Frauen für die Volkskammer

Christina Schenk, eine Sprecherin des unabhängigen Frauenverbands, über eine Beteiligung am Wahlkampf und die Chancen, die sie sich ausrechnet

Der unabhängige Frauenverband beschloss am vergangenen Samstag [20.01.90] auf seinem landesweiten Koordinierungstreffen in Ost-Berlin fast einstimmig, sich am Wahlkampf für den 6. Mai [damalige Termin der Volkskammerwahl] aktiv zu beteiligen. Ob allerdings neben Parteien auch andere "gesellschaftliche Organisationen" zur Wahl zugelassen werden, dieser Streit ist bisher nicht entschieden.

taz: Wie soll eure Wahlbeteiligung aussehen?

Christina Schenk: Wir wollen unser Programm öffentlich vorstellen, zeigen, dass wir uns nicht nur mit der sogenannten Frauenfrage beschäftigen. Wir wollen in kurzer Zeit zu einem tragfähigen Gesellschaftskonzept kommen.

Welches sind die Pfeiler dieses Konzeptes?

Ein geschlossenes Konzept gibt es noch nicht, aber Eckpunkte. Einer davon ist die ökonomische Selbständigkeit der Frau, die ein Grundpfeiler ihrer Souveränität ist. Außerdem wollen wir erreichen, dass Frauen präsenter in Entscheidungspositionen werden. Dafür müssen wir ein vielfältiges staatliches Instrumentarium schaffen. Zum einen ein Staatssekretariat für Gleichstellungsfragen mit entsprechenden Kompetenzen und einem eigenen Etat, zum anderen die Quotenregelung. Ein dritter Punkt sind bisherige Tabuthemen wie Gewalt gegen Frauen oder Homosexualität, alternative Lebensformen überhaupt. Diese Themen müssen zunächst mal öffentlich diskutiert und dann die gesetzlichen Möglichkeiten verbessert werden. Das Strafrecht zum Beispiel erkennt bisher eine Vergewaltigung nur außerhalb der Ehe an.

Habt ihr denn überhaupt Chancen, in die Volkskammer zu kommen?

Das kann ich so eindeutig nicht sagen. Ich weiß bloß, dass die Gründung dieses Verbandes bei sehr vielen Frauen auf sehr großes Interesse gestoßen ist und viele gesagt haben: Darauf haben wir so lange gewartet. Das Telefon in unserem Büro steht nicht still, laufend kommen Interessentinnen. Ich denke, wir könnten schon einen Teil der Frauen gewinnen.

Ihr habt euch neulich gegen ein Wahlbündnis mit oppositionellen Gruppen ausgesprochen. Wollt ihr grundsätzlich alleine marschieren?

Wir haben uns gegen das Wahlbündnis 90 ausgesprochen, einmal weil die damaligen Ziele nicht unseren Vorstellungen entsprachen. Da ging es im wesentlichen darum, die Altparteien mit allen Mitteln daran zu hindern, wieder an die Macht zu kommen. Und das konnten wir in dieser Generalität nicht mittragen. Und außerdem war völlig unklar, wie man in diesem Spektrum von ganz links bis ganz rechts zu einem Konsens hätte finden sollen. Unsere damalige Absage heißt aber nicht, dass wir grundsätzlich gegen Wahlbündnisse sind.

Wer könnten eure Partner sein?

Konkret können wir das noch nicht sagen. Die meisten Gruppierungen arbeiten ja auch noch an ihrem Programm. Die Richtung, in die wir gucken, ist aber das linke Spektrum, vielleicht Vereinigte Linke und alles drumherum.

Nun scheinen radikalere frauenpolitische Forderungen in der DDR-Opposition allgemein nicht besonders gut anzukommen. In Leipzig sind Frauen aus dem Neuen Forum raus, weil sie dort keinen Fuß auf den Boden brachten, aus dem Demokratischen Aufbruch in Berlin war heute ähnliches zu hören. Siehst du da für den Frauenverband überhaupt eine Chance, irgendwo zu landen?

Ja, unbedingt. Ich sehe, dass wir für diese Frauen, die politisch aktiv sein wollen und nun in den herkömmlichen Strukturen nicht zu Wort kommen, ein Anlaufpunkt sein können.

Es mehren sich mittlerweile die Gerüchte, dass euer Verband zunehmend von der SED unterwandert wird.

Grundsätzlich verstehen wir uns als Verband, der getragen wird von verschiedenen autonomen Frauengruppen. Dass da auch Frauen darunter sind, die der SED-PDS angehören, halte ich nicht für unnormal. Aber daraus eine Unterwanderung des Verbandes durch stalinistische Denkweisen abzuleiten, das ist wirklich absurd.

Interview: Ulrike Helwerth

aus: taz Nr. 3013 vom 22.01.1990

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