Aufruf namhafter Professoren:

Gründung einer Gesellschaft für politische Wissenschaften

Zur Gründung einer "Gesellschaft für politische Wissenschaften der DDR" rufen Gesellschaftswissenschaftler unseres Landes in einem Schreiben auf, das sie der Redaktion "Neues Deutschland" übergaben. Der Aufruf trägt die Unterschriften von Prof. Dr. Uwe-Jens Heuer (Akademie der Wissenschaften), Prof. Dr. Rolf Reißig (Akademie für Gesellschaftswissenschaften), Prof. Dr. Dieter Sesert und Prof. Dr. Rosemarie Will (beide Humboldt-Universität).

Die Politik sei in unserem Land bis vor kurzem ein Bereich gewesen, der wissenschaftlichen Analysen weitgehend entzogen war, heißt es darin. Ansätze einer soliden wissenschaftlichen Forschungsarbeit habe es allerdings auf verschiedenen Gebieten gegeben. "Jetzt hat sich eine neue Situation in der Gesellschaft herausgebildet, deren Chancen wir nutzen wollen. Moderner Sozialismus benötigt mit Kompetenz betriebene politische Wissenschaften. Staat und Gesellschaft bedürfen der wissenschaftlichen Politikberatung. Wir rufen die sich als Politikwissenschaftler verstehenden Gesellschaftswissenschaftler verschiedener Disziplinen dazu auf, sich in einer Gesellschaft für politische Wissenschaften zusammenzuschließen."

Diese Gesellschaft wolle für eine freie Entwicklung politischer Theorien und für eine sozialverantwortliche Politikberatung wirken und stelle sich dafür folgende Aufgaben:

erstens: den Dialog zwischen Politikwissenschaftlern unseres Landes zu führen, die sich von verschiedenen weltanschaulichen Grundstandpunkten aus einem menschlichen und demokratischen Sozialismus verpflichtet fühlen;

zweitens: die Herausbildung und Entwicklung einer empirischen Politikforschung (intersystemarer Rechts- und Politikvergleich, politische Soziologie und politische Psychologie) und moderner Theorien von der Politik nach Kräften zu unterstützen;

drittens: das fachliche Niveau der Politikwissenschaft in der DDR deutlich zu heben, dazu gehört eine radikale Verbesserung der politikwissenschaftlichen Ausbildung an den Universitäten, die Weiterbildung für Lehrkräfte und die Herausgabe bisher unveröffentlichter Standardwerke der Politologie. Unverzichtbar ist die Gründung einer eigenen Zeitschrift für politische Wissenschaften;

viertens: die wissenschaftliche Zusammenarbeit von Politikwissenschaftlern in Ost und West, unter anderem zwischen Wissenschaftlern der DDR und der BRD, der DDR und der UdSSR zu unterstützen, sowie befähigten jungen Politikwissenschaftlern bei der Anbahnung von Studienaufenthalten im Ausland zu helfen.

Die Unterzeichner des Aufrufes schlagen vor, dass sich diese Gesellschaft, die individuelle und kollektive Mitglieder haben wird, im Februar 1990 in Berlin gründet.

aus: Neues Deutschland, Jahrgang 44, Ausgabe 301, 22.12.1989, Zentralorgan der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands

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