Im VEB Schwertransport Leipzig, wurde im Dezember 1989 der erste Betriebsrat des Herbstes 1989 gebildet. Beratungen davor gab es mit dem Bürgerkomitee, dem Neuen Forum und der SDP. Da alles mit Recht und Gesetz zugehen sollte, wurde eine Rechtsauskunft vom Bezirksstaatsanwalt eingeholt. Die Staatsanwaltschaft gab grünes Licht. Die Persönlichkeitswahl fand außerhalb der Arbeitszeit statt. Alle Betriebsratsmitglieder waren im FDGB.
Betriebsvereinbarung zur Zusammenarbeit zwischen dem Betriebsteilleiter von VEB Schwertransport, Leipzig, und dem geheim, frei und demokratisch gewählten Betriebsrat
Der desolate Zustand unseres einst wirtschaftlich starken und mit marktorientierten Grundmitteln ausgestatteten Betriebes erfordert zur Sicherung und Rettung unseres Betriebseigentums die Durchsetzung unseres optimalen Mitbestimmungsrechtes. Die Belegschaft unseres Betriebes hat deshalb zur Durchsetzung ihrer Interessen und für die Wahrnehmung ihres Mitbestimmungsrechtes in freier, demokratischer und geheimer Wahl ihren Betriebsrat - nachfolgend BR - gewählt.
Nach dessen Konstituierung am 27.12.1989 unterbreitet dieser dem Betriebsteilleiter - nachfolgend BTL - des BT Schwertransport die gemeinsamen, auf Mehrheitsbeschluss beruhenden Grundsätze der Zusammenarbeit.
1.
Oberstes Ziel des BR und BTL ist die Sicherung des durch zentrale Entscheidungen deformierten, seiner Produktionspotenzen beraubten und verbürokratisierten Betriebes.
2.
Das Selbstbestimmungsrecht der Belegschaft, vertreten durch ihren BR, wird auf der Grundlage geltender Gesetze durch Mehrheitsbeschluss durchgesetzt.
3.
BTL und BR haben Betätigungen zu unterlassen, durch die der Arbeitsablauf oder der Frieden des Betriebes beeinträchtigt werden. Sie haben jede parteipolitische Betätigung im Betrieb zu unterlassen. Die Behandlung von Angelegenheiten tarifpolitischer, personalpolitischer und wirtschaftlicher Art, die den Betrieb oder die Belegschaft unmittelbar betreffen, wird hierdurch nicht berührt. Kolleginnen und Kollegen, die im Rahmen des BR Aufgaben übernehmen, werden in ihrer Betätigung nicht beschränkt.
4.
BTL und BR sollen mindestens zweimal im Monat zu einer Besprechung zusammentreten. Sie haben über strittige Fragen mit dem ernsten Willen zur Einigung zu verhandeln und Vorschläge für die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zu machen.
5.
Der Vorsitzende des BR, oder im Falle seiner Verhinderung seine Stellvertreter, vertritt den BR im Rahmen der von ihm gefassten Beschlüsse. Zur Entgegennahme von Erklärungen aus der Belegschaft oder dem BTL, die dem BR gegenüber abzugeben sind, ist jedes Mitglied des BR berechtigt.
6.
Der BTL hat den BR über die Personalplanung, insbesondere über den gegenwärtigen und künftigen Personalbedarf in allen Leistungsebenen und im Produktionsbereich, sowie über die sich daraus ergebenden Maßnahmen an Hand von Unterlagen rechtzeitig und umfassend zu unterrichten. Der BR kann dem BTL Vorschläge für die Einführung einer Personalplanung und ihre Durchführung machen.
7.
Der BR kann verlangen, dass Arbeitsplätze aller Ebenen, die besetzt werden sollen, allgemein oder für bestimmte Arten von Tätigkeiten vor ihrer Besetzung innerhalb des Betriebes ausgeschrieben werden. Bewerber von außerhalb des Betriebes werden bei Nichteignung entsprechend § 54 AGB fristgemäß gekündigt.
8.
Entscheidungen über die personelle Auswahl bei Einstellungen, Versetzungen, Umgruppierungen oder Kündigungen bedürfen der Zustimmung des BR oder Ausschreibung mit Abstimmung. Versetzung im Sinne des AGB ist die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereiches, die voraussichtlich die Dauer von drei Monaten überschreitet.
9.
BTL und BR haben darüber zu wachen, dass alle im Betrieb tätigen Personen nach Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden, insbesondere, dass jede unterschiedliche Behandlung von Personen wegen ihrer Abstammung, Religion, Nationalität, Herkunft, politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder wegen ihres Geschlechts unterbleibt. BTL und BR haben die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb Beschäftigten zu schützen und zu fördern.
10.
Spezielle Betriebsvereinbarungen sind vom BR und BTL gemeinsam zu beschließen und schriftlich niederzulegen. Sie sind von beiden Seiten zu unterzeichnen. Der BTL hat die Betriebsvereinbarung an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen.
11.
Betriebsvereinbarungen gelten unmittelbar und zwingend. Sie können mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden.
12.
Die Mitglieder des Betriebsrates sind verpflichtet, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, die ihnen wegen ihrer Zugehörigkeit zum BR bekannt geworden und vom BTL ausdrücklich als geheimhaltungspflichtlig bezeichnet wurden, nicht zu offenbaren und nicht zu verwerten. Dies gilt auch nach dem Ausscheiden aus dem BR. Die Verpflichtung gilt nicht gegenüber anderen Mitgliedern des BR.
13.
Der BR hat auf der Grundlage des ihm in freier demokratischer Wahl übertragenen Auftrages der Belegschaft folgende Aufgaben:
- Durchsetzung der Mitbestimmungsrechte der Belegschaft.
- Erarbeitung einer Konzeption zur Wiederherstellung einer marktorientierten wirtschaftlichen Effizienz.
- Die Gestaltung und Innovation (Erneuerung) des Betriebes zur Erreichung einer hohen Arbeitsproduktivität.
- Rekonstruktion der Betriebsstruktur und klare Bestimmung des Produktionsprofils nach marktwirtschaftlichen Prämissen. Beendigung der Bürokratisierung.
- Besetzung von Leitungsfunktionen mit Personen, die durch sachliche, fachliche und wirtschaftliche Kompetenz auf der Grundlage des ausgesprochenen Vertrauens der Belegschaft bestätigt werden.
- Durchsetzung einer leistungsorientierten Entlohnung im Gehalts- und Lohnbereich, entsprechend der steigenden Wirtschaftskraft des Betriebes unter der Prämisse hohe Leistung - hoher Lohn.
- Wirtschaftspolitische Orientierung auf einen selbständigen Betrieb, der durch die anteilmäßige Beteiligung in Form von Aktien oder ähnlichen Eigentumsanteilen aller Belegschaftsmitglieder zu einem echten Eigentum der Betriebsangehörigen wird.
- Mitwirkung an Beratungen des BTL in innerbetrieblichen sowie außerbetrieblichen Bereichen, mit dem Recht, Informationen, Auskünfte und Entscheidungen über relevante Betriebsangelegenheiten durch Zustimmung oder Einwände bzw. Ablehnungen mitzutragen.
- Mitwirkung und Entscheidungen bei Investitionsvorhaben, die einen entscheidenden marktpolitischen und personalpolitischen Einfluss erwarten lassen.
- Bei nicht zu erreichender Einigung strittiger Fragen zwischen BTL und BR, die für die Wahrnehmung der Interessen aller Belegschaftsmitglieder von entscheidender Bedeutung sind, ist der BR verpflichtet, die anstehende Entscheidung in einer Vollversammlung zur Diskussion zu stellen. Der BR hat das Recht, bei zunächst unlösbaren Unstimmigkeiten zwischen ihm und der Betriebsteilleitung einen Schiedsspruch der zuständigen Arbeitsrechtskammer beim Kreis bzw. Bezirksgericht zu beantragen und unter Umständen bis zur höchsten Gerichtsinstanz zu verfolgen. Sind auf dieser juristischen Basis keine Einigungen zu erzielen, hat der BR das Recht, Urabstimmungen über Arbeitskampfmaßnahmen zu beschließen und durchzuführen.
- Das Einvernehmen zwischen betriebswirtschaftlichen Erfordernissen und Belegschaftsbelangen herbeizuführen.
- Betriebswirtschaftliche Belange und Entscheidungen gegen Einzelforderungen von Personen zu verteidigen und das Gesamtwohl des Betriebes und seiner Belegschaft über die Interessen einzelner zu stellen.
- Der Belegschaft über alle betrieblichen Belange rückhaltlos, umfassend sowie sach und fachgerecht zu berichten. Bei bestehenden Meinungsverschiedenheiten Beratungen mit der Belegschaft durchzuführen, um eine mehrheitliche Meinungsbildung zu erreichen und vertreten zu können.
- Die Durchsetzung des Rechtes jedes Belegschaftsmitgliedes, Einsicht in die über ihn geführte Personalakte zu nehmen. Er kann hierzu ein Mitglied des BR hinzuziehen. Das Mitglied des BR hat über den Inhalt der Personalakte Stillschweigen zu wahren, soweit es vom Belegschaftsmitglied im Einzelfall nicht von dieser Verpflichtung entbunden wird. Erklärungen des Belegschaftsmitgliedes zum Inhalt der Personalakte sind dieser auf sein Verlangen beizufügen.
- Mitwirkung und Entscheidung bei sozialen Belangen wie Pausenversorgung, Arbeitsschutz, Urlaubsregelung, Urlaubsplätze und Sonderzuwendungen an Belegschaftsmitglieder.
- In engster Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft bei arbeitsökonomischen Vereinbarungen wie Arbeitsverträgen, Arbeitsaufgaben, Lohn und Gehaltsansprüchen, Kündigungen, Versetzungen sowie bei der Aufnahme bzw. Auflösung von Arbeitsrechtsverhältnissen.
14.
Zwischen BTL und BR werden als Arbeitsgrundlage für die TL folgende Aufgaben vereinbart:
- Gemeinsam mit dem BR die Sanierung des Betriebes und dessen Entwicklung zu einer marktorientierten, effizienten Wirtschaftseinheit zu betreiben.
- Die Respektierung des Mitbestimmungsrechtes der Gesamtbelegschaft bei der strukturellen und profilierten Umgestaltung des Betriebes zu beachten.
- Den BR und die Belegschaft umfassend, rückhaltlos, sach und fachgerecht über betriebliche und personelle Entscheidungen und Beschlüsse durch die z. Z. noch vorgelagerte Leitungsstruktur unmittelbar zu informieren.
- Den vom BR beauftragten Mitgliedern durch Teilnahme an Beratungen und Besprechungen vorgelagerter Leitungsstrukturen die Möglichkeit einer direkten und umfassenden Information zu geben.
- Gemeinsam mit dem BR auf die Selbständigkeit des Betriebes unter Beachtung sozialökonomischer, marktorientierter und profilierter Produktionsaspekte hinzuarbeiten.
- Gemeinsam mit den jeweiligen Fachexperten und dem BR einen kurzfristigen Entwicklungsplan mit der Orientierung auf die zu erwartende Wirtschaftsreform, das notwendige marktorientierte Produktionsprofil, die Standortbestimmung, Finanzfonds und die strukturelle Veränderung zur Absicherung einer wirtschaftlichen Effizienz zu erarbeiten.
- Dem BR einmal im Monat Bericht zu erstatten über alle betriebsrelevanten Belange wie Auftragslage, Wirtschaftslage, Arbeitsproduktivität, Arbeitskräftesituation, Einsatzquotienten, Ersatzteillage, Treibstoffsituation, Marktsituation, Markttrend und Lösungsvorschläge. Es können die fachkompetenten Leiter hinzugezogen werden.
15.
Nach dem Inkrafttreten eines Betriebsverfassungsgesetzes sind die oben genannten Punkte gegebenenfalls entsprechend zu korrigieren und die gesetzlichen Grundlagen für die Arbeit der Betriebsräte als veränderter Punkt anzufügen.
Die in dieser Betriebsvereinbarung festgelegten Pflichten Rechte und Aufgaben haben zum Ziel, einen leistungsstarken marktorientierten Betrieb im Interesse und zum Wohl aller Betriebsmitglieder aufzubauen.
Es bedarf einer sehr engagierten, motivierten vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen BTL und BR, um das lohnenswerte Ziel zu erreichen.
Gestützt auf das in freier demokratischer Mitbestimmung von der Gesamtbelegschaft ausgesprochene Vertrauensvotum wird der BTL und BR alle Kraft, Können, Erfahrung und gesetzlichen Möglichkeiten ausschöpfen, dieses Ziel zu erreichen. Die Vereinbarung zwischen BTL und provisorischem BR wird befristet bis zur Neugründung des juristisch selbständigen Betriebes. Nach Gründung dieses selbständigen Betriebes ist eine Entscheidung über die Weiterarbeit des BR herbeizuführen.
Die Vereinbarung tritt mit ihrer Unterzeichnung in Kraft.
Leipzig, den 29. 12. 1989
gez. M(...)
Betriebsteilleiter
gez. L(...)
Betriebsratsvorsitzender