimuli, unabhängig von staatlichen Vorgaben und Reglementierungen, die dem genossenschaftlichen Charakter entsprechen und dem Leistungsprinzip gerecht werden.

6. Ausschließung von Bevormundung und Einflussnahme auf die Kaderpolitik der Konsumgenossenschaften zur Vermeidung subjektiver Fehlentscheidungen auf Grund fachlicher Inkompetenz. Abschaffung der Berufung von Kadern, sondern demokratische Wahl durch die Mitglieder und Beschäftigten der Konsumgenossenschaften.

7. Schaffung eigener, unabhängiger Publikationsmöglichkeiten zur Darstellung konsumgenossenschaftlicher Interessen.

Mit der Realisierung dieser Forderungen erwarten wir, dass ein Anfang gemacht wird, der uns hoffen lässt, dass es uns als Konsumgenossenschaftlern gelingt, unseren spezifischen Beitrag zu einem Wandel in unserer Gesellschaft zu leisten, der materiell spürbar wird. Wir sind überzeugt, dass wir als Mitarbeiter des Konsum Rationalisierungszentrum Karl-Marx-Stadt als das dominierende wissenschaftlich-technische Potential der Konsumgenossenschaften der DDR in der Lage sind, wesentliches beizutragen . . .

Karl-Marx-Stadt, den 27. 10. 1989
24 Unterschriften

Der Morgen, Di. 07.11.1989

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