Glasnost gegen Wahlbetrug

Rainer Eppelmann, Pfarrer der Ost-Berliner Samariter-Gemeinde zu den Strafanzeigen wegen Wahlfälschung im Zusammenhang mit den Kommunalwahlen am 7. Mai [1989]/Geltendes Recht gilt für alle, auch für die Regierenden

taz: Sie gehören zu den zwölf DDR-Bürgern, die Strafanzeige wegen Wahlfälschung gestellt haben. Warum haben Sie sich nicht mit einer Eingabe bzw. einem Einspruch zufrieden gegeben?

Rainer Eppelmann: Ich habe beides getan. Ich habe eine Eingabe beim Nationalrat der Nationalen Front mit der Bitte gemacht, dass die Wahl annulliert wird und Neuwahlen bei uns im Stadtbezirk Friedrichshain ausgeschrieben werden. Darüber hinaus hab ich eine Anzeige wegen Wahlbetruges gemacht, weil das nach unserem Strafgesetzbuch, also nach geltendem Recht, ein Verbrechen ist, das bestraft werden muss. Bisher gab es dafür keine Beweise. 1986 hatte ja schon mal eine Gruppe unseres Friedenskreises in acht von damals 128 Friedrichshainer Wahllokalen an der öffentlichen Auszählung teilgenommen und mehr Nein-Stimmen ermittelt, als schließlich bekannt gegeben wurden. Damals aber konnten wir nur etwas über Tendenzen aussagen, während wir jetzt Beweise haben. In den Zeitungen wurden dieses Mal 1 611 Gegenstimmen genannt. Wir haben aber in 83 der insgesamt 89 Wahllokale der Auswertung beigewohnt und kommen auf über 4 700 Nein-Stimmen. Und diese Zahl ist nicht einmal von uns, wir haben lediglich die offiziell verkündeten Ergebnisse in den einzelnen Wahllokalen zusammengezählt. Darum musste ich eben die Leiterin der Friedrichshainer Wahlkommission anzeigen.

Rechnen Sie damit, dass die Anzeigen tatsächlich verfolgt werden?

Man wird sehen. Ich weiß, dass nach geltendem Recht in der DDR der Staatsanwalt sieben Tage Prüfpflicht hat, um zu entscheiden, ob er ein Ermittlungsverfahren einleitet oder nicht. Ich werde bis Ende dieses Monats mit gewisser Gelassenheit warten und mir sonst weitere Schritte überlegen. Ich gehe aber erst mal davon aus, dass der Generalstaatsanwalt in der ihm vorgeschriebenen Weise gegen den Wahlbetrug vorgeht.

Solche Strafanzeigen hat es in der DDR-Wahlgeschichte noch nie gegeben, warum jetzt?

Diese Reaktionen auf die Kommunalwahl sind sicher Ausdruck einer neuen Haltung. Glasnost und Perestroika machen ja an den Grenzen der Deutschen Demokratischen Republik nicht halt. Also in den Köpfen und Herzen vieler Menschen sind sie ganz bestimmt vorhanden. Entwicklungen wie jetzt in Polen Ungarn, der Sowjetunion oder jetzt auch in China, die gehen an uns nicht einfach spurlos vorbei. Und der jetzt sichtbar gewordene Wahlbetrug darf nicht einfach unter den Tisch fallen. Gesetze gelten für alle, auch für die Regierenden.

Was heißt das für den obersten Wahleiter der DDR, Egon Krenz?

Wie gesagt, ich habe eine Anzeige gegen die Wahlleiterin in Friedrichshain gestellt. Ich kann mir aber sehr gut vorstellen, dass hier im Stadtbezirk die Wahl noch korrekt abgelaufen ist und auch das Ergebnis korrekt mitgeteilt wurde. Der Verdacht drängt sich auf, dass der Wahlbetrug weiter oben passiert ist, dass die Zahlen von oben getürkt wurden. Ich will da aber gar nicht spekulieren, das ist Aufgabe des Generalstaatsanwaltes festzustellen, wo gefälscht wurde, ob bei der Stadtbezirkswahlkommission oder weiter oben in der politischen Hierarchie.

Interview: Birgit Meding

aus: taz Nr. 2815 vom 25.05.1989

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