Unsere gemeinsame Sorge und Verantwortung haben uns heute zusammengeführt. Wir sind von der Entwicklung in unserer Stadt betroffen und suchen nach einer Lösung. Wir alle brauchen freien Meinungsaustausch über die Weiterführung des Sozialismus in unserem Land. Deshalb versprechen die Genannten heute allen Bürgern, ihre ganze Kraft und Autorität dafür einzusetzen, dass dieser Dialog nicht nur im Bezirk Leipzig, sondern auch mit unserer Regierung geführt wird. Wir bitten Sie dringend um Besonnenheit, damit der friedliche Dialog möglich wird.


Der Dirigent Kurt Masur, der Kabarettist Bernd Lutz Lange, der Theologe Peter F. Zimmermann und von der SED-Bezirksleitung Kurt Meyer, Jochen Pommert und Roland Wötzel wandten sich mit diesem Aufruf am 09.10.1989 an die Leipziger Bevölkerung. Ab 18 Uhr wurde der Aufruf auch im Rundfunk gesendet.

Die drei SED-Mitglieder mussten bei der Bezirksleitung jeder eine Stellungnahme abgeben.

Kurt Meyer sagte in einem Interview am 09.12.1989: "Masur hatte uns am Nachmittag versichert, er wolle mit aller Konsequenz auftreten, wenn man etwas gegen uns unternehme. Er war bereit, bis zur Niederlegung seines Dirigats zu gehen, um vor der Weltöffentlichkeit deutlich zu machen: Das lassen wir uns nicht mehr gefallen." (1)

Am 5. November wird Roland Wötzel zum Nachfolger des 1. Bezirkssekretärs der SED gewählt.

Kurt Masur erhielt viele Dankesschreiben. Im Dezember 1989 wird ihm die Ehrenbürgerschaft der Stadt Leipzig verliehen. Nach einem Treffen am 22.10. wurde die Idee geboren, eine Litfaßsäule, auf der zu zukünftigen Gesprächen eingeladen werden sollte, aufzustellen. Ende Oktober stand die Litsaßsäule auf dem Karl-Marx-Platz. Das Ansinnen der SED-Bezirksleitung die Litfaßsäule entfernen zu lassen wurde durch den Widerstand der Bevölkerung zunichte gemacht. Heute ist die Litsaßsäule ein Museumsstück.

(1) Neues Forum Leipzig, Jetzt oder nie – Demokratie, Leipzig Herbst `89, 1989 Forum Verlag, 1990 C. Bertelsmann Verlag