Hintergründe für Warnstreiks

NT sprach mit der BGL-Vorsitzenden des DRK, Bärbel H(...), und dem Leiter Krankentransport, Bernd K(...)

Der dreistündige Warnstreik der Krankentransporteure der Bezirksstadt brachte die Gemüter in Aufruhr. Es gab für und wider. Dem Krankentransport geht der Ruf voraus, dass sie, die Kolleginnen und Kollegen, mit hoher Aufmerksamkeit und einem Höchstmaß an Einsatzbereitschaft, die so manche Stunde der Freizeit fordert, ihre Aufgaben erfüllen. Was waren die Hintergründe für diesen Warnstreik?

Bärbel H(...): Ausschlaggebend für diesen Warnstreik war eine Neuregelung der Schichtstimulierung des Gehaltes unserer Mitarbeiter, die unterschriftsreif vorlag, aber innerhalb von 24 Stunden widerrufen wurde. Einen ähnlichen Fall gab es schon einmal 1986, doch damals wirkten sich die finanzpolitischen Maßnahmen für die einzelnen positiv aus.

Also ging es in erster Linie um mehr Geld?

Bärbel H(...): So einfach kann man das nicht sehen. Wenn man davon ausgeht, dass der Krankentransporteur eine Doppelfunktion ausübt; er muss fahren, ganz egal, welche Witterungs- und Fahrbahnbedingungen herrschen. Und gleichzeitig wird von ihm ein bestimmtes Maß an medizinischem Wissen und Können verlangt. Wie oft muss er dem Arzt zur Seite stehen, um Menschenleben zu retten. Das Grundgehalt für den Dreischichtdienst liegt zwischen 700 und 800 Mark netto, und das ist einfach zu wenig.

Während der Fahrt durch das Stadtgebiet war an einem Krankenwagen die Forderung nach einem neuen Objekt zu lesen.

Bärbel H(...): Richtig, und das ist die zweite, nicht minder wichtige Forderung. Seit 30 Jahren wird der Krankentransport als wichtige medizinische Einrichtung von einer Stelle zur anderen geschubst, nie wären die Arbeitsbedingungen als optimal anzusehen, auch nicht in der Briesener Straße.

Können Sie dafür Beispiele nennen?

Bernd K(...): Für die Krankentransporteure steht ein einziger Raum zur Verfügung. Er ist Aufenthalts-, Speise-, Klub- und Versammlungsraum. Außerdem müssen hier die Kollegen ihre Fahrten abrechnen. Die Möglichkeiten für die persönliche Hygiene lassen sehr zu wünschen übrig. Obwohl die Fernwärmeleitung direkt durch den Garagenkomplex führt, sind die Garagen nach wie vor nicht beheizbar, zwei Fahrzeuge stehen wegen Platzmangel ständig im Freien. Die Fahrzeugwäsche muss bei Wind und Wetter unter freiem Himmel erfolgen. Bei Minusgraden sicher keine Freude, und mit vorbeugendem Gesundheitsschutz hat das nichts zu tun. Für die Einsatzfahrzeuge - es sind nachts mindestens drei - stehen nach wie vor nur zwei Garagen zur Verfügung. Eine Belastung für Fahrer und Patienten, die in einem eisigen Fahrzeug transportiert werden müssen.

Wurden denn diese Probleme angesprochen?

Bernd K(...): Oh ja. Versprechungen, Vertröstungen und wieder Versprechungen. Einige können sich noch an eine genaue Terminangabe erinnern. Ab 15. September 1985 sollte auf dem Gelände der ehemaligen Krankenhausgärtnerei ein Erweiterungsbau durch Lehrlinge des VEB Bau errichtet werden. Davon wusste aber nur der Ärztliche Direktor der SMH, MR Dr. B(...), weder die Bauleute noch die vorgesetzter, Dienststellen.

Wie haben die vorgesetzten Dienststellen auf den Warnstreik reagiert?

Bärbel H(...): Am gleichen Tag, wenige Stunden nach unserem Streik, gab es eine Versammlung. Anwesend waren der Kreisarzt, MR Dr. med. Wolfgang S(...), der zuständige Vertreter des FDGB, Mitarbeiter vom Bezirks- und Kreissekretariat des DRK. Alle akzeptierten unsere Forderungen. Von Seiten des DRK wurden die Gehaltsforderungen an das Generalsekretariat weitergeleitet, und der Kreisarzt versprach, sich nachdrücklich für die Bereitstellung eines neuen Objektes einzusetzen.

Welche Vorstellungen bestehen hinsichtlich eines neuen Objektes?

Bernd K(...): Zwei Objekte stehen zur Diskussion. Teile des Wehrbezirkskommandos, doch in diesem Objekt wäre eine Zusammenarbeit der SMH mit dem Krankentransport nicht garantiert. Und die medizinische Feuerwehr muss schon von einer einheitlichen Basis aus operieren. Und als zweite Variante sind Teile des ehemaligen MfS zur Nutzung ins Auge gefasst. Hier bieten sich geradezu optimale Bedingungen. Das betrifft nicht zuletzt solche Aspekte, wie territoriale Lage, Gewährleistung des Funkverkehrs bis hin zur Pflege und Wartung der Einsatzfahrzeuge.

Nun gibt es doch eine ganze Reihe von Bewerbern für dieses Objekt . . .

Bernd K(...): So ist es. Von Seiten des Gesundheitswesens gibt keine Einwände, dass endlich für den jahrzehntelang vernachlässigten Krankentransport ansprechen Arbeitsbedingungen geschaffen werden. Von diesen Männern - natürlich im Zusammenwirken mit den Ärzten und Schwestern - hängt nicht selten das Leben eines Menschen ab.

Wie weit sind nun die Verhandlungen in puncto Nutzung von Teilen des MfS-Objektes für den Krankentransport vorangekommen?

Bernd K(...): Es tagte die Vorbereitungskommission beim Rat des Bezirkes mit allen Antragstellern, und wir sind - wenn's auch schwer fällt - optimistisch.

Eine letzte Frage. Während Warnstreiks wurde angedeutet, dass bei Nichterfüllung der Forderung am 1. Februar ein vierundzwanzigstündiger Streik organisiert wird?

Bärbel H(...): Das ist grundsätzlich richtig. Und wir sind da nicht allein. Alle Krankentransportdienstellen des Oderbezirkes habe sich solidarisch erklärt, und soviel ich weiß, schließt sich der Bezirk Potsdam ebenfalls an. Aber noch wird nicht gestreikt, und wir hoffen, dass dieser Freitag der erste und letzte seiner Art in Frankfurt und dem ganze Lande war. Die endgültige Entscheidung bezüglich des Objektes kann erst am 2. Februar getroffen werden. Und wir rechnen mit der Fairness unserer Kollegen, erst die Ergebnisse abzuwarten und dann zu entscheiden, ob sich ein erneuter Streik erforderlich mach. Ein letztes Wort: Trotz kontroverser Meinungen in der Bevölkerung war in der vergangenen Woche die medizinische Notversorgung abgesichert, und das wird immer so sein.

aus: Neuer Tag, Nr. 25, 30.01.1990, Herausgeber: Verlag Neuer Tag

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