Plattform zur Erneuerung der Vereinigten Linken (VL)

Innerhalb der VL hat sich eine "Plattform zur Erneuerung der Vereinigten Linken" konstituiert. Wir dokumentieren im Folgenden das Positionspapier

Die VL ist in eine existenzielle Krise geraten. Ihre Mitgliederzahl ging drastisch zurück, die Arbeitsfähigkeit an vielen Orten ist gefährdet. Noch schlimmer ist, dass es zur Zeit kein gemeinsames politisches Selbstverständnis mehr gibt, was auf der Dresdener Konferenz der Ratlosigkeit überdeutlich wurde. Folglich gibt es auch kein gemeinsames Handeln mehr. Das findet seinen Ausdruck in der Koexistenz miteinander unvereinbarer Taktiken zu den gesamtdeutschen Wahlen. Früher oder später muss das zu Spaltung oder Zerfall führen.

Was wurde falsch gemacht?

Die VL war der Versuch, antistalinistische Sozialistinnen aus verschiedenen Tendenzen mit dem Ziel zusammenzubringen, die DDR in eine demokratische und sozialistische Gesellschaft umzuwandeln. Mit der Böhlener Plattform lag eine programmatische Selbstverständigung vor. Die Erklärung vom 13. Oktober (1989, Red.) und die Ergebnisse der Gründungskonferenz im November waren praktisch ein Aktionsprogramm. Es fehlte auch nicht an kühnen Ideen wie dem Vorschlag für einen Volkskongress, über den die Basisbewegung eine Gegenmacht hätte aufbauen können. Alles war viel durchdachter als bei anderen Parteien. Viele sahen damals in der VL eine mögliche Alternative.

Sie wurde es nicht - sie konnte es objektiv nicht werden, weil die Stimmung ab Dezember 1989 umschlug, die radikale Basisbewegung damit versandete und die eigenen Kräfte zu schwach waren. Aber die VL hätte stärker als die Grünen werden können. Dass sie heute bedeutungslos ist, lag an ihr, weil sie sich in der Organisationsfrage nicht entschied und nur auf Ereignisse reagierte. Dadurch wurde zwangsläufig binnen Monaten aus der großen Hoffnung eine kleine, kaum noch beachtete Gruppierung.

Auf dem Gründungskongress wurde offen gelassen, ob aus der "Initiative VL" eine Partei oder auch nur eine strukturierte Organisation werden sollte. Daraufhin kamen jene aus der SED, die einen demokratischen Neubeginn wollten, gar nicht erst oder gingen zu anderen Organisationen, weil sie das Unternehmen VL als unernst und zum Scheitern verurteilt ansahen. Aber auch die grundsätzlichen Gegner einer strukturierten Organisation konnten nicht gehalten werden. Damit verlor die VL die Chance auf einen politischen Durchbruch, hätte aber immer noch eine Gruppe von ein paar tausend Engagierten werden können. Die waren auch da, aber mussten einen Großteil ihrer Zeit endlosen Debatten und immer gleichen Informationen für jene, die zum ersten Mal kamen, widmen. Gemeinsames Handeln war unmöglich. Frustriert blieben jene zu Hause, die das an sich wollten.

Zwei-, vielleicht dreihundert Unentwegte arbeiteten weiter und hielten die Organisation mit ihrem Anspruch aufrecht. Das war nur ein paar Monate durchzuhalten. Überanstrengt, demotiviert und enttäuscht gaben viele auf. Unter diesen Bedingungen konnten kaum eigenständige Aktivitäten entwickelt werden, sondern nur wenig mehr als Verbalpolitik auf der Grundlage des Böhlener Selbstverständnisses. Diese Basis trug bis zu den Volkskammerwahlen.

Doch es gab schon damals keine gemeinsame politische Diskussion mehr. Überfällige Entscheidungen wurden nicht selten in informellen Zirkeln getroffen, um dann von eilig einberufenen Konferenzen oder Vollversammlungen abgesegnet zu werden. Da nirgendwo ein politisches Konzept für die weitere Arbeit entwickelt wurde, wurde nur noch perspektivlos agiert. Seit der Volkskammerwahl konnte keine politische Initiative mehr vorgebracht werden. Es gibt auch keine programmatischen Vorstellungen für die weitere Arbeit. Diese Frage wird nicht einmal diskutiert. Die Aktivität erschöpft sich in einigen unkoordinierten Basisinitiativen und Verhandlungen mit anderen Parteien darüber, wer welchen Teil der VL huckepack nimmt.

Bleibt eine VL nötig ?

Die VL besteht aus ein paar hundert Engagierten mit einem gemeinsamen Grundverständnis, wie es durch die auf dem VL, Gründungskongress ergänzte Böhlener Plattform umrissen wird. Diese sozialistische und damit internationalistische Position wird von keiner anderen DDR-weiten Organisation vertreten.

Die Grünen sind eine ökologische, aber sicher keine sozialistische Partei. Die Organisationen der Bürgerbewegung sind vielleicht noch teils radikaldemokratisch, aber auch nicht sozialistisch und dabei, spurlos in den Grünen unterzugehen. Die SPD will den Kapitalismus sozial erträglich machen, nicht aber überwinden. Die PDS möchte den Kapitalismus reformieren und irgendwann überwinden, setzt dabei aber in der Praxis primär auf parlamentarische Arbeit, entwickelt keine revolutionäre Perspektive und will es auch gar nicht.

Die Position der VL kann durch eine organisierte Minderheit in keiner anderen Organisation auf Dauer vertreten werden. Darum ist eine weitere eigenständige Organisierung nötig. Da es dafür politisch erfahrene Menschen in noch ausreichender, wenn leider auch nicht in sehr großer Zahl gibt, bleibt eine eigenständige und handlungsfähige Organisation möglich. Sie kann ihre programmatischen Vorstellungen klären, sozialistisches Bewusstsein verbreiten und sich außerparlamentarisch durch politische und soziale Kämpfe aufbauen. Sie wird freilich für die absehbare Zukunft recht klein bleiben. Doch ohne solche Vorarbeit in Zeiten eines Niedergangs wird es künftig keinen Aufstieg einer sozialistischen Massenbewegung geben.

Was wir Vorschlagen

Wir schlagen vor, in der VL eine Diskussion über unsere politische Zukunft zu eröffnen und Mitte Dezember auf einem Kongress die folgenden Fragen zu entscheiden:

1. Reorganisierung der VL ab sozialistische Organisation

Mitglied soll sein, wer für die VL aktiv ist ihr Programm akzeptiert und einen seinem Einkommen entsprechenden Beitrag zahlt. Die Mitglieder wählen auf allen Ebenen eine rechenschaftspflichtige Leitung. Minderheiten haben das Recht eigener Organisierung und Vertretung in Leitungen. Sympathisierende werden möglichst in die laufende Arbeit einbezogen.

2. Erarbeitung einer programmatischen Erklärung

Ausgehend von der Lage nach dem Anschluss der DDR werden die Ziele und die Taktik unserer Arbeit neu bestimmt. Geklärt wird auch unser Verhältnis zu westdeutschen Gruppierungen. Wir meinen, dass in der ehemaligen DDR noch für Jahre besondere politische und gesellschaftliche Bedingungen existieren, die zumindest eine Autonomie jener rechtfertigen, die in der ehemaligen DDR leben, auch wenn sie sich mit westdeutschen Organisationen vereinigen sollten.

3. Festlegung der nächsten Aufgaben

Ausgehend vom Stand und den Arbeitsschwerpunkten sind die nächsten Aufgaben zu bestimmen. Unser wichtigstes Ziel ist, uns in die sich abzeichnenden sozialen Verteidigungskämpfe zu integrieren.

Wir werden zu diesen Fragen Diskussionsvorschläge erarbeiten.

Wir bitten alle, die mit dieser Plattform übereinstimmen, sie mit ihrer Unterschrift zu unterstützen. Wir fordern alle auf, die anderer Meinung sind, ihre Vorstellungen auszuarbeiten. Nur aufgrund ausgewiesener Positionen kann sachlich diskutiert und demokratisch entschieden werden.

Börjn K(...) u.a.

14.10.90

aus: PROWO, Projekt Wochenzeitung, Nr. 7, 26.10.1990

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