Legitimation durch öffentliche Kontrolle

Jens Reich, Molekularbiologe und Mitbegründer des Neuen Forums, zu Modrows Angebot an die Opposition, sich an der Regierung zubeteiligen

taz: Ist die Krise zwischen Opposition und Regierung mit Modrows Erklärung vor der Volkskammer fürs erste abgebogen?

Jens Reich: Das wird sich erst am runden Tisch am kommenden Montag entscheiden, dann, wenn die Forderungen der Opposition erfüllt werden.

Der DDR-Regierungschef hat vor der Volkskammer die Opposition aufgefordert, selbst einen Entwurf für ein Wahlgesetz vorzulegen, auch eigene Vorschläge zu seinem Kohl-Besuch zu machen, und in Sachen Verfassungsschutz hat er angeboten, die Opposition mit in eine Kontrollkommission hineinzunehmen. Ist damit die Angst vor einem Verfassungsschutz oder auch die Angst vor Eigenmächtigkeiten Modrows in den Verhandlungen mit der Bundesregierung abgemildert?

Das müssen wir im Einzelnen prüfen. Beim Verfassungsschutz müssen wir genau prüfen, wie diese Kontrollkommission aussehen soll. Wir sind sehr skeptisch, ob man da vor einer durch Wahlen eingesetzten Regierung etwas machen soll. Die Unruhe in der Bevölkerung ist riesengroß. Damit kann man nicht spielen. Das ist ein politischer Faktor allerersten Ranges. Die haben Angst, dass wieder kalter Krieg gegen sie geführt werden soll, unter irgendwelchen anderen Überschriften derselbe Krieg. Ich persönlich neige eher dazu zu sagen, ein Verfassungsschutz kann auch noch die drei Monate bis zur Wahl auf sich warten lassen.

Wie interpretieren Sie die Aufforderung des Regierungschefs an die Opposition, einen eigenen Wahlgesetzentwurf vorzulegen, warum ist das bisher nicht geschehen?

Ich habe bei diesem Passus seiner Rede etwas unkonzentriert zugehört. Es gibt einen Volkskammerentwurf zum Wahlgesetz, und der wird in den Ausschüssen des runden Tisches bearbeitet und mit eigenen Vorschlägen ergänzt. Ich selbst sitze in einer solchen Kommission. Es ist nicht so, dass wir da nichts tun. Vielleicht ist Modrow da nicht richtig informiert. Ich gehe im Übrigen davon aus, dass die Volkskammer nicht im Konflikt mit dem runden Tisch ein Wahlgesetz verabschieden wird.

Die Regierungserklärung des DDR-Ministerpräsidenten enthält ja ein ziemlich unverhülltes Angebot an die Opposition, mit in die Regierung zu gehen.

Das stimmt. Aber ich weiß nicht, ob dass das richtige Verständnis der Konfliktlage ist. Es geht nicht darum, dass die Opposition ins Kabinett mit hineingeht und die Tür hinter sich zumacht und mitentscheidet. Für mich kann die einzige Funktion des runden Tisches sein, wichtige Entscheidungen und die Überlegungen, die dazu führen, öffentlich zu machen. Wir brauchen bei einer Übergangsregierung, die nicht durch freie Wahl parlamentarisch gestützt ist, Öffentlichkeit, damit diese Regierung handlungsfähig ist, damit sie weiß, was sie machen kann und was nicht. Das geht nur in dieser Form bis zur Wahl.

Welche Gründe sprechen eigentlich für die Opposition dagegen, in die Übergangsregierung zu gehen? Ist das nicht ein Fehler?

Ich habe nur davon gesprochen, dass wir das sehr genau prüfen müssen. Ich selber habe dabei einige Bauchschmerzen, ich sage nicht, dass wir das nicht machen. Bedenklich an einer Beteiligung an dieser Übergangsregierung ist, dass uns das weiterhin bindet in irgendwelchen bürokratischen Aktionen. Da sitzen wir dann dabei und hören uns das alles an. Der eigentliche Grund ist doch nicht, uns zu informieren oder mit beschlussfähig zu machen, denn wir haben doch auch keine Legitimation. Der eigentliche Sinn dieser Interaktion kann doch nur sein, dass wir ein Medium sind, durch das öffentliche Kontrolle hergestellt wird. Zum Beispiel um zu verhindern, dass solche Dinge wie dieses geheime Abkommen über die Überbrückungsgelder für die Ex-Staatsbediensteten hauptsächlich von der Staatssicherheit abgeschlossen und nicht veröffentlicht werden, bis der Volkszorn sich steigert bis hin zu Streiks, und dann wieder zurückgezogen werden. Das ist doch die Selbstdestabilisierung der Regierung, daran ist doch nicht die Opposition mit ihrem ätzenden Gemecker schuld.

Die Sache mit den Überbrückungsgeldern wäre natürlich nicht passiert, wenn die Opposition in der Regierung sitzen würde.

Das ist ein Argument.

Gibt es denn ernsthafte Überlegungen in der Opposition, noch in dieses Übergangskabinett hineinzugehen?

Wir hatten diesen Vorschlag noch nicht. Es war mal im Gerede, die SPD von drüben hatte mal solch einen Vorschlag gemacht. Wir werden es noch mal überlegen, aber die Skepsis ist groß. Wir können nicht einer Regierung, die nicht richtig gewählt ist, einfach durch unsere schönen Gesichter Legitimation geben. Das kann bestenfalls ein Vehikel sein, um die öffentliche Kontrolle zu verbessern.

Interview: mtm

aus: taz Nr. 3005 vom 12.01.1990

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