Gegen die Koalition der Unbedachten

Für inneren Frieden und soziale Sicherheit

Die Radikalisierung der politischen Szenerie nimmt zu. Die Leipziger Montagsdemonstrationen, die einst im Zeichen von Freiheit und Gewaltlosigkeit standen, stehen heute im Zeichen von Intoleranz und Gewalt. Da wird nicht nur "Nieder mit der SED" und "Gysi weg" skandiert, da wird nicht nur lautstark die Wiedervereinigung gefordert - am Rande der Demonstration werden bereits die "Roten" gejagt. Und "rot" ist im Verständnis dieser Leute jeder, der anders denkt.

Von Leipzig aus schwappt diese Welle übers ganze Land. Wo sind die Demokraten, die einst Freiheit forderten? Rangeln sie nur noch um günstigste Positionen im Wahlkampf und um Ministersessel? Es scheint, sie sind - in sich zerstritten kaum mehr fähig, Freiheit und Demokratie im Lande zu retten!

Und die Regierung? Kam sie noch Ordnungskräfte zum Einsatz bringen, um das Schlimmste zu verhüten? Ob nun die Mitgliedschaft des Regierungschefs ruht oder nicht: Eine von der SED-PDS geführte Regierung ist auf diesem sensiblen Feld zur Untätigkeit verurteilt und stellt deshalb, ob sie will oder nicht, das größte Sicherheitsrisiko im Lande dar.

Die Gefahr, dass die Radikalisierung der politischen Szenerie eskaliert, nimmt mit wachsender sozialer Unsicherheit zu. Schon haben wir die ersten Arbeitslosen (nicht nur aus den Reihen des einstigen MfS). Der von Frau Luft bereitete Weg in die pure Marktwirtschaft und in den raschen Wirtschaftsverbund mit der BRD wird zum Massenruin von Betrieben in der DDR und zu Massenarbeitslosigkeit führen. Eine Vielzahl unserer Betriebe ist mit ihrer veralteten Technik, Technologie und Erzeugnisstruktur überhaupt nicht konkurrenzfähig, angefangen von Konservenfabriken über Stern-Radio bis zur Automobilindustrie. Wenn schon ein für unsere Begriffe so modernes Unternehmen wie der Elektronikkonzern Nixdorf mit nunmehriger Beteiligung durch Siemens einige Tausend Beschäftigte entlassen muss, wie ginge es da erst uns in einem Wirtschaftsverbund mit der BRD!

Wem an sozialer Sicherheit gelegen ist, der kann sich nicht an einer Koalitionsregierung beteiligen, deren Parteien die Marktwirtschaft unbedacht im Zeichen raschen Wirtschaftsverbundes mit der BRD oder gar rascher Wiedervereinigung proklamieren.

Wir brauchen eire Regierung mit einem Wirtschaftskonzept, das Sozialabbau und Arbeitslosigkeit ausließt und Hilfe westlicher Unternehmen einschließt. Wir brauchen Hoffnungsschimmer und begründetes Vertrauen in die Zukunft, die der Massenauswanderung Einhalt gebieten und dem Land wieder Stabilität verleihen.

Hans Sch(...)
Vereinigte Linke

aus: Berliner Zeitung, Nr. 23, 27./28.01.1990, 46. Jahrgang