Verhinderte Werke an die Öffentlichkeit

Vorschläge für erneuerten Schriftstellerverband

Angesichts der politischen Veränderungen in der DDR erkennen wir die alten Strukturen im Schriftstellerverband der DDR nicht mehr an.

1. Der Verband muss künftig vollkommen unabhängig und allein vom mehrheitlichen Willen seiner Mitglieder getragen sein. Er darf nie mehr durch kaderpolitische Verquickung von Parteifunktionen und Verbandsmandaten ein abhängiges Vollzugsorgan einer Partei und ihrer Kulturpolitik sein.

2. Der außerordentliche Kongress muss den Verband programmatisch, strukturell und personell erneuern. Er muss den Willen zur Erneuerung auch nach außen dokumentieren. Deshalb sollte er auf ein erhöhtes, von Funktionären dominiertes Präsidium verzichten und stattdessen wechselnde, Themenbezogene Tagungsleitungen wählen. Die Rednerliste sollte per Los während des Kongresses festgelegt werden.

Die Redezeit ist zu beschränken. Zu dem Kongress sollten alle ehemaligen Mitglieder des Verbandes, die die DDR aus kulturpolitischen Gründen verlassen haben oder verlassen mussten, eingeladen werden und Rederecht erhalten, damit auf diesem Kongress auch die Verbandsgeschichte kritisch aufgearbeitet werden kann.

3. Der Mitgliederbestand muss offen gelegt und überprüft werden. Mitglied darf künftig nur bleiben, wer dem neuen Statut entspricht, also Verfasser künstlerischer Werke aller Genres und literarische Übersetzer. Andere verbandsfremde, in den letzten Jahrzehnten aufgenommene Mitglieder sollten ohne Ausnahme aus der Mitgliedschaft entlassen werden.

4. Der Apparat des Verbandes sollte verkleinert werden, bürotechnisch effizienter ausgerüstet sein und sich der organisatorischen Arbeit widmen.

Er muss jederzeit von der Basis kontrollierbar sein. Die Mitarbeiter des Apparates sind nicht weiterhin Mitglieder des Verbandes.

5. Der Verband sollte beraten, ob er, zusammen mit anderen Künstlerverbänden, der Mediengewerkschaft Kunst beitritt.

6. Der Verband sollte sich dafür einsetzen, dass die in den vergangenen Jahren durch die postsche Kulturpolitik verbotenen oder behinderten Werke mit den dazugehörenden Gutachten im Anhang veröffentlicht werden. Dazu ist es erforderlich, dass

a) die entsprechenden Akten der ehemaligen Zensurbehörde (Literaturabteilung der Hauptverwaltung für Verlage und Buchhandel) gesichert werden,

b) von den Nachlassverwaltern des aufgelösten MfS/ANS die Akten der Abteilung Literatur eingefordert werden und deren Arbeit offen gelegt wird,

c) die Abteilung Kultur des ehemaligen Zentralkomitees der SED alle einschlägigen Unterlagen übergibt, die Schriftsteller betreffen.

7. Das Büro für Urheberrechte muss aufgelöst und durch eine AWA für Wortrechte ersetzt werden.

8. Wir fordern die leitenden Gremien des Verbandes auf, bis zum außerordentlichen Kongress keine weitreichenden verbandspolitischen Entscheidungen ohne Befragung der Mitglieder zu treffen.

9. Wir fordern, dass auf der am 23.1.1990 stattfindenden Wahlberichtsversammlung des Berliner Bezirksverbandes statt eines Vorstandes ein Arbeitsausschuss gewählt wird, der den Bezirksverband Berlin bis zum Kongress vertritt. Für die Wahl des Arbeitsausschusses gilt die vorbereitete Wahlordnung. Ein neuer Berliner Bezirksvorstand sollte nach dem Kongress auf der Grundlage neuen des Statuts und der neuen Wahlordnung gewählt werden.

Alle Mitglieder des Verbandes, die diesen Vorschlägen zustimmen, bitten wir um ihre Unterschrift. Unterschriftswillige Kollegen melden sich bei Wolfgang Landgraf, Tel. (...) Joachim Walther, Tel. (...)

Berlin, den 20.12.1989

Eine Gruppe Berliner Autoren

aus: Neue Zeit, 45. Jahgang, Ausgabe 304, 28.12.1989, Tageszeitung der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands

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