Resolution des Ensembles des Kabaretts "Leipziger Pfeffermühle"

In tiefer Sorge um dieses unser Land, um dessen Aufbau und Fortkommen auch wir uns seit mehr als 35 Jahren mit unseren Mitteln bemühen, sehen und spüren wir gerade in diesen Tagen des vierzigjährigen Bestehens unserer Republik eine immer größer werdende Kluft zwischen den Idealen des Sozialismus und den Realitäten, mit denen wir tagtäglich konfrontiert sind, einen immer größer werdenden Zwiespalt zwischen der Selbstdarstellung unseres Landes in Festreden und den Medien und der viele Bürger bedrückenden Wirklichkeit, zwischen den Bedürfnissen, Wünschen und Lebenszielen der Menschen und den Möglichkeiten ihrer Verwirklichung.

Zehntausende vor allem junge Menschen kehren in diesen Tagen unserer Republik den Rücken, enttäuscht und entmutigt, gewiss auch verführt vom Glanz scheinbar besserer Lebensqualität jenseits unserer Grenzen. ein ungewisses Schicksal in Kauf nehmend. Unübersehbar aber ist die Zahl der Bürger unseres Landes, die nicht gewillt sind, diesen Irrweg zu beschreiten. die jedoch immer drängender in Gesprächen und Diskussionen, im kleinen Kreis ebenso wie auf den Straßen unserer Städte ihre Unzufriedenheit, ihre Sorgen um unser aller Zukunft, ihre Hoffnung auf Veränderung artikulieren.

Wir glauben nicht, dass es unserer Sache, dem Sozialismus, gemäß und dienlich ist, alle diese Menschen auszugrenzen und zu diffamieren, sie mit Rowdies und Chaoten gleichzusetzen, die Unzufriedenheit und Unsicherheit für sich nutzen wollen und von denen wir uns distanzieren. Wir glauben aber ebenso wenig, dass es dem Wesen einer humanistischen, der sozialistischen Gesellschaftsordnung entspricht, Unzufriedene. Fragende, auch Zweifelnde als Kriminelle, Asoziale, Verräter oder Staatsfeinde zu verunglimpfen. Und in aller Deutlichkeit: wir glauben nicht, dass Schlagstöcke und Wasserwerfer geeignete Antworten auf ihre, auf unsere Fragen sind.

Uns bewegt die Furcht vor der Eskalation des Gegenüberstehens. Uns bewegt die Furcht, dass Druck nichts anderes als Gegendruck erzeugt, dass die Anwendung von Gewalt Gewaltanwendung provoziert, dass Intoleranz und Unfähigkeit zu demokratischer Auseinandersetzung unabsehbare Folgen nach sich ziehen könnten.

Setzen wir dem die Fähigkeit und die Möglichkeit zum Dialog entgegen, schaffen wir Räume des offenen Gesprächs, des freimütigen Gedankenaustauschs in aller Öffentlichkeit, ohne Angst vor Missdeutungen und ohne Unterstellungen, vor allem aber ohne Furcht vor unbequemen Wahrheiten. Geben wir uns damit die Chance der produktiven Veränderung, und nehmen wir dadurch unseren Gegnern das Potential für Desorientierung und Manipulation.

Wir haben uns die Devise "Alles zum Wohle des Volkes" auf unsere Fahnen geschrieben. Wenn es uns um diesen Wahlspruch ernst ist, sollten wir zu jeder Stunde auf die Fragen, die Gedanken, den Willen des Volkes hören. Wahrhaft sozialistische Demokratie bedarf der offenen, rückhaltlosen und vor allem öffentlichen Analyse des Zustandes unserer Gesellschaft, bedarf der sachlichen, uneingeschränkten Diskussion unserer Schwierigkeiten und Probleme, ihrer Ursachen und unserer Versäumnisse, und sie bedarf der gemeinsamen Suche nach Wegen, die uns aus Ratlosigkeit und Stagnation, Entmutigung und Gleichgültigkeit führen können.

Wir Kabarettisten wollen das Unsere dafür tun, in einer Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens, des wirklichen und wahrhaftigen Miteinanders, des öffentlichen Dialogs und der kritischen Auseinandersetzung für eine Erneuerung und Demokratisierung des Sozialismus, der uns am Herzen liegt.


[13.10.1989
Die Resolution wurde von allen Unterschrieben. Sie wurde vor der Abendvorstellung verlesen. Nach der Vorstellung fand eine Diskussion statt. Die Resolution wurde der Presse, Gewerkschaft und staatliche Institutionen übergeben.]