Gerhard Brenn, USPD-Vorsitzender in Sachsen:

Nach nationaler Euphorie der soziale Katzenammer?

Warum zwei sozialdemokratische Parteien? Was will die USPD? Wie steht sie zur SPD in Ost und West? Wie ist das Verhältnis der USPD zu anderen linken Kräften?

SZ: Herr Brenn, wie würden Sie das Profil der USPD, der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, charakterisieren?

G. Brenn: Die USPD - sie hat landesweit reichlich 10 000 Mitglieder - ist die politische Heimat aller linken Sozialdemokraten und von Bürgern, die eine gerechte soziale Ordnung anstreben. Wir stehen in der Tradition der linken deutschen und europäischen Sozialdemokratie und der sozialistischen Internationale.

SZ: Bedeutet das, dass die Partei gegen die Einheit Deutschlands ist, da die soziale Marktwirtschaft nicht gerecht sein kann?

G. Brenn: Nein. Ich kann heute nicht gegen etwas sein, wofür ich 40 Jahre lang war: Für das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes. Und das schließt das Recht auf Einheit ein. Aber ich kann nicht etwas, was sich ökonomisch und gesellschaftlich diametral gegenübersteht, über Nacht zusammenwerfen, so wie es geschehen ist. Das muss zu einem sozialen Dilemma, zu einer sozialen Katastrophe führen. Wir haben als USPD vor dieser überstürzten Vereinigung gewarnt, weil wir davon überzeugt waren, dass nach dieser nationalen Euphorie mit Sicherheit der soziale Katzenjammer kommt.

SZ: Warum gibt es zwei sozialdemokratische Parteien - die SPD und die USPD?

G. Brenn: Wir unterscheiden uns von der SPD dadurch, dass für uns linke Sozialdemokraten die sozialen Komponenten absolute Priorität haben. Uns geht es nicht vordergründig um Posten oder Ministersessel, sondern um die Interessenvertretung der Menschen. Sie werden verstehen, dass ich es mir nicht leicht gemacht habe, nach fast einem halben Jahrhundert Zugehörigkeit zur SPD aus dieser Partei auszutreten. Das war ein Prozess über Wochen. Ich war gemeinsam mit anderen linken Sozialdemokraten zu der schmerzlichen Erkenntnis gekommen, dass es objektiv notwendig war, die USPD zu gründen, um ein Gegengewicht gegen den nicht zu übersehenden Rechtsdrall der SPD Ost vor allem im Süden unseres Landes zu schaffen.

SZ: Sind Sie der Meinung, dass es in der SPD keine linken Kräfte gibt?

G. Brenn: Das will ich nicht sagen. Aber die Linken in der SPD sind zahlenmäßig sehr schwach und durch das Ausschalten meines alten Freundes Ibrahim Böhme aus dem SPD-Vorstand sind sie entscheidend geschwächt worden.

SZ: Sehen Sie eine Chance, über diese linken Kräfte in der SPD Einfluss auf die gesamte Partei erreichen zu können?

G. Brenn: Zur Zeit nicht.

SZ: Sie haben von der SPD in der DDR gesprochen. Schätzen Sie die SPD der BRD anders ein?

G. Brenn: Wir stehen der SPD West in der Programmatik ein Gutteil näher als der SPD Ost, wobei die SPD und die USPD integrale Bestandteile der DDR-Sozialdemokratie sind. Die Grundidentifikation der USPD ist eindeutig sozialdemokratisch. Alle Versuche, die USPD anders darzustellen, weise ich energisch zurück.

SZ: Die SPD in Ost und West werden sich in absehbarer Zeit zu einer Partei vereinigen. Wäre es möglich, dass sich die USPD dann, da ja die Mehrheit aus der BRD-Sozialdemokratie kommen wird, dieser Partei anschließt?

G. Brenn: Das ist eine schwierige Frage. Für uns ist das derzeit kein aktuelles Thema.

SZ: Wie ist das Verhältnis der USPD zur PDS?

G. Brenn: Die tiefen Wunden, die durch 40 Jahre deutschen Stalinismus geschlagen worden sind, können nicht in ein paar Wochen oder Monaten heilen. Da die PDS als Nachfolgeorganisation der SED nicht aus der Verantwortung und Schuld des deutschen Stalinismus entlassen werden kann, ist ein Zusammengehen für uns als USPD derzeit nicht aktuell. Wir haben zur Kenntnis genommen, dass sich die PDS einen sozialdemokratischen Parteinamen gegeben hat und dass sich in der Programmatik sozialdemokratische Elemente finden. Das werten wir positiv. Auch gibt es nachweisbar in der PDS nicht wenige potentielle linke Sozialdemokraten. Ich möchte für Dresden nur einen Namen nennen, der stellvertretend für viele steht: die Vorsitzende des Stadtvorstandes Christine Ostrowski.

In dem Maße, wie die PDS ihrem sozialdemokratischen Parteinamen wirklich gerecht wird, kante sich mittel- oder langfristig eine Zusammenarbeit entwickeln.

SZ: Und wie ist das Verhältnis zu anderen linken Kräften?

G. Brenn: Unsere potentiellen Bündnispartner sind die progressiven Kräfte zwischen SPD und PDS. Darüber hinaus würden wir auch progressive Kräfte rechts der Mitte nicht zurückweisen.

SZ: Bitte definieren Sie das Spektrum zwischen SPD und PDS.

G. Brenn: Zu diesen potentiellen Bündnispartnern gehören das Neue Forum, die Grüne Partei, das Bündnis 90, der Unabhängige Frauenverband.

SZ: Ihre Partei ist in den Parlamenten nicht vertreten. Wie will sie künftig auch parlamentarisch wirken?

G. Brenn: Bei den Volkskammerwahlen - damals bestand die USPD erst ganz kurze Zeit - sind wir eine Wahlgemeinschaft mit der Grünen Partei eingegangen. Um eine weitere Zersplitterung des linken Spektrums zu vermeiden, werden wir bei den Landtagswahlen und gesamtdeutschen Wahlen die Listenvereinigung Grüne/Bündnis 90 unterstützen, damit diese die 5-Prozent-Hürde möglichst überspringen kann.

Das Gespräch führte Renate Berthold.

Gerhard Brenn (65 Jahre, verheiratet, zwei Kinder) stammt aus einer Bergmannsfamilie und gehörte von früh an zum linken Flügel der Sozialdemokratie. Fast ein halbes Jahrhundert war er ununterbrochen Mitglied der Sozialdemokratischen Partei. 1946 stimmte er gegen die Vereinigung von KPD und SPD, "weil ich überzeugt war, dass die Kommunisten das Monopol auf Macht und Wahrheit beanspruchen". Nach der Vereinigung der Parteien arbeitete er illegal in der SPD in Dresden weiter. Für ihn war es selbstverständlich, nach der Revolution des vergangenen Herbstes die Neugründung der Partei zu unterstützen. Gerhard Brenn zählte zu den Initiatoren und zum ersten gewählten Vorstand der SDP in Dresden. Aufgrund der - wie er sagt - Rechtslastigkeit der Partei trat er im Januar 1990 aus und gehörte zu den Mitbegründern der USPD. Er ist stellvertretender Vorsitzender des USPD-Bundesvorstandes und Vorsitzender des USPD-Landesverbandes Sachsen.

aus: Sächsische Zeitung, Nr. 199, 27.08.1990, 45. Jahrgang, Tageszeitung für Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport

Δ nach oben