Unabhängiger Interessenverband "Demokratische Bildung und Erziehung":

Für pädagogische Freiheit

Der Unabhängige Interessenverband ist eine parteiunabhängige Vereinigung von Lehrern, Erziehern, Wissenschaftlern, Schülern, Eltern und allen Bürgern, die sich nach Jahrzehnten diktatorischer Anmaßung, parteipolitischer Indoktrination und Repression für eine grundlegende Demokratisierung und reformpädagogische Erneuerung des Bildungswesens in der DDR einsetzen.

Demokratisch-pluralistische Erziehung, kontroverse Diskussion in und außerhalb der Erziehungseinrichtungen haben nur dann eine Chance, wenn in der gesamten Gesellschaft die Bürger- und Menschenrechte vor staatlicher Willkür geschützt, soziale Gerechtigkeit und gleiche Bildungschancen angestrebt und Interessengegensätze sowie politische Konflikte offen, demokratisch und gewaltfrei im Rahmen rechtsstaatlicher Verhältnisse ausgetragen werden. Das erfordert Toleranz gegenüber Andersdenkenden und die im Geiste der Aufklärung politisch offensive Bekämpfung von totalitärem, undemokratischem, neonazistischem und neostalinistischem Denken und Handeln. Das setzt die Bereitschaft einer wachsenden Zahl von Bürgern voraus, selbst aktiv zu werden, politische Verantwortung zu übernehmen und damit insbesondere gegenüber der Jugend als positives Beispiel zu wirken.

Der Interessenverband setzt sich dafür ein, dass es vorrangiges Ziel der Erziehungseinrichtungen der DDR sein muss, Kinder und Jugendliche zu mündigen Bürgern zu erziehen, die zur Übernahme politischer und sozialer Verantwortung bereit sind. Heranwachsende sollen lernen, Konflikte und Interessengegensätze auszuhalten, zwischen demokratischem Verfassungsanspruch und Verfassungswirklichkeit zu unterscheiden und für ihre eigenen Interessen im Rahmen demokratischer Äußerungsmöglichkeiten einzustehen. Sämtliche Erziehungseinrichtungen haben die Aufgabe, alle wertvollen Anlagen und Begabungen der Kinder und Jugendlichen zur vollen Entfaltung zu bringen und ihnen ein höchstmögliches Maß an Urteilskraft, umfassendem Wissen und Können zu vermitteln.

Der Interessenverband geht davon aus, dass Schule und Erziehung nicht unstreitig machen können, was zwischen verschiedenen Menschen und Interessengruppen oder auch zwischen verschiedenen Ländern strittig ist. Daraus folgt, dass sich Schule und Unterricht dem offenen Dialog und der streitbaren Auseinandersetzung immer wieder öffnen müssen. Erziehung in der Schule muss folglich vom Prinzip des kontroversen Denkens getragen sein. Es geht von einem in jeder Gesellschaft vorhandenen Pluralismus der Meinungen aus, von denen keine für sich allein den Anspruch erheben kann, den einzig wahren Kanon von Argumenten und Werten zu repräsentieren.

Der Interessenverband setzt sich für die pädagogische Freiheit ein, die die Freiheit der Entwicklung eine, jeden Kindes ermöglichen soll. Pädagogische Freiheit bedeutet, dass der Lehrer die ihm anvertrauten Schüler unterrichtet und erzieht, ihre Leistungen gemäß seiner fachlichen Ausbildung und in eigener Verantwortung beurteilt.

Pädagogische Freiheit findet ihre Grenzen in den entsprechenden demokratisch legitimierten bildungspolitischen Vorschriften, den Beschlüssen der Lehrerkonferenz, sowie in den Beschlüssen der Schüler- und Elternvertretungen. Ihre innere, pädagogisch begründete Einschränkung findet die pädagogische Freiheit des Lehrers darin, dass er seine persönliche Meinung und Überzeugung nicht für die Schüler verbindlich und über Zensierung und andere Machtmittel manipulativ oder indoktrinierend durchsetzen darf. Allgemein gilt für die erzieherische Arbeit, dass Erziehung zur Freiheit nur möglich ist, wenn Lehrer und Erzieher selbst in pädagogischer Freiheit wirken können.

Christiane Zschomler

aus: Deutsche Lehrerzeitung, 09/90, 4. Februarausgabe

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