Worüber Kaolinwerker erschüttert sind

Seit Monaten bemühen sich die Belegschaft, der Betriebsrat und die Betriebsleitung unseres Betriebes, des Kaolinwerkes Röblingen, mit vielen Maßnahmen (Freisetzung von Arbeitskräften, Kostendämpfung und Entwicklung neuer Wege, um Gewinn zu erwirtschaften), sich auf die kommende Situation vorzubereiten. Viele dieser Maßnahmen brauchen aber Zeit. Unser Kaolin hat bisher einen Platz auf dem heimischen, dem bundesdeutschen und dem internationalen Markt, und wir bemühen uns, diesen Platz zu behalten und auszubauen. Entscheidende, von uns nicht verursachte Wettbewerbsnachteile verurteilen unsere Bemühungen aber zum Scheitern. Einige Beispiele: Bei uns verwendete Pumpen - andere bekamen wir ja nicht - halten manchmal nicht länger als eine Woche. Von uns besuchte bundesdeutsche Unternehmen besitzen Pumpen mit Standzeiten von 4 bis 5 Jahren. Einen LKW "Tatra" bekamen wir nur für über 200 000,- M. Der Preis auf dem Weltmarkt liegt bei knapp 90 000 DM. Wie sollen wir bei einem uns aufgezwungenen Termin (Währungsunion) plötzlich 40 Jahre Nachteil überwinden können? Die Situation ist doch nur vergleichbar mit der, dass man einen Steinzeitkrieger gegen einen Soldaten des 20. Jahrhunderts schickt. Beide haben Waffen, aber keiner würde das Wort fairer Vergleich oder Wettbewerb verwenden. Was wir brauchen, ist Zeit. Offenbar wollen wir Ostdeutschen wieder einmal Musterschüler spielen. Selbst in der BRD gab und gibt es Schutz und Subventionen für einzelne Bereiche. Denken wir an das Saarland, Kohlepfennig, Landwirtschaft, Airbus und viele andere Dinge.

Wir sind erschüttert, mit welcher Leichtigkeit hier unsere Arbeitsplätze vernichtet werden sollen. Ein großer Teil unserer Belegschaft hat am 18. März 1990 für die Wiedervereinigung und soziale Marktwirtschaft gestimmt, also auch CDU gewählt Aber das "sozial" war doch wohl nur Wahlpropaganda.

Der Betriebsrat,
Kaolinwerk Röblingen, 4256

Leserbrief

Neues Deutschland, Fr. 18. Mai 1990 Seite 2