Auch die Jugend am "runden Tsch"?

Neue Jugendorganisationen in der DDR. Heißt das Auseinanderrennen? Für die NZ befragte Anke S(...) den Vertreter der JULIA

NZ: Jörg R(...), Sie arbeiten mit im Gründungsausschuss der "Jungliberalen Aktion" (JULIA), der sich Ende November 1989 in Berlin konstituiert hat. Anfang des Jahres 1990 soll dann der Gründungskongress stattfinden. Wo steht JULIA?

J. R(...): "Jungliberale Aktion", das ist der vorläufige Name eines selbständigen, der Liberaldemokratischen Partei Deutschlands (LDPD) nahestehenden Jugendverbandes. Wir sind aber kein Jugendverband der LDPD, wollen außerhalb der Parteistrukturen bleiben, denn wir halten eine gewisse Opposition auch gegenüber der eigenen Partei durchaus für produktiv. Wir wollen in die Jugendarbeit liberales und humanistisches Denken und Handeln einbringen, treten für einen grundlegend erneuerten Sozialismus in der DDR ein. Wir sind für eine Jugendpolitik von unten, offene Weltsicht, gegen Stalinismus, für Antifaschismus, eine gesunde Umwelt, eine waffenfreie Welt, um nur einige Aspekte zu nennen.

Bis vor wenigen Wochen waren Sie noch gewähltes Mitglied des Zentralrates der Freien Deutschen Jugend (FDJ), des bisher einzigen Jugendverbandes in der DDR. Er hatte sich auf die Fahnen geschrieben, Interessenvertreter aller Jugendlichen zu sein...

Ja. Doch in Wirklichkeit konnte sich die FDJ dazu nie durchringen. Unbedingte Freiwilligkeit und Unabhängigkeit von Parteien war zwar die Rahmenbedingung bei ihrer Gründung 1946, doch beide Grundsätze sind nicht eingehalten worden. Zum Beispiel ist die FDJ laut Statut Kampfreserve der SED. Auch wenn sie diesen Passus ändern will, hinkt die FDJ den Erneuerungsbestrebungen in der DDR jetzt hinterher. Sie hat die Bewegung nicht geführt, obwohl es nachweislich viele junge Menschen gewesen sind, die für den jetzigen Umbruch in der DDR auf die Straße gegangen sind.

Also ist die Gründung der "Jungliberalen Aktion" eine Antwort auf das Versagen der FDJ?

Auch, aber nicht nur. Ich persönlich bin der Meinung, dass ein einziger Verband die Interessen aller Jugendlichen nicht vertreten kann, ganz objektiv nicht. Ein Christ denkt doch in einigem anders als ein Kommunist, ein Liberaler stellt wieder anderes in den Vordergrund. Eigene Strukturen, die eigenes Denken ermöglichen - eigene Ziele und sich mit diesen dem Wettbewerb stellen, das ist produktiv.

Bisher gibt es im Parlament der DDR eine eigene FDJ-Fraktion, die die Jugend der DDR vertreten sollte. Nun gibt es das Argument, wenn die Jugend sich in viele Organisationen zersplittere, gäbe es keine Möglichkeit der Interessenvertretung im Parlament mehr.

Ich bin sowieso der Meinung, Organisationen haben im Parlament nichts zu suchen. Ich denke, die Jugendlichen müssten ordentlich Dampf machen, damit sich die Fraktionen der Parteien im Parlament generell verjüngen. Wir jedenfalls werden ganz energisch dafür sorgen, dass junge Leute in der LDPD-Fraktion vertreten sind.

Wie wollen Sie der Gefahr entgegentreten, dass nun jede der neuen Jugendorganisationen nur ihr eigenes Süppchen kocht? Oder andersherum - weiche Möglichkeiten der Zusammenarbeit sehen Sie?

Es wird viele politische und Sachfragen geben, bei denen wir mit anderen Jugendorganisationen, auch mit der FDJ, zusammenarbeiten werden. Nehmen wir nur das Thema Neofaschismus, gegen den wir gemeinsam auftreten müssen. Gemeinsame Aktionswochen aus konkreten Anlässen könnten zeigen, dass die Bildung neuer Jugendorganisationen nicht gleichbedeutend mit "Auseinanderrennen" ist. Ein ständiger "runder Tisch" als Ort des Gedankenaustauschs, bei dem auch die der Jugend gemeinsamen Interessen diskutiert werden, wäre für mich im Moment die angebrachte Form der Zusammenarbeit.

aus: nz, Neue Zeitung Berlin West, Nr. 4, 06.12.1989, 1. Jahrgang

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