Feine Aussichten . . .

Es gibt viele runde Tische, und es gibt runde Tische, die meist eckig sind, wie die Debatten, die an ihnen geführt werden. So ein runder Tisch tagte vergangenen Donnerstag im Forum, und wir wollen hier mal von der unabhängigen Berichterstattung der "freien presse" absehen und unsere eigene Sicht auf einige Dinge darstellen.

Nach den Ausführungen des Regierungsbeauftragten Riedel über den Stand der Auflösung der ehemaligen Stasi/Nasi und der Debatte darüber folgte ein Bericht des Arbeitshygieneinstituts über die Probleme des Schutzes der Werktätigen vor unzumutbaren Gesundheitsbelastungen. Der nicht gerade aufmunternde Bericht über die Situation der Werktätigen in den am meisten umweltschädigenden Betrieben ließ die darauf folgende Unterstützung des Runden Tisches für die Arbeit des Arbeitshygieneinstituts angesichts unserer gespannten Wirtschaftslage nur zu dringlich erscheinen. Um so befremdlicher ist es, wenn die CDU und der DA dem Antrag auf Erweiterung der Vollmachten des AHI im Interesse des Schutzes der Werktätigen nicht zustimmten. Und das mit der ominösen Begründung, dass solche Probleme in Zukunft durch die freie Marktwirtschaft wie von selbst gelöst würden. Treten diese beiden Parteien für Ruß und Dreck in den Betrieben ein? Und das mit einer Programmatik, die sozial und ökologisch sein soll.

Der Antrag der Arbeitsgruppe Ökonomie auf Sicherung des Rechts auf Arbeit für Behinderte, Rehabilitanden, Schwangere und Personen, die besonderen Schutz bedürfen, wurde zurückgestellt mit der Forderung der Überarbeitung. Denn: Noch gilt das AGB, und noch sind solche Forderungen wie "Einstellung von Behinderten auf Probe zulässig" unsozial. Unserer Auffassung nach können Behinderte nicht pauschal an einer vom Markt diktierten Leistung gemessen werden. Einen Leistungsdruck könnten gerade sie noch schwerer verkraften. Eine solche Klausel reduziert Behinderte auf ihre Arbeitskraft und führt perspektivisch zu ihrer weiteren Ausgrenzung. Außerdem birgt ein Passus über eine grundsätzliche Möglichkeit der Probeeinstellung die Gefahr der sofortigen Praxis dessen.

Wir geben beim Überarbeiten der Forderungen zu bedenken, dass die Behinderten gleiche Rechte beanspruchen und zusätzlich unseren Schutz brauchen. Überleitend dazu ist es fatal, dass der Antrag der Gewerkschaften auf Mitspracherecht am Runden Tisch im Bezirk abgelehnt wurde (Grüne Partei, PDS, NDPD und VL stimmten dafür).

Gerade die Gewerkschaften sind die einzige Kraft, die die Interessen der Behinderten und aller anderen Werktätigen vertreten müssen. Natürlich war das nicht alles, was in den 6 1/2 Stunden beraten wurde. Aber angesichts der allseitig heraufbeschworenen Marktwirtschaft finden wir es als allerwichtigstes, mal genau hinzusehen, wie sich das die einzelnen Parteien vorstellen mit der sozialen Sicherheit.

aus: freie presse, Nr. 43, 20.02.1990, 28. Jahrgang, Karl-Marx-Stadt