Michael M(...)/Dominique K(...)
Arbeitsgruppe 1 (VL)

Parlamentarismus und Räteidee in einer sozialistischen Demokratie in der gegenwärtigen Phase gesellschaftlicher Entwicklung

Wir halten es für eine gefährliche Illusion, bei den in unserem Lande gegenwärtig bestehen politischen, sozialen und vor allein auch historischen Bedingungen und Voraussetzungen davon auszugeben, man könne jetzt zur Installation einer "reinen" Rätemacht übergehen.

Wir haben zur Kenntnis zu nehmen, dass bestimmt durch die konkreten Bedingungen der Entwicklung diesen Landen sowie durch das politische Kräfteverhältnis, die Hauptform der sich entwickelnden Demokratie der Parlamentarismus sein wird. Wer nicht bereit ist diese politische Tatsache anzuerkennen, verurteilt sich, selbst letztlich zum politischen Sektierertum.

Parlamentarismus also die Hauptform der Austragung von Interessenkonflikten zwischen gesellschaftlichen Gruppen - das Parlament als ein wesentlicher Ort den gesellschaftlichen Interessenausgleichs?

Natürlich wirft dies viele Fragen auf. Nicht zuletzt die nach der Vertretung der Interessen der Arbeiterschaft (Produzenten)in den künftigen Parlamenten. (Und dies personell wie Ideell - waren in den machtlosen Parlamenten vor den Reformen in Polen und der UdSSR noch zahlreiche Arbeiter vertreten, so sank deren Zahl nach freien Wahlen dramatisch - einen Fakt, welchen wir zumindest zur Kenntnis zu nehmen haben)

Die Lehren aus den Entwicklungen in Polen und Ungarn zeigen, dass unter den Bedingungen einer Wirtschaftsreform soziale Verantwortung weniger eine Frage der Moral, sondern vielmehr eine Frage der politischen Macht ist. Der sich rasch vollziehenden Verbürgerlichung von Politik und Gesellschaft kann nur politisch begegnet werden. Die Installation einen politischen Mechanismuses, der soziale Demontage verhindert, der es den Produzenten direkt ermöglicht Einfluss auf die politischen Prozesse im Lande zu nehmen, der es ermöglicht das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln gegen jegliche Angriffe zu verteidigen steht auf der Tagesordnung.

Wir schlagen daher vor: einen Kontrollrat zu installieren, der gegenüber dem Parlament kontrollierenden Funktion mit weitgehenden Vollmachten hat.

Dieser Rat besteht ausschließlich aus Arbeitern (Produzenten), die über Betriebsräte und Delegiertenkonferenzen gewählt werden könnten. Der Rat prüft alle vom Parlament verabschiedeten Gesetzentwürfe auf ihre soziale Bedeutung für die Mehrheit der Werktätigen des Landes. Der Rat ist berechtigt mit 2/3 Mehrheit Gesetzentwürfe zurückzuweisen. Er ist berechtigt selbst Gesetzentwürfe im Parlament einzubringen. Die Mitglieder des Rates sind berechtigt mit beratender Stimme an Ausschusssitzungen des Parlaments teilzunehmen.

Diese Art von Kontrollräten könnten auch auf Bezirks - (und entsprechend der sich verändernden Struktur später auf Landes-) ebene arbeiten. Die Mitglieder der Räte sind der Basis rechenschaftspflichtig. Sie worden alle zwei Jahre neu gewählt, sind jedoch bei Nichterfüllung ihrer Aufgaben auch Jederzeit abwählbar.

Wir sind uns bewusst, dass es sich bei diesem Modell nur um einen ersten Schritt zur Verwirklichung einen Machtpluralismus handelt. Er ist in der gegenwärtigen Phase politischer Entwicklung in der DDR durch die vielfältigsten Basisaktivitäten territorialer Natur, auf möglichst breiter demokratischer Grundlage zu ergänzen und erhält politischen Gewicht vor allem durch die Arbeit der Räte in den Betrieben. Dabei ist anzustreben diese Betriebsräte nicht gegen einen erneuerten FDGB, sondern gemeinsam mit ihm zu installieren und das Verhältnis Betriebsräte - Gewerkschaften unter den neuen Bedingungen konstruktiv neu zu bestimmen.

Politisch halten wir die hier skizzierten Zwischenschritte für notwendig, weil wir uns gegenwärtig in einer sehr chancenreichen, aber auch sehr gefährlichen Phase der revolutionären Umgestaltung befinden. Es gilt den Angriff sozialreformistischer und restaurativer Kräfte auf die Grundlagen sozialistischer Entwicklung abzuwehren, Grundwerte unserer Gesellschaft zu verteidigen, damit auch unsere Utopien von einem wirklichen Sozialismus noch eine Chance haben.

Dazu ist eine Zusammenarbeit aller Kräfte anzustreben, die einer sozialen Demontage zugunsten marktwirtschaftlicher Prinzipien Widerstand entgegen setzen wollen.

[ohne Datum]
aus: 1. DDR - weites Arbeitstreffen der Initiative Vereinigte Linke 25./26. November 1989, Konferenz Reader, Herausgeber: Initiative Vereinigte Linke Berlin

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