Aktionsbündnis für eine sozialistische Alternative

Im Gespräch mit Dr. Thomas Klein, Vereinigte Linke

Dr. Thomas Klein ist einer der Berliner Sprecher der Initiative Vereinigte Linke (VL) und vertritt dieses basisdemokratische Aktionsbündnis am zentralen Runden Tisch. Dem heute 41 jährigen Mathematiker, der als Preisbearbeiter beim Möbelkombinat Berlin tätig ist, wunde nach der Promotion die bereits zugesicherte Stelle als wissenschaftlicher Assistent an der Humboldt-Universität verweigert, weil er eine Reform des marxistisch-leninistischen Grundlagenstudiums gefordert hatte. Klein gehört zu jenen alternativen DDR-Linken, die ins Feindraster des Mielke-Apparats gerieten, da sie Kontakte zu Gleichgesinnten für eine Kampagne gegen Berufsverbote für Kommunisten in West und Ost inner- und außerhalb der DDR suchten. Die Folge: Verurteilung wegen "ungesetzlicher Verbindungsaufnahme" zu 15 Monaten Freiheitsentzug. Ein Mann, vor dem Thomas Klein Hochachtung empfindet und dessen politischen Instinkt bei der Vertretung politisch Verfolgter er damals bewunderte: Sein einstiger Strafverteidiger Dr. Gregor Gysi. Auch wenn der PDS-Vorsitzende, wie Klein meint im Dezember 1989 nicht die Kraft aufgebracht habe, sich mit der starken und handlungsbereiten Basis seiner Partei zusammenzutun und den alten Apparat auszuschalten.

Mit Thomas Klein sprachen die ND-Redakteure Elke Schmidtk und Dr. Klaus Steiniger.

Wie ist die Vereinigte Linke eigentlich zustande gekommen? Was will sie? Und wer gehört dazu?

Also - zunächst einmal: Wir zählen zu jenen, die sich ihren Wahlkampf nicht aus dem Westen bezahlen lassen oder ihn mit Personen von dort bestreiten.

Unser Projekt entstand im Sommer 1989 - noch unter konspirativen Bedingungen und in linker Opposition zum politbürokratischen System. Nicht wenige, die sich damals zur Mitarbeit in der VL entschlossen, waren durch stalinistische Methoden alarmierte SED-Mitglieder, die ein Risiko eingingen.

Die Verschärfung der Krise des früheren Regimes beschleunigte die Herbeiführung einer Übereinkunft zwischen unterschiedlichen linken Kräften. Seit September entwickelte sich dann ein breites Aktionsbündnis. Der gefundene Konsens - er wurde in der Böhlener Plattform zum Ausdruck gebracht - beruhte auf der vollen Wahrung der Eigenständigkeit aller Strömungen: Gruppen unabhängiger Sozialisten in der DDR Gruppen organisierter Marxisten, linksstehende Christen u. a. aus der "Kirche von unten" Kommunisten, darunter auch solche, die noch der PDS angehören, u. a. Hinzu kamen assoziierte Gruppen, die zwar nicht in der VL aufgegangen sind, aber eng mit ihr zusammenarbeiten, z. B. die Autonomen Antifa-Gruppen in Berlin. Inzwischen besitzt unser landesweiter Zusammenschluss ein Statut, das alle Fragen der Mitgliedschaft exakt regelt. Vor allem ist die Mitarbeit in einer der ständigen Arbeitsgruppen oder in einer zeitweiligen Projektgruppe Bedingung.

Am 10. Februar wird die 2. Landesdelegiertenkonferenz der VL die Programmdiskussion abschließen. Wir sehen uns als ein linkes Aktionsbündnis für die Beförderung einer sozialistischen Alternative zu Kapitalismus und Stalinismus, das auf den Zusammenschluss auch mit demokratischen Kräften gerichtet ist, die über die Linke hinausreichen.

Meinen Sie nicht, dass diesem Projekt inzwischen erhebliche Gefahren drohen - wenn Sie z.B. an die Leipziger Montagsdemos denken?

Apropos Leipziger Demos: Die Szenarien für diese Aufmärsche werden letzt auch von Kräften in der BRD entworfen, die uns keineswegs nahestehen. Inzwischen hat hierzulande ein Prozess eingesetzt, der die Linke in die Defensive brachte. Die Leute vom Oktober sind kaum mehr auf der Straße. Andere beherrschen mittlerweile die Szene. Sie fordern die Angliederung an die BRD, wobei wir meinen, dass es noch nicht sicher ist, ob es wirklich einen Konsens der DDR-Bevölkerung für die Vereinigung gibt. Natürlich wäre es ein grober Fehler, jeden, der für den Zusammenschluss der beiden deutschen Staaten ist, als Rechten zu betrachten. Aber - die rechte Gefahr nimmt zu.

Der beste Schutz gegen solche Tendenzen ist nicht der polizeiliche Staatsschutz, sondern eine von unten getragene breite Bewegung, die die Gesellschaft tatsächlich immun macht.

Im übrigen hat der Rechtsradikalismus in der DDR den Menschen keine handhabbare Alternative zu bieten. Er beschränkt sich auf die Ausländerproblematik, schürt Hass auf die Linke und stellt die Nachkriegsgrenzen in Frage. Man kann gegen solche Strömungen am meisten tun, indem man sich in den die ganze Bevölkerung bewegenden Fragen klar positioniert.

Welche soziale Zielgruppe hat die VL eigentlich vor allem im Auge?

Wir setzen uns besonders für die entschiedene Verteidigung der Interessen der Werktätigen ein vorrangig in den Betrieben. Deshalb unterstützen wir die Bildung von Betriebsräten, die wir angesichts der derzeitigen Agonie der Gewerkschaften als Selbstschutzorgane der Belegschaften betrachten. Allgemein herrscht eine erhebliche soziale Verunsicherung, die sich auch daraus ergibt, dass viele Direktoren ihnen anvertraute Betriebe als ihr Eigentum betrachten. Wir sind für die Kontrolle der staatlichen Leitung bzw. der Aufsichtsräte künftiger gemischter Betriebe. Wir sind für echte Mitbestimmung der Werktätigen, wobei das Eigentümerbewusstsein am besten über Betriebsräte realisiert wird. Diese sind nicht mit gleichnamigen Vertretungskörperschaften in BRD-Unternehmen vergleichbar. Im übrigen bedauern wir die Konfrontation der Gewerkschaften mit uns in der Betriebsrätefrage und stellen klar: Wir sind für starke Gewerkschaften, die die Interessen der Werktätigen vor dem eigenen Betrieb - schützen, während die Betriebsräte im Interesse der Werktätigen die Unternehmenspolitik mitbestimmen sollen.

Gegen den Wirtschaftskurs der Regierung hat die VL so ihre Bedenken - oder?

Wir haben schon im November/Dezember unseren Standpunkt deutlich gemacht und gefordert, eine dazu nicht legitimierte Regierung solle bis zu den Wahlen keine tiefen Einschnitte in die Wirtschafts- und Sozialstrukturen vornehmen. In der DDR ist ja nicht die Planwirtschaft gescheitert, sondern lediglich ein als "Planung" getarntes System bürokratischer Kommandowirtschaft.

Entschieden sind wir gegen eine Reprivatisierung der Kombinate in der DDR, wie sie Herrn Schnur vom Demokratischen Aufbruch vorschwebt. Strukturelle Arbeitslosigkeit darf bei uns nicht zugelassen werden.

Die VL lehnt den Modrow-Plan "Deutschland, einig Vaterland" eindeutig ab. Sie haben sogar Ihren Minister aus der Regierung der nationalen Verantwortung wieder zurückgezogen. Warum?

Wir treten ein für die Verteidigung der Souveränität der DDR gegenüber allen Forderungen nach einer schnellen "Wiedervereinigung" als Angliederung an die BRD. Damit verteidigen wir die Chance einer wirklichen Alternative zum Kapitalismus im Sinne einer Gesellschaft der sozialistischen Freiheit und Demokratie. Modrows Position lehnen wir ab. weil sie die Grenzen linker Politik gleich mehrfach überschreitet. Erstens würde eine Wirtschafts- und Währungsunion mit der BRD sofort zwei Drittel der DDR-Betriebe ruinieren und eine soziale Katastrophe heraufbeschwören. Außerdem würde das politische Gleichgewicht in Europa zerstört. Und immerhin hat Westeuropa bei viel geringerem Produktivitätsgefälle bis heute keine Währungsunion erreicht. Zweitens nährt eine solche Position nur die völlig illusionäre Vorstellung vieler Leute bei uns, der Direktanschluss an das BRD-Währungsgebiet werde automatisch bundesdeutschen Lebensstandard in die DDR transponieren.

Schließlich - die Regierung hat, statt Basisdemokratie in Krisenzeiten als Stütze parlamentarischer Demokratie zu betrachten, erneut den Runden Tisch überfahren und ihre Position ohne jede Beratung mit ihm markiert.

Wir sind entschieden für eine Vertragsgemeinschaft, besonders unter dem Gesichtspunkt der Verantwortung beider deutscher Staaten für Europa. Wir sind für die Auflösung der Militärblöcke im Ergebnis von Entspannung und Abrüstung. Übrigens - die Neutralität Deutschlands ohne Entmilitarisierung würde nicht ausreichen, um Europa das Gefühl der Sicherheit zu geben. Aus unserer Sicht ist die Vereinigungsfrage noch lange nicht ausgefochten. Man darf nicht gleich die Flinte ins Korn werfen. Wir stehen nach wie vor auf dem Standpunkt: Zwei Staaten - eine Nation. Wir sind mehr denn je für ein breites Bündnis aller Linkskräfte nicht nur zur Wahl, sondern auch, um die Chance der eigenständigen Entwicklung unseres Landes offenzuhalten.

Sie gehen also in den Wahlkampf, obwohl die VL mit dem vorgezogenen Abstimmungstermin ja nicht ganz glücklich war?

Wir waren für eine Personalregierung bis zum 6. Mai und trugen den in dieser Frage erzielten Kompromiss der Opposition mit. Modrow hat eine "Doppelherrschaft" der Regierung und des Runden Tisches abgelehnt und die Wahlen mit Unterstützung vor allem der SPD vorverlegt. Wir werden an ihnen teilnehmen, denn die Tatsache, dass wir basisdemokratische Initiativen für die Entwicklung aller Formen von Volkssouveränität unterstützen, bedeutet nicht, dass wir antiparlamentarisch waren. Wir kämpfen um Vertrauen und Resonanz für unsere Positionen. Als Bündnispartner sehen wir vor allem die demokratische Bürgerbewegung, die in diesen Tagen unseren Positionen nahestehen.

Direkt gefragt - wie steht`s mit der PDS?

Wir sehen viele Kräfte an der Basis dieser Partei, mit denen wir zusammenwirken können. Aber die PDS hat den Sprung im Dezember nicht geschafft, sie war außerstande, sich von ihrem alten Apparat und ihren Strukturen zu trennen. Eine Partei, die das große linke Potential an ihrer Basis neutralisiert, kann für uns als Partei kein Bündnispartner sein. Im Oktober lautete die Losung noch: Für einen neuen Sozialismus. Diese Parole hat sich leider nicht positiv realisieren lassen.

aus: Neues Deutschland, 45. Jahrgang, Ausgabe 33, 08.02.1990. Die Redaktion wurde 1956 und 1986 mit dem Karl-Marx-Orden und 1971 mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold ausgezeichnet.

Δ nach oben