Bitte um Solidarität

Offener Brief an die Bürger der DDR, die eine demokratische Erneuerung des Landes wollen

DOKUMENTATION

Heute vor einem Jahr reagierte die Staatsführung der DDR auf unsere Forderungen nach sozialistischer Demokratie - wie sie den Ideen und der Weitsicht Rosa Luxemburgs entspricht - mit Staatsdruck, Verhaftung und Ausbürgerung. Jetzt droht jungen Menschen, die sich für eine Umgestaltung der erstarrten Gesellschaftsstrukturen engagieren, die gleiche Willkür der Mächtigen. Die sofortige Freilassung der Inhaftierten ist die einzig akzeptable Möglichkeit, den vom Staat provozierten Konflikt zu lösen. In der Verfassung der DDR sind die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Pressefreiheit, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit garantiert. Mit der Kriminalisierung derer, die von diesen Rechten Gebrauch machen, verstößt die Regierung gegen die Grundlagen gesellschaftlichen Lebens und versucht, die dringend notwendige demokratische Erneuerung des Landes mit stalinistischen Mitteln aufzuhalten. Wir bitten Sie um Solidarität mit unseren Leipziger Freunden, damit ihnen nicht dasselbe widerfährt wie uns, die wir das Land verlassen mussten. 17.1.1989

Freya Klier, Lotte Templin, Vera Wollenberger, Ralf Hirsch, Stephan Krawczyk, Wolfgang Templin

aus: taz Nr. 2711 vom 18.01.1989


Mit den Leipziger Freunden sind diejenigen gemeint, die anlässlich der Luxemburg-Liebknecht-Demo in Leipzig 1989 festgenommen wurden. Sollte in Berlin ein Jahr zuvor an der offiziellen Demo mit eigenen Parolen teilgenommen werden, gab es in Leipzig eine eigene Demo. Von der staatlichen Demo wurde sich bewusst ferngehalten.