Für einen Runden Tisch in Bildungsfragen

DLZ sprach mit Angelika Barbe, 2. Sprecherin des SDP-Landesverbandes Berlin, über die notwendige Erneuerung der Schule

DLZ: Welche Chancen sehen Sie für einen notwendigen gesellschaftlichen Konsens über eine erneuerte Schule?

A. BARBE: Wer es gewohnt ist, auf demokratische Weise - und das setzt Auseinandersetzungen in Sachfragen voraus - eine Lösung zu finden, wird auch zu einer übereinstimmenden Willensäußerung bereit sein. Viele Arbeitsgruppen beschäftigen sich seit mehreren Jahren mit der Thematik Schule. In kritischer Distanz zur Volksbildung sind in diesen Gruppen, die bis Oktober 1989 noch unter dem schützenden Dach der evangelischen Kirche gearbeitet haben, Lösungsvorschläge erarbeitet worden.

Es wird also auch in Bildungsfragen einen Runden Tisch geben müssen, der die Vorschläge der zur Zeit Verantwortlichen öffentlich kontrolliert, an dem Sachverständige aus den alternativen Gruppen und Parteien ebenso sitzen wie die Interessenvertreter der bisher politisch Verantwortlichen. Es wird sich dann zeigen, welche Parteien und Gruppen zum Zurückstellen eigener An spräche fähig sind, wenn es darum geht, das Kindeswohl zu einem über geordneten Entscheidungskriterium zu machen.

DLZ: Welche Bildungsziele betrachten Sie für diese Erneuerung als wesentlich?

A. BARBE: Ich bin zutiefst davon. überzeugt, dass es in Zukunft nicht auf die pure Wissenanhäufung ankommen wird, um im Leben bzw. im Konkurrenten um den Abiturplatz durch unfaire Mittel (wie die Parteimitgliedschaft der Eltern oder die eigene totale Angepasstheit) aus dem Felde zu schlagen. Kinder sollen es nie verlernen, ihre herrlich wichtigen Fragen zu stellen, und zwar ohne Angst, dafür wegen eines wackligen Klassenstandpunkts auf dem Zeugnis bestraft zu werden.

Heute schon kommt es darauf an - wir sehen es an den vielen notwendig gewordenen Umschulungen - ein Leben lang fähig und bereit zu sein, sich weiterzubilden. Bildungsfähigkeit aber ist an erfüllte biologische Entwicklungsbedingungen in der frühen Kindheit geknüpft. Das heißt, wir werden auch die Massenaufbewahrungspraxis der Kinder in Krippen, Kindergärten, Horten und besonders in Heimen überdenken müssen. Damit will ich keineswegs den Grundansatz kritisieren, Frauen die unbedingt notwendige Teilhabe an der Arbeit und dem gesellschaftlichen Leben.zu ermöglichen.

Unsere Kinder und Jugendlichen werden in ihren späteren Arbeitsgruppen ihre Ideen nur selbstbewusst und in partnerschaftlicher Weise einbringen können, wenn sie schon in der Schule trainiert haben, eigenverantwortlich und selbständig zu arbeiten.

Auch im Freizeitbereich wird Schule (in Zusammenarbeit mit vielen gesellschaftlichen Gruppen) zukünftig mehr zur Interessenausbildung der Lernenden tun müssen. Jedes Kind besitzt einen vielfältigen Schatz an Fähigkeiten, die es nach lernbiologischen Erkenntnissen auszubilden und zu fördern gilt - bei der Unterrichtsgestaltung und dem zu schaffenden Angebot, sich musisch, sportlich, spielerisch zu betätigen.

Andere Unterrichtsformen sind ebenso dringlich zu fordern. Ich denke beispielsweise an Projektwochen, Epochenunterricht oder die Möglichkeit, in der Schule an einem selbstgewählten Aufgabengebiet längerfristig zu arbeiten - in sogenannter Freiarbeitszeit, die im Stundenplan berücksichtigt ist.

Die Ausbildung der besonderen Fähigkeiten der Schüler (auch die bisher vernachlässigte Begabtenförderung) kann beispielsweise durch Methoden der Leistungsdifferenzierung bzw. der Neigungsdifferenzierung erfolgen. Es existieren an den Gesamtschulen der Bundesrepublik langfristig gesammelte Erfahrungen, die wir durch Erfahrungsaustausch nutzen sollten.

DLZ: Was halten Sie an der bisherigen Schule für bewahrenswert?

A. BARBE: Um die oben beschriebenen Ziele zu verwirklichen, besitzen wir durch unsere eingliedrige Schulform (im Gegensatz zur westdeutschen dreigliedrigen) die beste und wichtigste Voraussetzung. Kinder aus sozial schwächeren Schichten der Bevölkerung dürfen auch in Zukunft nicht unter Bildungsungerechtigkeit leiden.

Eine wichtige Voraussetzung für Eltern, berufstätig sein zu können, ist das Schulessen für die Kinder. Seine bisher oft mangelhafte Qualität ist darauf zurückzuführen dass es in Großküchen zubereitet und in Thermophoren ausgeliefert wird. Es ist endlich Zeit, die von Lebensmittelchemikern erarbeiteten Studien zu berücksichtigen, die darauf verweisen, wo und wie immer möglich, Schulküchen wieder zur Selbstversorgung einzurichten. Es sollte nachdenklich stimmen, dass für Kinderkrippen aus gesundheitlichen Gründen einrichtungseigene Küchen gesetzlich vorgeschrieben sind.

Das Gespräch führte Georg Spiegel am 4. Januar 1990.

PS: Seit dem ersten Januarwochenende gibt es den Runden Bildungstisch.
D. Red.

aus: Deutsche Lehrerzeitung 03/90, 3. Januarausgabe

Δ nach oben