Die SED und ihre Opposition

Ein internes SED-Papier, das auch noch nach dem Sturz Honeckers kursierte

Dieses Papier war Thema der inzwischen regelmäßigen Podiumsdiskussionen an der Karl-Marx-Universität in Leipzig am letzten Sonntag. Das Neue Forum hatte dieses Papier und eine Kritik der SED-Dialogstrategie auf die Tagesordnung gesetzt. Der "Aktuellen Kamera" war das Papier zu peinlich, und so übermittelte sie lieber die Forderungen des Neuen Forums.

Seit längerem unternehmen äußere und innere sozialismusfeindliche Kräfte intensive Versuche, in der DDR oppositionelle Gruppierungen und Strukturen zu schaffen und sie zu legalisieren. Unter Bruch der Verfassung und des geltenden Rechts, zum Beispiel der Verordnung über die Gründung und Tätigkeit von Vereinigungen vom 6. November 1975, wurden in jüngster Zeit mehrere oppositionelle personelle Zusammenschlüsse illegal gebildet. Bekannt wurden unter anderem das "Neue Forum", die so genannte Sammelbewegung "Demokratischer Aufbruch", die "Bürgerbewegung Demokratie jetzt" und die "Sozialdemokratische Partei". Das geschieht nicht zufällig zur gleichen Zeit, da maßgebliche imperialistische Kräfte mit einer hasserfüllten Kampagne gegen die DDR den Sozialismus diffamieren und Zweifel an seiner Perspektive verbreiten. Eine zentrale Rolle ist dem "Neuen Forum" zugedacht, das sich illegal in Berlin sowie in den Bezirken Leipzig, Halle, Gera, Karl-Marx-Stadt und Frankfurt (Oder) "konstituiert" hat und in allen anderen Bezirken über so genannte Kontaktstellen beziehungsweise Kontaktadressen verfügt.

Die Autoren dieses "Neuen Forums" betreiben das Geschäft der Feinde des Sozialismus. Ihnen ist es gelungen anknüpfend an reale Probleme und Widersprüche unserer sozialistischen Entwicklung - bei nicht wenigen Bürgern der DDR, darunter auch jungen Menschen, Gehör zu finden und Verwirrung zu stiften. Notwendig ist es, sich von jenen zu distanzieren, die den Sozialismus als System beseitigen wollen.

Wären sie, wie sie vorgeben, tatsächlich für den Sozialismus und seine weitere Ausgestaltung, wären sie also ehrlich, dann könnten sie im breiten Spektrum demokratischer Organisationen unseres Landes tatkräftig mitwirken und verändern.

Welche eigentlichen Ziele verbergen sich hinter ihren hochtönenden Namen und Bezeichnungen?

Im so genannten Gründungsaufruf "Aufbruch 89 - Neues Forum", der mittlerweile unter Missbrauch kirchlicher Einrichtungen republikweit verbreitet wurde, werden die antisozialistischen Ziele seiner Initiatoren deutlich sichtbar. Erklärte Absicht der über 30 "Gründungsmitglieder", unter denen sich Intellektuelle, Studenten und Pfarrer befinden - bezeichnenderweise gehört zu ihnen ein einziger Arbeiter -, ist die Bildung einer politischen Plattform für die gesamte DDR.

Es wird behauptet, dass die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft gestört, die schöpferischen Potenzen der Gesellschaft gelähmt und die Lösung der anstehenden lokalen und globalen Aufgaben behindert seien. Angebote, wie real vorhandene Probleme im demokratischen Miteinander überwunden werden können, werden nicht gemacht. Im Gegenteil. Dem Staat wird keine Möglichkeit geboten, der beteuerten Verfassungstreue der Aufrufer Glauben zu schenken. Wie soll man zum Beispiel die Feststellung im "Gründungsaufruf" verstehen, das Machtmonopol des Staates zu beseitigen.

Damit wird der sozialistische Staat der Arbeiter und Bauern unerträglich diffamiert. Abgeordnete, Werktätige in den Staatsorganen und alle jene Bürger, die für ihren Staat einstehen und für das Wohl des Volkes wirken, werden in ihrer Würde verletzt. Der unermüdlichen, ja aufopferungsvollen Tätigkeit der Rechtspflegeorgane unseres Landes ist es doch wohl ganz entscheidend zu danken, dass die Kriminalität, bezogen auf 100 000 Einwohner, gegenüber der BRD zehnmal geringer ist und die DDR zu den Ländern mit der niedrigsten Kriminalitätsrate in der Welt gehört. Sicherheit und Geborgenheit sind zu Markenzeichen sozialistischen Lebensgefühls bei uns geworden.

Der planmäßigen Entwicklung der Volkswirtschaft und kontinuierlichem Wirtschaftswachstum als Grundlage für Vollbeschäftigung, soziale Sicherheit und steigenden Lebensstandard wird die Forderung nach "Abkehr vom ungehemmten Wachstum" und nach "Spielraum für wirtschaftliche Initiative" entgegengestellt. Damit wird, wie Akteure der "Organisation" immer wieder auch bei anderen Gelegenheiten betonen, die sozialistische, auf dem gesellschaftlichen Eigentum an den wichtigsten Produktionsmitteln beruhende Planwirtschaft in Frage gestellt und einer "sozialen Marktwirtschaft", also kapitalistischer Profitwirtschaft, das Wort geredet.

Dies wird zugleich mit der Abschaffung der führenden Rolle der Partei, der Bildung pluralistischer Strukturen in der gesamten Gesellschaft und weiteren, auf die Untergrabung der Arbeiter-und-Bauern-Macht zielenden Forderungen verbunden.

Der antisozialistische Charakter des "Neuen Forum" wird auch dadurch verdeutlicht, dass seine Organisatoren im direkten Zusammenspiel mit führenden Vertretern der Bonner Regierung, politischen Parteien und Medien der BRD und West-Berlins - also aus einer fremden Macht - handeln. Dafür spricht, dass noch vor dem Antrag auf Zulassung beim Ministerium des Innern, der am 22. September 1989 mit Datum vom 19. September 1989 gestellt wurde, bereits am 13. September 1989 der Gründungsaufruf in die großbürgerliche 'Frankfurter Rundschau' lanciert worden war. Flankierend dazu gaben Gründungsmitglieder wie Bärbel Bohley und Rolf Henrich Interviews, zum Teil per Telefon, für verschiedene westliche Hörfunk- und Fernsehsender. Grundtenor ihres Auftretens war die Absicht, ungeachtet einer erwarteten Nichtzulassung als Vereinigung durch den Staat ihre Aktivitäten fortzuführen.

Noch unverhohlener in ihrer antisozialistischen und konterrevolutionären Programmatik und ihrem verfassungsfeindlichen Handeln sind solche Gruppierungen wie die Sammlungsbewegung "Demokratischer Aufbruch" und die bezeichnenderweise am 7. Oktober - am 40. Jahrestag der DDR im Untergrund gebildete "Sozialdemokratische Partei".

Diese Gruppierungen, die aus gutem Grund die Öffentlichkeit in der DDR meiden und wohlweislich bisher keinen Antrag auf Zulassung gestellt haben, wirken ebenfalls außerhalb von Recht und Gesetz und daher illegal. Wer ihnen seine Sympathie bekundet, muss wissen, worauf er sich einlässt.

Ihre Initiatoren werden - was Wunder - von Bonner Politikern und Medien protegiert, auf den Schild gehoben und lautstark als "Reformer" gepriesen. Von daher erhalten sie nicht nur geistige Anleihen, sondern zugleich jede erforderliche materielle und finanzielle Unterstützung. Es vergeht kaum eine Rede führender Repräsentanten der BRD und in West-Berlin, in der sich diese nicht mit der aktiven Förderung solcher konterrevolutionären Gruppierungen und der engen Verbindung mit ihnen vernehmlich brüsten.

Interessanterweise waren mehr als die Hälfte ihrer Begründer Vertreter kirchlicher Kreise. Traditionen der revolutionären Arbeiterbewegung entspricht das wohl nicht!

Für die politische Arbeit ist es sehr wichtig, zwischen den Gegnern des Sozialismus, die den Aufruf zum "Neuen Forum" erarbeitet haben, und Irregeführten zu unterscheiden. Diesen muss geholfen werden, wieder auf den richtigen Weg zu kommen und sich von den Feinden des Sozialismus zu trennen. Wir grenzen uns eindeutig von allen ab, die - unter welcher Fahne auch immer - in Worten für eine Verbesserung des Sozialismus plädieren, tatsächlich aber auf seine Abschaffung hinwirken und loyale, ehrliche Bürger dafür zu missbrauchen trachten.

Der vollständige Text erschien unter dem Titel Zum "Neuen Forum" und zu anderen illegalen oppositionellen Gruppierungen in der DDR in 'Informationen', Nr. 261, 1989/7

aus: taz Nr. 2951 vom 01.11.1989

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