Offener Brief

Zeichen der Zeit nutzen

Am 4. Dezember 1989 führten wir eine Gewerkschaftsversammlung durch, wo in erster Linie über die weitere gesellschaftliche Entwicklung in der DDR, insbesondere aber ganz konkrete Fragen der Gewerkschaftsarbeit und betriebliche Probleme des DMW diskutiert wurden. Der Termin unserer Versammlung wurde der AGL bekannt gegeben. Die Zeichen der Zeit gaben uns die Hoffnung, dass nun die Gewerkschaftsebenen doch auch endlich basiswirksam werden und vielleicht einen Vertreter schicken aber - Fehlanzeige.

Aus diesem Grunde richten wir unsere Fragen und Forderungen in einem offenen Brief an die BGL und fordern zu öffentlicher Stellungnahme auf!

1. Da die AGL und BGL bisher nicht massenwirksam gearbeitet haben, fordern wir den Rücktritt und Neuwahlen spätestens im Januar.

2. In der derzeitigen wirtschaftlichen Lage sehen wir den Streik als ungeeignetes Mittel zur Durchsetzung der Forderungen des Volkes an. Wir wenden uns deshalb gegen den Streikaufruf des Neuen Forums Karl-Marx-Stadt, in der gegenwärtigen Situation.

3. Wir fordern die Offenlegung der Einnahmen und Ausgaben der Gewerkschaftsbeiträge und Solidaritätsgelder durch die BGL, Kreis-, Bezirks- und Bundesvorstand.

4. Wie wird durch die BGL zur weiteren Verbesserung der Erholungsmöglichkeiten beigetragen?

- Das Angebot an Ferienplätzen für 4 Personen, vor allem in den Ferienzeiten ist viel zu gering.

- Warum sind für "Haus Wieseneck" (Hiddensee) nur Plätze bis März angeboten worden?

- Welche Mittel stehen für die Qualitätserhöhung der Ferienplätze zur Verfügung, und wie werden sie eingesetzt.

5. Wir fordern die Verbesserung der Unterstützung unserer Rentner mit den Solidaritätsgeldern.

6. Wir fordern:

- die Einhaltung der Arbeitszeit durch die Kollegen, die in der Tagschicht tätig sind!

- die Überprüfung aller personengebundenen Gehälter und Löhne. Offenlegung der Namen!

- dass die bilanzierten Lohngelder, die durch freie Planstellen nicht genutzt werden, den produktiven Kollegen zur Leistungsstimulierung zur Verfügung gestellt werden!

Die Kollegen der A-Schicht TEW 2


Steilnahme der BGL zum "Offenen Brief" der Gewerkschaftsgruppe TEW 2, A-Schicht

Wir möchten diese Gelegenheit nutzen, um uns bei der A-Schicht der Abteilung TEW und gleichzeitig bei allen Gewerkschaftsgruppen für die erarbeiteten Vorschläge, Hinweise und auch Kritiken zur bisherigen und zukünftigen Arbeit der Gewerkschaftsorganisation zu bedanken. In vielen Fällen ist es uns bisher nicht gelungen, unsere Auffassung zu den zahlreichen Ideen und Positionen mitzuteilen.

Trotz der gegenwärtig zugespitzten Lage können wir einschätzen, dass unsere Vertrauensleute, Abteilungsgewerkschaftsleitungen und alle anderen Gewerkschaftsfunktionäre sich ehrlich um die Erneuerung der Gewerkschaftsarbeit bemühen und deutlich wird auch, dass Ihnen die Arbeit nicht leicht gemacht wird.

Zu den Forderungen des "Offenen Briefes" vertreten wir folgenden Standpunkt:

Zu 1.: Es gibt sowohl in der Gewerkschaftsgruppenarbeit wie auch der Tätigkeit der Abteilungsgewerkschaftsleitungen und der BGL vieles besser zu machen. Ob die bisherige Arbeit allerdings als "nicht massenwirksam" beurteilt werden kann, ist nicht zuletzt auch Angelegenheit jedes Vertrauensmannes sowie aller Mitglieder. Wir erinnern daran, dass die vergangenen Gewerkschaftswahlen in unserem Betrieb gerade neun Monate zurückliegen und mit guten Ergebnissen abgeschlossen wurden. Neuwahlen werden nach unseren Vorstellungen voraussichtlich im Februar 1990 begonnen, dann allerdings schon auf der Grundlage einer neuen Satzung und Wahlordnung So lange sollten wir alle Geduld aufbringen, um zwischenzeitlich sowohl die BKV-Diskussion vorzubereiten als auch die Maßnahmen zu realisieren, die im Interesse aller Kolleginnen und Kollegen nicht weiter aufgeschoben werden können. Sollten trotzdem Neuwahlen gefordert werden, stellen wir uns natürlich entsprechend der Satzung des FDGB dieser Aufgabe - von der Gewerkschaftsgruppe bis zur Revisionskommission der Gewerkschaftsgrundorganisation.

Zu 2.: Unsere uneingeschränkte Zustimmung.

Zu 3.: Auf der VVV am 21. Dezember 1989 erfolgt die öffentliche, schriftliche Rechenschaftslegung über die Verwendung der finanziellen Mittel der Betriebsgewerkschaftsorganisation. Jeder Vertrauensmann sollte damit offensiv arbeiten. Die Verwendung der finanziellen Mittel der Gewerkschaften wurde durch den Bundesvorstand des FDGB in den Tageszeitungen veröffentlicht.

Zu 4.: Das Angebot mit Ferienreisen für vier und mehr Personen entspricht nicht der Nachfrage. Durch den FDGB-Feriendienst sind gegenwärtig umfangreiche Rekonstruktionsmaßnahmen zur Erhöhung des Angebotsniveaus sowie zur Erweiterung der Aufenthaltsmöglichkeiten für Familien mit Kindern in Durchführung, die allerdings nicht kurzfristig abgeschlossen werden können. Das betriebliche Ferienplatzangebot umfasst 1990 181 Reisen für vier Personen (einschließlich Aufbettung) und ist gegenüber 1989 um rund 30 Reisen zurückgegangen. Die Forderung der Gewerkschaft war, eine Erhöhung zu realisieren. Durch Vertragsaufkündigungen durch Betriebspartner einerseits und Neuschlüssen von Verträgen andererseits wurde das Problem trotz allem nicht gelöst. Mit dem "Haus Wieseneck" konnten davon 18 Ferienreisen für vier Personen ermöglicht werden. Insgesamt verfügt unser Betrieb über ein sehr umfangreiches Angebot, obwohl noch mancher Wunsch offen bleibt.

- Die Nachfrage für die Nutzung des "Hauses Wieseneck" für den Zeitraum April bis Oktober 1990 sind mittlerweile herausgegeben. Dies war durch eine Reihe überbetrieblicher Schwierigkeiten (Aufzugsendmontage, Festlegung der Öffnungszeiten für die öffentliche Gaststätte mit Zustimmung des örtlichen Rates) nicht anders möglich. Darüber hinaus sind die Mitglieder der Ferienkommission, auch eurer AGL, informiert und bereit, diese Informationen weiterzugeben.

- Die Höhe der eingesetzten finanziellen Mittel für das Ferien- und Erholungswesen beträgt laut BKV 1989 insgesamt 873,3 TM. Die Verwendung wird mit der BKV-Rechenschaftslegung im Januar 1990 abgerechnet. Sie liegt gegenwärtig noch nicht vor.

Zu 5. Diese Forderung ist berechtigt und wird bereits seit Bestehen des FDGB entsprechend der Finanzrichtlinie praktiziert. Der VVV wird am 21. Dezember 1989 der Vorschlag unterbreitet, die Gesamteinnahmen für Solidarität innerhalb unserer Grundorganisation zu verwenden, das heißt, keine weitere Abführungen an den Bundesvorstand des FDGB vornehmen zu lassen. Dazu ist ein gesondertes Solikonto für die Betriebsgewerkschaftsorganisation einzurichten, dessen Stand öffentlich bekannt zu geben ist und deren ordnungsgemäße Verwaltung durch die gewerkschaftliche Revisionskommission kontrolliert werden soll. Die Verwendung der geplanten Mittel erfolgt nach Bestätigung eines neu zu erarbeitenden Finanzplanes 1990.

Zu 6.: - die Einhaltung der Arbeitszeit durch alle Werktätigen ist generell durchzusetzen. Dafür tragen die staatlichen Leiter, aber auch jeder Werktätige Verantwortung.

- Die Überprüfung personengebundener Gehälter und Löhne ist ständig gegeben. Es geht darum, schrittweise, das heißt ohne Nachteil der betroffenen Werktätigen, im Rahmen der Weiterführung der Produktivlöhne ungerechtfertigte Disproportionen abzubauen. Dazu gibt es entsprechende Festlegungen innerhalb des Betriebes und gesetzliche Regelungen, die jedoch auch personengebundene Gehälter für bestimmte Werktätige gestatten. Die Offenlegung der Namen ist eine Forderung, die keiner Rechtsgrundlage entspricht, sie verletzt darüber hinaus auch Vertraulichkeitsprinzipien.

- An einer Vereinbarung zur Verwendung des verfügbaren und geplanten Lohnfonds wird gegenwärtig gearbeitet. Es gibt dazu unterschiedliche Auffassungen zwischen der BGL und dem Betriebsdirektor, die in nächster Zeit geklärt werden müssen. Niemand hat zeitlich dadurch finanzielle Nachteile.

R(...), BGL-Vors.

aus: DMW Report, 26, 20. Dezember 1989, VIII Jahrgang, Betriebszeitung des VEB Düngemittelwerk Rostock, Herausgeber: VEB Düngemittelwerk Rostock

Δ nach oben